Neuer Direktor des Gewerbeverbands«Ein Verband muss nicht geliebt, sondern respektiert werden»
Urs Furrer wird bald die Führung des so mächtigen wie umstrittenen Gewerbeverbands übernehmen. Im Interview sagt er, was er vorhat.
Herr Furrer, der Gewerbeverband soll mit Ihnen als neuer Direktor wieder sympathisch werden. Das sagte zumindest Ihr Verbandspräsident. Schaffen Sie das?
Das Gewerbe ist für sich doch sympathisch. Wir sind alle froh, wenn wir im Dorf einen Maler oder einen Schreiner haben.
Nochmals: Wie wollen Sie den Verband sympathisch machen?
Ein Verband muss nicht geliebt, sondern respektiert werden und die Interessen seiner Mitglieder vertreten.
Ihr Vorgänger Hans-Ulrich Bigler hatte den Verband inhaltlich am rechten Rand positioniert und ihn laut und provokativ geführt. Wie machen Sie es?
Kommunikation ist ein Instrument, das man unterschiedlich einsetzen kann, je nachdem, welche Ziele man erreichen will. Oft muss man hinter den Kulissen an Details arbeiten. Aber bei den grossen wirtschaftspolitischen Themen muss man die Lautstärke aufdrehen.
Das heisst, Sie werden ähnlich wie Bigler führen?
Was zählt, ist der Auftrag. Mein Auftrag ist, die Strategie des Verbands umzusetzen.
Die da wäre?
Kerngeschäft der Strategie für die Jahre 2022 bis 2026 ist der Abbau der Regulierungskosten. Zusätzlich bewirtschaften wir sieben Fokusthemen konsequent aus einer KMU-Perspektive.
Wie unterscheiden Sie sich persönlich von Ihrem Vorgänger?
Ich bin jünger und noch weniger bekannt. Uns verbindet aber das leidenschaftliche Engagement für die Wirtschaft und für die Schweizer Unternehmen.
Ihr Vorgänger hat ein Ranking eingeführt, das die Parlamentarier auf ihre KMU-Freundlichkeit prüfte. Ausgerechnet SGV-Präsident Fabio Regazzi landete jeweils nicht weit vorne. Werden Sie diese Rangliste weiterführen?
Ich werde den Fokus auf die Verbandsziele legen. Ich bin persönlich der Meinung, dass es nicht die Rolle eines Verbands ist, Parlamentarierranglisten zu führen.
Hans-Ulrich Bigler war bis 2019 Nationalrat für die FDP, an den Wahlen vor zwei Wochen kandidierte er erfolglos für die Zürcher SVP. Planen Sie eine politische Karriere?
Nein, ich kann Sie beruhigen. Ich bin zwar in der FDP und engagiere mich auf Gemeindeebene in der Finanzkommission. Aber ich plane keine Kandidatur für irgendein weiteres Gremium. Das Amt beim SGV wird mich vollständig auslasten.
Neben Hans-Ulrich Bigler hat auch Henrique Schneider, der diesen Sommer eigentlich hätte Direktor werden sollen, verschiedene Hüte auf. Er sitzt in zahlreichen Kommissionen, ist Professor an einer deutschen Hochschule. Sie dagegen konzentrieren sich voll auf Ihren neuen Job. Hat der Verband eine Kehrtwende vollzogen?
Ich habe gemerkt, dass das der Wunsch des Vorstands und der Gewerbekammer war, die mich gewählt hat. Ich sehe mich als Auftragnehmer.
Der Schatten von Henrique Schneider, der seinen Job wegen Plagiatsvorwürfen nicht antreten durfte, hängt noch immer über allem. Stört Sie das?
Ihre Frage enthält einen Vorwurf an eine Drittperson. Sie verstehen sicher, dass ich auf eine solche Frage nicht antworte.
Schneider wurden nicht nur Plagiate nachgewiesen. Ihm wurden auch Schwindeleien im Lebenslauf zur Last gelegt, was in der Untersuchung des SGV jedoch nicht erhärtet wurde. Hat der Vorstand Ihre Diplome beim Einstellungsverfahren besonders genau unter die Lupe genommen?
Ich habe wie in einer üblichen Bewerbung alle meine Diplome und Zeugnisse vorgelegt. Was allfällige weitere Abklärungen angeht, müssen Sie den Vorstand fragen.
Schneider arbeitet noch als stellvertretender Direktor im Verband. Wie blicken Sie der Zusammenarbeit entgegen?
Ich äussere mich nicht zu einzelnen Personen auf der Geschäftsstelle. Ich war diese Woche auf der Geschäftsstelle und habe mit vielen Angestellten gesprochen. Wichtig ist für mich in dieser schwierigen Situation, in der viele verunsichert sind, dass die Leute mich kennen und ich weiss, wie es ihnen geht.
Warum ist die Situation schwierig?
Ich trete meine Stelle erst im Mai an. Das ist aus Sicht des SGV suboptimal. Ich muss und will aber bei meinem aktuellen Arbeitgeber noch wichtige Aufgaben zu Ende führen und bin gleichzeitig überzeugt, dass die Interimsführung beim SGV einen sehr guten Job macht.
Die «Weltwoche» hat diese Woche Ihre Ernennung zum Direktor als Folge eines Putschs dargestellt: Economiesuisse, NZZ und die PR-Agentur Furrerhugi hätten den rechtskonservativen Schneider mithilfe von SGV-Präsident Regazzi gestürzt. Ihre Reaktion darauf?
Ihre Frage gibt wieder einen Vorwurf wieder, der sich gegen Drittpersonen richtet. Es ist nicht meine Aufgabe, und ich bin auch nicht dazu in der Lage, solche Vorwürfe und Thesen zu kommentieren.
Die Konfliktparteien sollen sich vor allem über die Frage eines institutionellen Rahmenabkommens mit der Europäischen Union uneinig gewesen sein. Bigler und Schneider seien den «Putschisten» zu kritisch gewesen. Wo stehen Sie?
Ich stehe dort, wo es die Interessen des Gewerbes und der KMU zu verteidigen gilt. Der SGV hat den Marktzugang zur EU stets unterstützt, eine Haltung, die ich auch aus Sicht exportierender KMU natürlich teile. In der konkreten Ausgestaltung muss aber auch die Binnenwirtschaft vor unsinnigen EU-Regulierungen geschützt werden. Wichtige Messkriterien sind die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und die Souveränität.
Wird der SGV unter Ihnen von der rechtsprovokativen Kampforganisation zu einer zahmen Schwesterorganisation der anderen Wirtschaftsverbände?
Nein. Der SGV muss und wird die unabhängige und starke Stimme des Gewerbes und der Schweizer KMU bleiben.
Unter Hans-Ulrich Bigler fühlte sich der gemässigt bürgerliche Teil des Gewerbes vom SGV oft nicht gut vertreten. Das Gegenteil droht, wenn Sie jetzt gemässigter auftreten. Wie bringen Sie die Flügel zusammen?
Unterschiedliche Fraktionen gibt es in jedem Dorfverein wie auch in grossen Verbänden. Die Herausforderung ist, den gemeinsamen Nenner zu finden. Bei grossen Baustellen der Wirtschaftspolitik wie zum Beispiel in der Steuerpolitik ist dieser leicht zu finden, bei anderen Themen ist es schwieriger.
Interessant ist in diesem Kontext, dass Sie acht Jahre lang bei Economiesuisse gearbeitet haben. Dagegen haben Sie noch nie in einem klassischen KMU gearbeitet. Spüren Sie, wie KMU ticken?
Ich weiss sehr gut, wie KMU ticken, denn seit rund zehn Jahren leite ich zwei Verbände, deren Mitglieder grossmehrheitlich KMU sind. Und letztlich führe ich selber auch ein KMU.
Sie führen einen Wirtschaftsverband.
Ich führe eine Geschäftsstelle mit neun Mitarbeitenden. Auch wir müssen Statistiken von Bundesämtern ausfüllen. Und auch uns konkurrenziert der Staat zunehmend auf dem Arbeitsmarkt. Ich verstehe meine KMU-Mitglieder sehr gut, wenn sie über Bürokratie und Administrativaufwand berichten. Wer sagt, ich hätte keinen KMU-Stallgeruch, der irrt.
«Ich will mich heute noch nicht in Diskussionen über politische Details einmischen.»
Lassen Sie uns über weitere Sachfragen sprechen: Wie gehen Sie zum Beispiel den Fachkräftemangel an?
Wichtig ist die Ausrichtung des Bildungssystems an die Anforderungen des Arbeitsmarkts. Hier leisten KMU mit der Ausbildung von Lernenden eine wichtige Aufgabe. Ebenfalls wichtig ist die Gleichbehandlung von beruflicher und akademischer Bildung. Wir müssen zum Beispiel über den Professional Bachelor und Master sprechen, also einen international anerkannten Titel für Personen mit Berufsbildung.
Der Ständerat hat die Vorlage im Frühjahr abgelehnt, das Thema hat einen schweren Stand.
Aber wir müssen in diese Richtung denken und die Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöhen. Das erhöht die Attraktivität der Berufslehre.
Der Fleischverarbeiter Bell versucht es auf andere Weise und will einen Lehrlingslohn von 4000 Franken einführen. Ist das der richtige Weg?
Die Gesellschaft sollte verstehen, dass es eine gute Sache ist, eine Lehre zu machen. Verbände können das nicht allein sicherstellen, sondern Politik und Gesellschaft müssen das ebenfalls wollen.
Der Fachkräftemangel wird heute vor allem über die Einwanderung gelöst. Die Schweiz wächst im Moment um 80’000 Einwohner pro Jahr. Ob die Bevölkerung das noch lange mitmacht, ist unklar. Wie weiter?
Das ist eine grosse politische Baustelle, zu der ich mich im Moment noch nicht im Detail äussern kann. Wichtig ist aber, dass zuerst das inländische Potenzial ausgeschöpft wird. Ein Mittel zur Beseitigung entsprechender Fehlanreize ist hier beispielsweise die Einführung der Individualbesteuerung.
Sie sind also für die Individualbesteuerung, für die sich die FDP einsetzt, und nicht für die Splitting-Lösung der Mitte-Partei, die ebenfalls im Raum steht?
Ich will mich heute noch nicht in Diskussionen über politische Details einmischen. Mein Auftrag wird es sein, die Strategie des SGV umzusetzen.
Sie wollen sich als Direktor des Gewerbeverbands wirklich nicht in die Politik einmischen?
Sie haben versucht, mir eine Aussage zu entlocken, ob Lösung A oder B von Partei X oder Y richtig ist. Ich bin aber nicht das Sprachrohr einer bestimmten Partei.
Haben Sie eine Präferenz für eine Lösung?
Meine Präferenz ist weniger entscheidend. Verbände haben Meinungsbildungsprozesse. Die zuständigen Gremien beraten die verschiedenen Optionen und fällen die Entscheide, welche von der Geschäftsstelle umzusetzen sind.
Und was haben die Gremien entschieden?
Ihre Fragen verlieren sich in Details. Dabei ist wichtig, dass das Grundproblem gelöst wird. Das Grundproblem besteht darin, dass es steuerliche Anreize gibt, die dazu führen können, dass sich Mehrarbeit nicht lohnt.
Eine weitere Massnahme, um das inländische Potenzial besser ausschöpfen zu können, wäre eine nationale Subventionierung von Kita-Plätzen. Sind Sie dafür?
Das ist ein sehr spezifisches Thema.
Das Thema dürfte Ihre Mitglieder direkt betreffen und die Bundeskasse gegen eine Milliarde Franken im Jahr kosten. Es ist ein Kernanliegen Ihres Allianzpartners, des Arbeitgeberverbands. Haben Sie keine Meinung dazu?
Der SGV spricht sich nicht gegen eine finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand an den Kosten der familienexternen Kinderbetreuung aus. Laut Verfassung ist Familienpolitik aber eigentlich Sache der Kantone und der Gemeinden. Eine Lösung, welche die Finanzierung auf die Arbeitgeber abwälzen würde, lehnt der SGV in jedem Fall ab. Hier sind wir gleicher Meinung wie der Arbeitgeberverband.
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