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Interview zu Lehrlingslöhnen
«Die Kosten der Ausbildung würden für viele Betriebe zu hoch»

Eine Apparateglasblaeser Lernende bei der Herstellung eines Kugelkuehlers im Lehrbetrieb, fotografiert am Donnerstag, 21. April 2022 inder Firma Metroglas AG in Affoltern am Albis . (KEYSTONE/Christian Beutler)
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Bell-Chef Lorenz Wyss will Lehrlingen bis zu 4000 Franken bezahlen. Eine gute Idee, Frau Renold?

Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn eine Firma aus der Not heraus versucht, mit solchen Mitteln ihre offenen Lehrstellen zu besetzen. Kurzfristig dürfte die Firma damit auch Erfolg haben. Aber insgesamt profitiert die duale Berufsbildung nicht von solchen Aktionen.

Warum nicht?

Dann beginnen Firmen, einander gegenseitig Lehrlinge abzuwerben, und die Löhne gehen generell hoch.

Was wäre daran schlimm? Wir leben schliesslich in einer Marktwirtschaft.

Die duale Berufsbildung ist ein Schweizer Erfolgsmodell. Viele Firmen beteiligen sich daran und bilden Lehrlinge aus. Sie tun das auch aus Eigennutz, weil die Ausbildung rentiert. Bei Lehrlingslöhnen über mehrere Tausend Franken würden viele Betriebe über kurz oder lang keine Lehrlinge mehr ausbilden, da die Kosten zu hoch wären.

Das klingt jetzt nach Angstmacherei.

Es entspricht aber der Realität. Bei vielen Berufen überwiegen zu Beginn der Lehre die Kosten, weil viel ausgebildet werden muss. Firmen investieren in die Ausbildung der Jugendlichen und erhalten erst wenig Ertrag. Erst im dritten oder vierten Lehrjahr arbeiten die Lernenden produktiv, teilweise wie die fertig ausgebildeten Arbeitskräfte und werden zum Gewinnfaktor.

Fleischfachleute verdienen in der Lehre zwischen 900 und 1100 Franken. Ist das ein fairer Deal?

Unter dem Strich schon, weil sie ja in der Ausbildung sind. Es ist eine Win-win-Situation für die Firmen und die Jugendlichen und am Ende auch für die Gesellschaft.

Wie wichtig ist der Lohn bei der Lehrstellensuche?

Nicht so wichtig, wie man vielleicht denkt. In Singapur herrscht auch Lehrlingsmangel. Anlässlich einer Studie wurde dort getestet, was man mit materiellen Anreizen bewirken kann. Lehrlinge erhielten Antrittsprämien und dasselbe Gehalt wie fertig Ausgebildete. Mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen zwar die Prämien abgeholt, aber am Ende der betrieblichen Ausbildung trotzdem den Beruf gewechselt haben, wenn ihnen dieser nicht gefallen hat, oder ihr Studium an den Hochschulen fortgesetzt haben.

«Es gibt praktisch keine Hinweise dafür, dass Jugendliche eine bestimmte Lehre wegen des hohen Lohns wählen würden.»

Ist der Lohn nach der Lehre wichtiger als der Lohn während der Lehre?

Ja. Das Salär ausgebildeter Fleischfachleute liegt im Bereich von 4200 Franken. Man kann darüber diskutieren, ob das genug Motivation ist, um in der Branche zu bleiben, wenn man im dritten Ausbildungsjahr schon 4000 Franken verdient.

Ist Geld der einzige Motivationsfaktor für einen Beruf?

Nein, schon gar nicht für Jugendliche. In der Forschung gibt es praktisch keine Hinweise dafür, dass Jugendliche nach der obligatorischen Schulzeit eine bestimmte Lehre primär wegen des hohen Lohns wählen würden. Die meisten Jugendlichen sind in diesem Alter von ganz anderen Dingen motiviert und leben auch bei ihren Eltern. Viele Jugendliche wählen eine Lehre oft auch deshalb, weil sie keinen Bock auf Schule haben, etwas mit den Händen statt mit dem Kopf machen und in Teams mit Erwachsenen lernen wollen.

Trotzdem gelten handwerkliche, anstrengende Berufe nicht als sonderlich beliebt. Viele wollen lieber eine kaufmännische Ausbildung (KV) machen.

Das sehe ich etwas differenzierter. Wenn der Berufswahlprozess gut läuft, so geht es primär um die Motivation der Jugendlichen für die weiterführende Bildung. Viele wollen mit Holz, Metall, mit Menschen oder in der Natur arbeiten. Wer das KV machen will, muss beispielsweise mehrere Sprachen lernen wollen.

«Jugendliche müssen von anderen Jugendlichen direkt hören, was an einem Beruf interessant ist.»

Wie finden Spengler, Maurer, Bäcker mehr Lehrlinge?

Generelle Aussagen hierzu sind schwierig. Der Lehrstellenmarkt unterscheidet sich von Kanton zu Kanton stark. Ostschweizer Betriebe haben zum Beispiel weniger Probleme mit der Rekrutierung von Schreinerlehrlingen. Es gibt hier viele Vorbildbetriebe, die auch Berufsweltmeister ausgebildet haben. Und in Baselland macht zum Beispiel die Wirtschaftskammer sehr gutes Marketing für ihre Betriebe.

Wie funktioniert gute Werbung für einen Beruf?

Es geht um gutes Marketing und teenagergerechte Sprache. Jugendliche müssen von anderen Jugendlichen direkt hören, was an einem Beruf interessant ist. Lehrlinge, die an Berufsweltmeisterschaften mitmachen, sind oft gute Vorbilder. Man darf die Lehre auch nicht überdramatisieren. Es geht heute nicht mehr um einen Berufsentscheid fürs ganze Leben, sondern darum, erfolgreich durch die Adoleszenzphase zu kommen. Dafür muss man die Jugendlichen abholen.

Was soll Herr Wyss also konkret tun?

Er soll junge Botschafter suchen, die in einem Videoclip erklären, warum Fleischfachmann oder Fleischfachfrau ein spannender und wichtiger Beruf ist und was die schönen Seiten daran sind. Viele Leute ernähren sich inzwischen vegetarisch, aber viele essen nach wie vor Fleisch. Diese Leute geniessen es, gesundes und schön dargereichtes Fleisch zu konsumieren. Von diesem gesellschaftlichen Mehrwert würde ich in einem solchen Werbespot ausgehen.

Ein Mitarbeiter der Grossmetzgerei Bell AG in Basel produziert am 16. Januar 2007 Fleischvoegel. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

An employee of the butchery Bell AG in Basel is producing "Fleischvoegel" on January 16, 2007. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Und dann den Spot auf Tiktok ausspielen?

Ja, warum nicht? Berufsverbände haben auch schon einmal einen Rapper für einen Werbefilm engagiert. Man muss die Jugendlichen auf den Kanälen ansprechen, wo sie sich heute aufhalten.