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Mögliche Revolution im Arbeitsmarkt
Über 4000 Franken im dritten Lehrjahr: Bell-CEO will Löhne massiv erhöhen

«Nicht ohne»: Sagt Bell-CEO Lorenz Wyss über die Arbeit bei Bell.
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Lorenz Wyss, der CEO von Bell, mag ein Mann der klaren Worte sein und einer auch, der gern eine humorvolle Note in seine Ausführungen packt. Also beginnt er ein Thema, das ihn besonders beschäftigt, auch so: «Ich war vor unserem Interview beim Coiffeur, Ihretwegen, genau 20 Minuten, über das Resultat kann man sich streiten, das interessiert mich nicht.»

Was ihn interessiert: Er hat sich in diesen 20 Minuten mit seiner Coiffeuse unterhalten, genauer gesagt über das Lehrlingswesen. Wyss sagt: «Kurzantwort: Sie findet keine. Ein Lehrling bekommt dort 400 Franken Lohn, ist aber wie alle anderen auch acht Stunden auf den Beinen.»

Bei Bell ist das genau gleich, es werden Lehrstellen in 15 Berufen angeboten, unter anderem als Fleischfachmann respektive -frau. Dabei, sagt Wyss, «fängst du früh an, wirst nass. Das ist nicht ohne. Da müssen wir einen Anreiz bieten.»

Der Lohn als Lösungsansatz

Anreize bieten klingt ja einigermassen harmlos, aber das Vorhaben, über das Lorenz Wyss nun spricht, ist eher eine Revolution. Er will mehr junge Leute anstellen, weil Bell – wie viele andere Unternehmen – ein Problem hat, die Stellen zu besetzen. Wyss hat das im Interview mit dieser Redaktion schonungslos angesprochen: «Wir haben gerade 20 Lehrlinge angestellt. Davon einen Metzger. Das ist katastrophal, aber auch der Trend. Darum sage ich: Wir brauchen dreimal so viele Lehrlinge, wenn wir nachhaltig gut aufgestellt sein wollen. Das treibt mich sehr um.»

Darum sieht er folgenden Lösungsansatz: «Ein Lehrling verdient im ersten Lehrjahr 2000 Franken, im zweiten 3000 und im dritten den Mindestlohn von 4200 Franken – jeweils zusammengesetzt aus einem Basisteil und einer Leistungskomponente.»

Rumms. 

«Das ist ein messbares Zeichen zur Stärkung der Berufslehre. Ein schöner Wertschätzungsgedanke.»

Jörg Buckmann, Personalmarketingexperte

Damit würde Bell die Lehrlingslandschaft ziemlich stark verändern. Aber Wyss sagt: «Eine Komponente ist der Lohn, der – wie er sich heute präsentiert – nicht in die Zeit passt.» Ihm schwebt zudem vor, dass Bell die Lehrlinge auch begleitend dabei berät, was sie mit dem Geld machen können – «etwa, dass sie 200 oder 300 Franken schon früh in einer dritten Säule anlegen». Und er sagt ebenso: «Es ist auch ein Fakt, dass viele Junge auch zu Hause etwas zum Familienbudget beitragen. Mit dem jetzigen Ausbildungslohn ist das aber fast nicht möglich.»

Jörg Buckmann, ein renommierter Personalmarketingexperte, findet für Wyss’ Vorhaben nur lobende Worte: «Ich finde die Lehrlingsoffensive von Bell eine gute Sache, auch echt mutig. Das hat eine nicht zu unterschätzende bildungspolitische Komponente. Auch der Gedanke dahinter ist spannend: Lehrlinge im letzten Jahr werfen schon einen Profit ab. Was mich am meisten freut: Das ist ein messbares Zeichen zur Stärkung der Berufslehre. Ein schöner Wertschätzungsgedanke.»

Aber Buckmann sagt auch: «Für mich ist auch klar: Damit wird man sich in der Wirtschaft, die ebenfalls Lehrlinge ausbildet, nicht so viele Freunde machen.» 

«Der Lohn hat Ausbildungscharakter»

Dass er damit nicht völlig falschliegt, beweisen die Aussagen von Saskia Schenker. Die Direktorin des Arbeitgeberverbands Region Basel sagt: «Wir mischen uns generell nicht in die Entscheidungen der Unternehmen ein – schon gar nicht, wenn eines ihr Lehrlingswesen fördert und sich so engagiert. Es ist jedoch auch so: Man muss auch an die Branche denken.»

Was Schenker damit meint und was sie etwas skeptisch stimmt: Nicht alle Unternehmen können da mitgehen, «das muss man sich auch leisten können». Und vor allem dürfe nicht in Vergessenheit geraten in dieser Debatte, «dass der Lehrlingslohn ja nicht nur für die geleistete Arbeit aufkommt, sondern eben auch fürs Lernen. Er hat Ausbildungscharakter.» Schenker nennt zum Beispiel Prüfungen, für die der Arbeitgeber aufkommt, überbetriebliche Kurse et cetera.

Dass er mit Widerstand rechnen muss – und mit Geld allein auch noch nicht alle Probleme gelöst sind: Das weiss auch Wyss. «Am Schluss ist alles intrinsisch – wer nur dem Geld nachrennt, ist selber schuld. Aber der Lohn ist halt eine wichtige Komponente. Mein Vorschlag mag ein heisses Eisen sein, aber mögliche Kontroversen halte ich aus, und wenigstens entsteht eine Diskussion. Dafür setze ich mich ein.»

«Wir müssen den Jungen sagen: Du bist wertvoll, du bist wichtig, auf dich setzen wir.»

Lorenz Wyss, Bell-CEO

Es kann für den Bell-CEO nicht mehr sein, dass ein Ungelernter mehr verdient als ein Lehrling im dritten Lehrjahr, da die geleisteten Arbeiten vergleichbar sind. Wyss sagt: «Am Ende wäre der Lohn ein Teil unserer Wertschätzung, die wir auch den Jungen schon entgegenbringen wollen. Wir müssen ihnen sagen: Du bist wertvoll, du bist wichtig, auf dich setzen wir – weil wir ja wollen, dass du nach der Lehre bei uns bleibst.»

Wyss’ Motivation dürfte auch daher rühren, dass er kein Akademiker ist, sich vom Metzgerlehrling zum CEO hochgearbeitet hat. In der «Finanz und Wirtschaft» hat er mal gesagt: «Ich bin kein Sozialist, aber es nervt mich, wenn Manager meinen, sie seien mehr wert als die Leute aus der Belegschaft.»

Heute sagt er: «Dann bin ich halt Sozialist, ist mir völlig egal. Ich habe die Menschen gern, und ich behandle sie alle gleich, egal, welche Funktion sie bei uns haben: Die Frau, die hier in meinem Büro ab und an staubsaugt, ist gleich viel wert wie ich.»

Und er will gute, motivierte Leute. Die talentiertesten auch. Schon möglichst früh. «Nur motivierte Mitarbeiter machen ein Unternehmen zum besten, das es gibt. Das wollen wir sein – die Besten in unserer Branche. Vor anderthalb Jahren haben wir das in unserer Strategie festgeschrieben. Das ist kein Lippenbekenntnis, das ist Knochenarbeit. Und das erfordert manchmal, dass man neue Wege geht. Die verbesserten Lehrlingslöhne sind aus meiner Sicht ein probates Mittel, unser Ziel zu erreichen.»

«Der Lohn ist wichtig»

Personalmarketingexperte Jörg Buckmann stimmt zu, widerspricht aber auch in einem Punkt. Ja, Arbeit sei intrinsisch, «aber was oft vergessen wird und ich immer wieder betone: Der Lohn ist wichtig. Wenn man Junge fragt, tun sie zwar oft so, als wäre das nicht so wichtig. Ich glaube das aber nicht.» Darum hält er es für möglich, dass der hohe Lehrlingslohn «zum Wettbewerbsvorteil» werden kann. Er würde dies auf dem Arbeitsmarkt auch nicht als «Wettbewerbsverzerrung», sondern als «spannendes, smartes neues Element im Kampf um die besten Mitarbeiter» empfinden.

Dass das vielleicht Teenager aus falschen Motiven anlockt: Das glaubt er nicht. Wer sich mit 13 oder 14 Jahren für Lehrstellen bewerbe, der analysiere ja nicht jedes Unternehmen mittels professioneller Prüfungs-Tools. Auch das Geld sei noch nicht entscheidend. «Wichtig ist ein erster guter Eindruck, etwa am Schnuppertag. Wenn der Lohn dann noch höher ist, dann kann dies das Zünglein an der Waage sein, zu Bell zu gehen.»

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