Willkürjustiz in der TürkeiErdogans Mann fürs Grobe: Dieser Staatsanwalt soll dem türkischen Präsidenten die Herrschaft auf Lebenszeit sichern
Akin Gürlek wird von der türkischen Opposition als «mobile Guillotine» bezeichnet. Nun soll der Istanbuler Oberstaatsanwalt den grössten Rivalen von Staatspräsident Erdogan aus dem Weg räumen.
- Präsident Erdogan will seine Herrschaft durch Justiz und Verfassungsänderungen auf Lebenszeit sichern.
- Staatsanwalt Akin Gürlek verfolgt in Istanbul die Erdogan-Gegner.
- Erdogan will offenbar PKK-Chef Abdullah Öcalan freilassen, um die Sympathien der Kurden zu gewinnen.
Es ist kein Geheimnis, dass etwa die Hälfte der Türken und Türkinnen die Herrschaft von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ablehnt. Bei den letzten Kommunalwahlen im Frühjahr gewann die Opposition die fünf grössten Städte, darunter Istanbul und Ankara. Es war die wohl bitterste Niederlage Erdogans, seit er 2002 die Macht übernommen hat.
Um den Unmut des Volkes zu besänftigen, verspricht der Autokrat jeweils vor Wahlen, seine politische Karriere werde nicht mehr lange dauern. Vor den erwähnten Gemeindewahlen kündigte er beispielsweise das Finale an, sein «letztes Mal». Vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr liess er verlauten, er werde nach einem allfälligen Sieg keine weitere Amtszeit mehr anstreben. Er gewann die Wahl.
Aber wird sich Erdogan im Jahr 2028 wirklich aus seinem Palast mit 1000 Zimmern zurückziehen und damit Abschied von der Politik nehmen? Vieles spricht dagegen. Tatsächlich stellt er gerade die Weichen für eine Herrschaft auf Lebenszeit.
Akin Gürlek ist Erdogans Geheimwaffe
Kürzlich entsandte der Staatschef einen gefürchteten Mann nach Istanbul als Chefankläger. Der bisherige stellvertretende Justizminister Akin Gürlek gilt als Erdogans Geheimwaffe im Kampf gegen seine Rivalen. In Oppositionskreisen wird Gürlek als «mobile Guillotine» bezeichnet – ein Werkzeug, das immer dort zum Einsatz kommt, wo der Präsident es gerade benötigt.
Seine Kritiker befürchten, dass Gürleks Aufgabe am Bosporus darin bestehen könnte, die oppositionelle, sozialdemokratisch geprägte CHP zu bekämpfen, die in Umfragen besser abschneidet als die Regierungspartei AKP. Kaum im Amt, liess Gürlek den Bürgermeister von Esenyurt, Ahmet Özer, festnehmen.
In diesem Istanbuler Stadtteil leben etwa eine Million Menschen, darunter viele Kurden. Auch der inzwischen abgesetzte Lokalpolitiker Özer ist Kurde und gehört der CHP an. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Glaubwürdige Beweise dafür liegen nicht vor. Vor den Kommunalwahlen hatte er von den Sicherheitsbehörden ein Unbedenklichkeitszeugnis erhalten.
Droht ein Politikverbot für Erdogans Konkurrenten?
Welches Ziel verfolgt die Willkürjustiz mit dem Vorgehen gegen den kurdischen Politiker? Özer war lange Zeit Berater des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu, der Erdogans grösster innenpolitischer Rivale ist. Im Verfahren gegen Özer sollen auch Imamoglu und der CHP Verbindungen zur Terrororganisation PKK unterstellt werden. Kommt die türkische Justiz zu diesem Schluss, kann sie Imamoglu mit einem Politikverbot belegen. Falls dies geschieht, wird er 2028 nicht gegen Erdogan kandidieren können.
Es ist zu befürchten, dass Staatsanwalt Akin Gürlek für Repressionsmassnahmen gegen Oppositionspolitiker bereitsteht. Als Richter in Istanbul hat er früher Anwälte, Journalisten, Oppositionelle und Aktivisten verfolgt. Im März 2019 verurteilte er 18 Menschenrechtsanwälte zu insgesamt 159 Jahren Haft wegen Terrorismusvorwürfen.
Gürlek sorgte dafür, dass der populäre kurdische Politiker Selahattin Demirtas ins Gefängnis kam – angeblich habe er Terrorpropaganda verbreitet. Tatsächlich hatte der «kurdische Obama» zu friedlichen Protesten aufgerufen. Gegen die CHP-Chefin in Istanbul, Canan Kaftancioglu, verhängte der umstrittene Justizbeamte ebenfalls ein Politikverbot wegen einiger älterer Tweets, in denen sie Erdogans autoritäre Herrschaft kritisiert hatte.
Auch gegenüber Osman Kavala, einem bekannten türkischen Bürgerrechtler und Mäzen, zeigte Gürlek keine Milde. Kavala befindet sich mittlerweile seit fast acht Jahren in Haft, und seine Anträge auf Freilassung werden regelmässig abgelehnt.
In einem Brief an seine Frau schrieb er zuletzt: «Nun habe ich einen grossen Teil der Jahre, die mir nach meinem 60. Geburtstag noch an aktivem Leben bleiben, im Gefängnis verbracht. Ich konnte mein Leben nicht mit meiner Frau verbringen, konnte nicht mit meiner Mutter und meinen Lieben zusammen sein.»
Kommt Öcalan bald frei?
Neben der Bekämpfung seiner Gegner mithilfe der Justiz verfolgt Erdogan weitere Pläne, um seine Macht zu zementieren. Gemäss Verfassung darf er 2028 nicht mehr für das höchste Amt im Staat kandidieren. Nun haben er und seine ultranationalistischen Partner erneut die Debatte über eine Verfassungsänderung lanciert. Dies kann nicht ohne eine Dreifünftelmehrheit der Abgeordneten im Parlament erfolgen. Danach müsste die Verfassung vom Volk in einem Referendum angenommen werden.
Im Parlament benötigt Erdogan die Unterstützung der kurdischen Partei DEM. Um die Herzen der Kurden zu gewinnen, sendet der Präsident seit Wochen überraschende Signale der Versöhnung. Im Gespräch ist sogar die Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan, der seit 1999 im Gefängnis sitzt.
Bevor dies geschieht, müsste Öcalan die Selbstauflösung seiner Miliz verkünden. Erdogan drängt plötzlich auf eine historische Einigung mit den Kurden, um ihre Sympathien zu gewinnen, die er 2028 in Stimmen ummünzen könnte. Um widerspenstige Kurden soll sich Staatsanwalt Akin Gürlek kümmern, Erdogans Mann fürs Grobe.
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