Kommentar zur TürkeiErdogan misstraut dem Westen, aber aufgeben wird er ihn nicht
Die Türkei sucht seit Monaten neue Partner, sie redet selbst mit eben noch verfeindeten Ländern wie Ägypten oder Syrien. Jetzt geht es um einen Beitritt zum antiwestlichen Brics-Verbund. Das sind nur Zweckbündnisse.
Die türkische Aussenpolitik folgt einer ziemlich einfachen Doktrin. Sie lässt sich in vier Wörter fassen: Wir reden mit allen. Mit Ausnahme von Israel, aber auch das erst seit dem Gazakrieg. Noch vor einem Jahr traf Präsident Recep Tayyip Erdogan in New York den israelischen Premier Netanyahu. Damals konnte sich Erdogan sogar einen Besuch in Israel vorstellen. Das ist aber alles lange her.
Zuletzt ging Erdogan sogar auf den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu, lange Zeit sein persönlicher Feind; auch geht es gerade um ein Treffen mit Machthaber Bashar al-Assad und einen Neuanfang mit Syrien. Jetzt wurde überdies bekannt, dass die Türkei den Brics-Staaten beitreten will, zu denen unter anderem Russland, China und Indien gehören, seit diesem Jahr auch der Iran, Saudiarabien und Ägypten. Das Ziel der Allianz ist es, ein Gegengewicht zur geopolitischen und wirtschaftlichen Dominanz des Westens – insbesondere zu den G-7, den sieben bedeutendsten Industriestaaten der westlichen Welt – zu schaffen.
Die Türkei wäre bei den Brics das erste Nato-Land. Erdogan balanciert also zwischen den Blöcken, er steht zur Nato und zur Ukraine und pflegt gleichzeitig seine Freundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin.
Es geht um Transaktionen, nicht um Freundschaften
Bei den Brics wird es nicht weniger kompliziert: Mit China ist es schwierig, der muslimischen Minderheit der Uiguren wegen, als deren Schutzherr sich Erdogan sieht; aus indischer Sicht stehen sich die Türkei und Pakistan zu nah.
Im Englischen gibt es für solche Beziehungen das Wort «transactional», es geht um Transaktionen. Wenn die Türkei mit Russland spricht, geht es um Gas, um russische Atomreaktoren in der Türkei. Wenn die Türkei mit dem Iran redet, geht es um eine Lösung des Syrienkonflikts. Freundschaften sind das nicht. Das sind nur Zweckbündnisse, die auch wieder enden können, falls sich die geopolitische Landschaft ändert.
Recep Tayyip Erdogan hat verstanden, dass die Zeit der westlichen Vorherrschaft vorbei ist. Ohnehin glaubt er – wohl nicht zu Unrecht –, dass der Westen die Türkei nie ganz akzeptiert hat. Er will das Land also zwischen den Blöcken ansiedeln, als Vermittler in einer multipolaren Welt. Dabei allerdings ist sein grösster Vorteil nach wie vor die Mitgliedschaft in der Nato. Die Nähe zu Europa. Ohne sie wäre die Türkei für die Brics-Länder nur halb so interessant. Erdogan wird den Westen deswegen nie aufgeben.
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