Verfolgung von GülenistenErdogans langer Arm reicht bis nach Kenia
Der Prediger Fethullah Gülen ist tot, doch die türkische Regierung jagt weiter seine Anhänger auf der ganzen Welt. In Kenia wurden gerade vier Türken entführt und in ein Flugzeug gesetzt.
- Recep Tayyip Erdogan kündigt an, Gülen-Anhänger weltweit zu verfolgen.
- In Kenia wurden vier mutmassliche Gülen-Anhänger in die Türkei zurückgebracht.
- Nach Putschversuch 2016 sind Tausende Gülen-Anhänger in der Türkei inhaftiert.
- Menschenrechtsorganisationen kritisieren Kenias Abschiebung der vier Personen scharf.
Der türkische Präsident klang, als wäre es etwas Persönliches. Am Montag war bekannt geworden, dass Fethullah Gülen tot ist, der Prediger im US-amerikanischen Exil, den die Türkei für den Putschversuch im Jahr 2016 verantwortlich macht. Erst schwieg Recep Tayyip Erdogan, dann schrieb er am Dienstag auf X über den Tod Gülens, ohne dessen Namen zu nennen. Er sprach nur vom «Hauptverräter» und «denjenigen, die die Nation manipulierten».
Diese, so Erdogan, hätten «diese Welt verlassen, ohne für die Verbrechen, die sie begangen haben, zur Rechenschaft gezogen zu werden». Der «göttlichen Gerechtigkeit» würden sie aber nicht entgehen können. Zudem hatte der Präsident eine Botschaft an jene Gülen-Anhänger, die noch am Leben und ins Ausland geflohen sind. Die Türkei werde «die Verräter» aufspüren, ob im Land selbst «oder in den entlegensten Winkeln der Welt».
Wie ernst es Erdogan damit meint, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. Nicht am Ende der Welt, aber doch weit entfernt von der Türkei: in Kenia. Das Aussenministerium des ostafrikanischen Landes bestätigte am Montag, dass man vier türkische Staatsbürger in die Türkei zurückgebracht habe. Und zwar auf Anfrage der türkischen Regierung.
Die vier hätten in Kenia als Flüchtlinge gelebt, hiess es. Kenia pflege, so das Ministerium, «stabile und strategische Beziehungen» mit der Türkei, und die türkischen Behörden hätten versichert, dass die vier Personen «mit Würde» und im Einklang mit nationalem und internationalem Recht behandelt würden. Welche Rolle die Kenianer bei der Festnahme der türkischen Bürger spielten, geht aus der Stellungnahme nicht hervor.
Von «maskierten Männern» entführt
Was in den Worten der kenianischen Regierung nach einem halbwegs geregelten Vorgang klang, fasste die BBC mit dem Wort «abducted» zusammen: entführt. Das britische Radio hatte mit einem der Betroffenen in Kenia gesprochen, einem Mann, der auch einen britischen Pass hat. Er erzählte von «maskierten Männern», die ihn und die anderen in Nairobi gefangen genommen hätten. Ihn und offenbar noch zwei andere hätten die Maskierten nach acht Stunden freigelassen, in seinem Fall wohl wegen seines britischen Passes.
Damit entging er dem, was die vier Verbliebenen erwartete: der Abschiebung in die Türkei. Was genau aus ihnen wurde, ist bisher nicht bekannt. Ein wahrscheinliches Schicksal dürfte sein, dass sie in der Türkei als mutmassliche Gülen-Anhänger vor Gericht gestellt werden: ein Vorwurf, dem in Erdogans Land in der Regel eine Verurteilung folgt. In der Vergangenheit reichten dafür auch schon dünne bis fragwürdige Indizien. Zum Beispiel, dass die Angeklagten eine bestimmte App auf dem Handy installiert hatten.
Den Kampf gegen Gülens Netzwerk führt die Türkei auch mehr als acht Jahre nach dem Putschversuch fort. Für das Land war die Putschnacht im Juli 2016 ein Trauma, für Recep Tayyip Erdogan selbst auch. Gülen hatte in vielen Ländern der Welt Schulen eröffnet; in der Türkei selbst infiltrierte er den Staat, lange Jahre im Bündnis mit Erdogan. Erst 2013 kam es zum Bruch, seither versuchten Gülen und seine Anhänger, dem einstigen Freund Erdogan die Macht zu entreissen. Der dagegen wollte den Staat allein auf sich ausrichten.
12’000 Gülenisten in Haft
Auch die türkische Opposition und ausländische Geheimdienste bezweifeln nicht, dass Gülenisten wenigstens einen Grossteil der putschenden Militärs stellten – denen es fast gelungen wäre, auch den Präsidenten persönlich zu töten. Mehrere Hundert Menschen, die sich in der Nacht den Panzern entgegenstellten, starben. Danach liess Erdogan den Staatsapparat durchleuchten, Hunderttausende wurden entlassen oder festgenommen, es folgten 120’000 Verurteilungen. Etwa 12’000 Menschen sitzen als verurteilte Gülenisten noch immer in Haft, in der Türkei gelten sie als Mitglieder einer Terrororganisation.
Und der türkische Geheimdienst MIT macht noch immer Jagd auf Gülenisten im Ausland, wie jetzt eben wohl auch in Kenia. Vergangenes Jahr bestätigte der MIT, dass er mehr als 100 Gülen-Anhänger «aus verschiedenen Ländern» in die Türkei gebracht habe. Oft handelte es sich um Balkanländer, aber auch zum Beispiel um Aserbaidschan. Dass der Geheimdienst die Zahl so offiziell bekannt gab, darf man als Warnung an alle Anhänger Gülens verstehen: Ihr seid nirgendwo sicher.
Menschenrechtler sind entsetzt
Laut der internationalen NGO Freedom House belegt die Türkei nach China den zweiten Platz weltweit bei «transnationaler Repression», also der Verfolgung von Bürgern im Ausland. Man stimme sich immer mit den Regierungen der jeweiligen Länder ab, hiess es dazu vor einer Weile von türkischer Seite. Immer wieder nutzt die Türkei aber auch politischen Druck, so geschehen im Fall des schwedischen Nato-Beitritts. Den blockierte Ankara lange; der türkische Präsident hatte dem Land eine Liste mit Personen übergeben, die er gern in Flugzeugen in die Türkei sähe.
In Kenia zeigten sich Menschenrechtsorganisationen nun entsetzt über ihre eigene Regierung. Man sei «geschockt», teilten Amnesty International Kenya und andere Gruppen in einem Schreiben mit. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung, des sogenannten Non-Refoulement, sei ein Grundpfeiler des Flüchtlingsschutzes. Kenia habe die vier Abgeschobenen grosser Gefahr ausgesetzt. Auch die UNO-Flüchtlingsagentur UNHCR teilte mit, sie sei «zutiefst besorgt».
Dass türkische Agenten in Kenia operieren, hat eine gewisse Tradition. Im Jahr 1999 nahmen sie dort Abdullah Öcalan fest, den Anführer der verbotenen kurdischen PKK-Miliz. Er sitzt bis heute in Haft, wobei Erdogans Regierung zuletzt eine Freilassung erwog – sollte Öcalan danach verkünden, dass sich die PKK auflöst. Das war vor dem Anschlag auf einen Rüstungskonzern in Ankara am Mittwochabend. Die Anhänger Fethullah Gülens werden ein solches Friedensangebot wohl nicht so schnell bekommen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.