Analyse zum EU-GipfelOrban provoziert am Graben zwischen Ost und West
Ungarns Regierungschef Viktor Orban polarisiert am EU-Gipfel mit einem neuen homophoben Gesetz. Auch beim Umgang mit Wladimir Putin oder mit der Migration tut sich ein Graben zwischen Ost und West auf.
Es ist voraussichtlich der letzte EU-Gipfel mit Angela Merkel. Doch im Fokus des Treffens in Brüssel dürfte Viktor Orban stehen, ein anderer Veteran der Runde: Ungarns Regierungschef polarisiert mit einem neuen Gesetz, das sexuelle Minderheiten diskriminiert. Am Gipfel soll es sonst um die Migrationspolitik und den Umgang mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin gehen, zwei weitere Themen, wo der Graben zwischen Ost- und Westeuropäern tief ist.
Viktor Orban spaltet mit Gesetz gegen sexuelle Minderheiten
Es ist nicht das erste Mal, das Ungarns Regierungschef an einem EU-Gipfel für Streit sorgt. Viktor Orban braucht Konfrontation und Feindbilder, um seine Macht immer wieder neu zu konsolidieren. Doch so prompt wie jetzt war die Kritik noch nie. Anlass ist ein neues ungarisches Gesetz, das sich formell gegen Pädophile richtet, in dem aber ein Amalgam mit Homosexualität und Pornografie gemacht wird. «Pädophile, Pornografie und Homosexualität zu mischen ist inakzeptabel», sagte Luxemburgs Premier Xavier Bettel am EU-Gipfel.
Noch deutlicher wurde der Niederländer Mark Rutte. Ungarn solle das Gesetz zurücknehmen oder die EU verlassen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht Grundwerte der EU infrage gestellt, die sich dem Kampf gegen Diskriminierung und dem Respekt der Menschenwürde verschrieben habe. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat das Gesetz als «Schande» bezeichnet und rechtliche Schritte angekündigt. 17 Staats- und Regierungschefs haben vor dem Gipfel einen Protestbrief unterschrieben. Von den östlichen EU-Staaten machten nur Estland und Lettland mit. Viktor Orban betreibt die Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa gezielt.
Uneinig im Umgang mit Putin
Weshalb soll sich die EU-Spitze nicht mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen, wenn es US-Präsident Joe Biden kann? Ein entsprechender deutsch-französischer Vorstoss hat kurz vor dem EU-Gipfel die Osteuropäer massiv verärgert. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängen darauf, die Dynamik nach dem Gipfel in Genf zu nutzen und Putin mit Blick auf einen Neuanfang in den Beziehungen zu einem Spitzentreffen einzuladen. Zwar sehen Merkel, Macron und Putin sich bilateral immer mal wieder. Die EU hat jedoch seit der russischen Annexion der Krim 2014 die jährlichen Gipfel mit Russlands Staatsoberhaupt abgesagt.
Vor einem solchen Dialog müsse Russland sich in der Frage der Krim und beim Krieg in der Ostukraine bewegen, warnte der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins in Brüssel. Ein klares Nein auch aus Polen. Ein Dialog auf höchster Ebene sei nur möglich, wenn die russische Führung ihre aggressive Politik stoppe, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Auch der Umgang mit Putin spaltet die EU zwischen Ost und West. Wobei hier ausgerechnet Viktor Orban ausschert, ein Bewunderer des Autokraten in Moskau. Die Gipfelerklärung widerspiegelt den Spagat zwischen Bereitschaft zum Dialog und klarer Kampfansage gegenüber «böswilligen, rechtswidrigen und disruptiven Aktivitäten Russlands».
Streitthema Migration
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres war Stargast zum Auftakt des Gipfels am Donnerstag. Der Portugiese appellierte an die EU, beim Streitthema Migration endlich gemeinsam zu handeln. Eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik ist in der EU seit Jahren blockiert. Auch hier liegt es an unterschiedlichen Prioritäten und mangelnder Sensibilität zwischen Ost- und Westeuropäern. Die Osteuropäer mit Viktor Orban an der Spitze wollen von Verteilquoten für Asylsuchende nichts wissen und einseitig auf Abschreckung setzen. Die Blockade in der Migrationsfrage wird auch am Gipfel nicht aufgelöst werden. Kein Wunder, verwischen sich die Fronten zunehmend, wird Abschottung der kleinste gemeinsame Nenner in der EU. Passend dazu dürfte es am Gipfel eine erste Aussprache zu einer Neuauflage des Türkei-Deals geben, in dessen Rahmen Ankara sechs Milliarden Euro ausbezahlt bekommen hat, um Flüchtlinge aus Syrien zu versorgen. Die EU stellt der Türkei weitere 3,5 Milliarden Euro in Aussicht.
Rechtsstaatsmechanismus gegen Orban und Co.
Die EU-Kommission hat bereits begonnen, erstmals in grösserem Umfang gemeinsame Anleihen auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen reist in alle Hauptstädte und nimmt die nationalen Investitionspläne entgegen. Es könnte ein neuer Gründermoment für die EU sein. 750 Milliarden Euro sollen in Form von Zuschüssen und Krediten über den Corona-Wiederaufbaufonds in die Mitgliedstaaten fliessen, mit Schwerpunkt in Klimaschutz und Digitalisierung.
An den Fonds ist aber auch der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus gekoppelt, der zwischen Ost und West noch für viel Ärger sorgen könnte. Die Nettozahler im Norden haben den Mechanismus durchgesetzt und wollen, dass die EU-Kommission die Auszahlung von Geldern stoppt, wenn in den Empfängerländern Gefahr von Missbrauch und Korruption besteht. Im Visier auch hier vor allem Ungarn und Polen. Dort ist die Justiz nicht mehr oder nur noch beschränkt unabhängig und könnte gegen den Missbrauch mit EU-Geldern nicht mehr vorgehen.
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