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Neuer Regierungschef
Ein einstiger Separatist will Belgien retten

Der neue Premierminister Belgiens, Bart De Wever in Anzug und Krawatte am 20. Januar 2025 in Antwerpen.
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In Kürze:
  • Der frühere flämische Separatist Bart De Wever wird Belgiens neuer Premierminister.
  • Seine Fünferkoalition namens «Arizona» plant tiefgreifende wirtschaftliche Reformen.
  • Ziel ist, den hoch verschuldeten Staat zu sanieren.

Bart De Wever und der belgische König Philippe, das ist nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick. De Wever, 54, stammt aus der flämischen Unabhängigkeitsbewegung, die von ihm geführte Partei namens Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) hat noch immer das langfristige Ziel einer Loslösung der Region Flandern aus dem Staat Belgien im Programm, zumindest als Folklore – und das Königshaus ist das höchste Symbol für diesen ungeliebten Staat. So gesehen haben De Wever und der König in den vergangenen acht Monaten beachtliche Fortschritte erzielt.

Seit den Parlamentswahlen im Juni 2024 trafen sich die beiden Männer 18-mal zum Gespräch. Die belgische Verfassung sieht vor, dass der König die Regierungsbildung lenkt. Und so berichtete De Wever, Chef der stärksten Partei im neuen Parlament, immer wieder über seine Fortschritte bei der Suche nach einer Koalition. Am späten Freitagabend konnte De Wever Vollzug melden. Hinterher lobte er den König in den höchsten Tönen, die einem Flamen möglich sind: Philippe sei «immer objektiv» gewesen, habe «einen guten Job gemacht», er habe ihm «nichts vorzuwerfen».

Bart De Wever, seit 2013 Bürgermeister von Antwerpen, als neuer Premierminister – das ist für Belgien eine historische Nachricht: Der einstige Separatist übernimmt die Verantwortung für ganz Belgien. Sein Anspruch ist nichts Geringeres, als diesen hoch verschuldeten, in seinem extremen Föderalismus gefangenen Staat zu sanieren. Die fünf Jahre einer Legislaturperiode würden dazu gar nicht ausreichen, sagte De Wever am Freitag. Es klang, als bereite er sich schon auf eine zweite Amtszeit vor.

De Wevers Partei gilt als gemässigt konservativ

Der alte Konflikt zwischen Flamen und Wallonen führt dazu, dass Regierungsbildungen in Belgien sich immer wieder über viele Monate hinziehen. Aus den Wahlen 2019 ging eine Not-Koalition aus sieben Parteien hervor, die vom flämischen Liberalen Alexander De Croo geführt wurde. Die Wahlen 2024 eröffneten jedoch unverhofft die Gelegenheit zu einer regional ausgewogenen Koalition aus der Mitte des Parteienspektrums heraus.

De Wevers N-VA gilt als gemässigt konservativ, als Vorbild nennt er immer wieder die deutsche CSU. Seine stärksten Partner sind die französischsprachigen Liberalen (MR), die bei den Parlamentswahlen die Sozialisten als stärkste Kraft in der Region Wallonien abgelöst haben. Zu dieser Achse gesellen sich die flämischen Sozialdemokraten, die flämischen Christdemokraten und eine zweite wallonische Partei, die aus den Christdemokraten hervorging. Dieses Fünferbündnis wird in Belgien «Arizona-Koalition» genannt, weil ihre Parteifarben – Orange, Blau, Rot, Gelb – sich auf der Flagge Arizonas wiederfinden, zumindest ungefähr.

Die fünf Parteien haben sich ein Programm gegeben, das Belgien wieder flottmachen soll. Belgien war einer von sieben Staaten, gegen die die EU vergangenes Jahr ein Defizitverfahren eingeleitet hat. Der Schuldenstand lag 2023 bei mehr als 105 Prozent der Wirtschaftsleistung, Zielmarke sind 60 Prozent. Das Land habe «den schlimmsten Etat der westlichen Welt», sagt Bart De Wever.

Die belgischen Gewerkschaften haben, bereits bevor die Koalition endgültig stand, gegen deren Programm Grossdemonstrationen organisiert. Einschnitte gibt es bei Renten und Arbeitslosengeld. Der Mindestabstand zwischen Löhnen und Sozialleistungen soll steigen. Die Sozialdemokraten tragen das mit, erhielten aber als Zugeständnis die Einführung einer Kapitalertragsteuer. Geeinigt haben sich die fünf Parteien auch auf einen Wiedereinstieg in die Kernenergie und eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Überraschend angesichts der liberalen Ausrichtung der Koalition: ein Rauchverbot im Aussenbereich von Gaststätten.

An die Brandmauer gegen rechts hält sich De Wever

Was das grosse europäische Thema Migration betrifft, so hat sich die Koalition darauf verpflichtet, die Flüchtlingszahlen nachhaltig zu senken – allerdings im Zusammenspiel der Europäischen Union. De Wever zählt nicht zu den Scharfmachern bei diesem Thema. Seinen Wahlsieg verdankte er der Strategie, auf Wirtschaftsthemen und den Kampf gegen den angeblich links-grünen Zeitgeist zu setzen – und Fragen der Migration kleinzuhalten. So überflügelte er die in Umfragen lange Zeit führenden Rechtsextremen von Vlaams Belang. An die in Belgien seit Jahrzehnten geltende Brandmauer gegen rechts hält sich De Wever strikt. Das hat ihm zunehmend auch Respekt unter französischsprachigen Belgiern eingetragen.

Bart De Wever wird zweifellos das Bild dieser Regierung prägen. Er prägte sein Image als ebenso schlagfertiger wie gebildeter Politiker bei vielen Auftritten in Fernsehshows. Gern spielt er mit seiner Liebe zur römischen Kultur, deshalb verkündete er die Einigung bei den Koalitionsverhandlungen mit dem Satz: «Alea iacta est.» Die Würfel sind gefallen. Auch das Gewicht von Bart De Wever ist ein öffentliches Thema. Vor zehn Jahren nahm er in einem Kraftakt 60 Kilo ab. Das asketische Leben, das er seither führt, müsse nun zum Vorbild für den belgischen Staat werden, sagt Bart De Wever.

Gemeinsam mit Verfassungsrechtlern will der Regierungschef Vorschläge entwickeln, um den Wildwuchs des belgischen Föderalismus zu kappen. Aber von einer Loslösung Flanderns ist längst keine Rede mehr.