Rücktritt nach SuperwahlsonntagBelgischer Premier verabschiedet sich mit Tränen in den Augen
In Belgien tritt der eigentlich beliebte Alexander De Croo ab. Im komplexen Parteiengeflecht von Flamen und Wallonen könnte nun der Nationalkonservative Bart De Wever Ministerpräsident werden.
Alexander De Croo verabschiedete sich mit Tränen in den Augen. Der 49-jährige Belgier ist ein smarter, vielsprachiger, weltgewandter Mann, der sein Land als Regierungschef auf der internationalen Bühne bestens repräsentierte. Auch zu Hause in Belgien bescheinigten ihm alle Umfragen hohe Beliebtheitswerte. Und nun der Absturz bei den Parlamentswahlen am Sonntag: 5,4 Prozent für seine liberale Partei, damit nur Rang neun im nationalen Klassement. De Croo zog daraus die Konsequenzen und trat am Sonntagabend als Regierungschef zurück. Er führt die Geschäfte nur noch kommissarisch.
Im vergangenen Jahr hatte Alexander De Croo noch ein hoffnungsvolles Buch veröffentlicht mit dem Titel: «Das Beste kommt erst noch». Nun sagte er seinen Parteifreunden vom Podium herab zum Abschied: «We come back!» Dann schossen ihm die Tränen in die Augen.
Die belgische Politik ist wegen der gespaltenen Parteienlandschaft – ein tiefer Graben verläuft zwischen den Regionen Flandern und Wallonien – eine komplexe Angelegenheit und deshalb manchmal tatsächlich zum Heulen. Das zeigt sich an Alexander De Croos Aufstieg und Absturz.
Nach den Wahlen im Jahr 2019 hatte man mehr als ein Jahr lang um eine Regierungskoalition gerungen. Dann endlich fand ein fragiles Bündnis aus sieben Parteien zusammen. Darin waren aber die Wähler aus Wallonien stärker repräsentiert als jene aus Flandern. Die stärkste flämische Partei fehlte. Auch deshalb einigte man sich auf Alexander De Croo als Regierungschef. Er gehört der in der Region Flandern beheimateten liberalen Partei (Open Vld) an und bildete in der Regierung ein Gegengewicht zur wallonischen Dominanz.
Zu lax bei der Migration
Nun ist De Croo bei den Wahlen von seinen flämischen Landsleuten für seine Rolle als Mittler abgestraft worden. Der Vorwurf: Seine Koalition sei zu lax in Sachen Migration gewesen, und sie habe zu viel Geld ausgegeben.
Nach den Wahlen vom Sonntag hat wieder einmal der König das Wort. Laut Verfassung kommt ihm in Belgien die Aufgabe zu, die Regierungsbildung zu steuern. Philippe hat seit dem Wahlsonntag bereits einige Parteichefs in seinem Palast empfangen. Und nun besteht die Hoffnung, dass er nicht wieder mehr als ein Jahr lang auf Flämisch und auf Französisch trotzige Politikerinnen und Politiker beknien muss, sich kompromissbereit zu zeigen.
Das liegt an der Gesamtheit der Ergebnisse des Superwahlsonntags mit dem Dreiklang aus Europawahl, nationaler Wahl und drei Regionalwahlen (Flandern, Wallonien, Brüssel-Hauptstadt). Daraus lässt sich mit ein wenig gutem Willen eine Koalition schmieden, die den Graben zwischen Flamen und Wallonen zwar nicht zuschüttet, aber zumindest überbrückt.
In Flandern haben die Nationalkonservativen (NV-A) des Antwerpener Bürgermeisters Bart De Wever ihren Rang als stärkste Kraft verteidigt. Das kam überraschend, nachdem alle Umfragen den rechtsextremen flämischen Separatisten (Vlaams Belang) einen Triumph vorhergesagt hatten. Die beiden Parteien fordern mehr Autonomie für die Region Flandern bis hin zur Unabhängigkeit. De Wever scheint bei seiner Linie zu bleiben: Er will nicht mit den Rechtsextremen paktieren. Dabei kommt ihm das wallonische Ergebnis entgegen.
Auch Wallonien ist politisch nach rechts gerückt
In Wallonien haben die Sozialisten (PS) ihren traditionellen Rang als stärkste politische Kraft eingebüsst. Die Unfähigkeit der wallonischen Sozialisten, mit den flämischen Nationalkonservativen eine Regierung zu bilden, hat die belgische Politik viele Jahre lang gelähmt. Nun ist auch Wallonien politisch ein Stück weiter nach rechts gerutscht. Bestimmende Kraft sind jetzt die Liberalen (MR), denen auch der EU-Rats-Präsident Charles Michel angehört. Ihr Anführer kann sich eine Allianz mit den flämischen Nationalkonservativen von Bart De Wever vorstellen.
Würden die stärkste flämische und die stärkste wallonische Kraft zusammenfinden, liesse sich um das Duo herum eine tragfähige Koalition bauen. Eine wichtige Rolle könnten darin auch Les Engagés spielen, die Nachfolgepartei der wallonischen Christdemokraten. Sie verzeichnete am Sonntag grosse Zugewinne. Nähme man die flämischen Christdemokraten (CD&V) und die flämischen Sozialdemokraten (Vooruit) hinzu, ergäbe das eine ausgewogene Koalition. Die Grünen fehlen in den meisten Planspielen. Sie mussten sowohl in ihrer wallonischen als auch ihrer flämischen Ausprägung schwere Verluste hinnehmen.
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