Aufstand der KonsumentenWarum die Menschen in Kroatien keine Lebensmittel kaufen wollen
Im EU-Land Kroatien sind die Preise drastisch gestiegen. Die Verbraucher reagieren mit einem massiven Boykott der Geschäfte. Das Beispiel macht auch in anderen Balkanstaaten Schule.

- In Kroatien protestieren Menschen gegen die steigenden Lebensmittelpreise.
- Der Preisanstieg wurde durch die Euro-Einführung und geopolitische Ereignisse verstärkt.
- Zwei Lebensmittelketten haben bereits angekündigt, die Preise zu senken.
- Auch andere Balkanstaaten unterstützen Konsumentenproteste gegen den «Preiswahnsinn».
Ein Velo macht Schlagzeilen in Kroatien. Mitten in der Hauptstadt Zagreb hat jemand am Wochenende ein Zweirad mit Lebensmitteln und zwei Plakaten abgestellt. «Nimm, was du willst» und «Heute Boykott, morgen Blockade», hat der anonyme Velofahrer geschrieben. Es ist eine Drohung gegen die Lebensmittelketten.
Die Preise im EU-Land Kroatien sind vor allem seit der Einführung des Euro vor zwei Jahren in die Höhe geschossen. Der russische Einmarsch in die Ukraine und die Coronapandemie führten ebenfalls zu Preissteigerungen. In der Eurozone gehört die Adriarepublik zu den Ländern mit der höchsten Inflationsrate. Das bekommen auch die vielen Touristinnen und Touristen zu spüren, die ihre Ferien in Kroatien verbringen.
Ein Shampoo – 130 Prozent teurer als in Deutschland
Lebensmittel seien 22 Prozent teurer als im europäischen Durchschnitt, heisst es in einer Analyse des kroatischen Fernsehens HRT, die sich auf Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat beruft. «Besonders hohe Preise zahlen wir für Säfte, Mineralwasser, Kaffee und Tee – hier liegen die Kosten sogar um 27 Prozent über dem Durchschnitt. Für Brot und Getreide müssen wir 15 Prozent mehr bezahlen als der EU-Durchschnitt, während Milch, Käse und Eier 4 Prozent teurer sind», meldet HRT. Fast die Hälfte des Einkommens müssen kroatische Familien für Lebensmittel ausgeben. Verbraucherschützer wiesen kürzlich auf den Preis eines Shampoos einer deutschen Marke hin, das in Kroatien 130 Prozent mehr kostet als in Deutschland.
Revolte gegen den «Preiswahnsinn»
Seit Freitag boykottieren viele Menschen Supermärkte, Drogerien und Tankstellen im ganzen Land. Der Aufstand der Konsumenten soll eine Woche dauern. Eine Verbraucherinitiative rief die Bürgerinnen und Bürger über soziale Netzwerke auf, komplett auf Einkäufe zu verzichten. «Wir müssen eine Botschaft an diejenigen senden, die für den Preiswahnsinn verantwortlich sind», sagte ein Sprecher. Bereits am 24. Januar waren viele Lebensmittelgeschäfte menschenleer geblieben. Der Umsatz ging um 53 Prozent zurück.
Die Proteste zeigen Wirkung. Zwei Lebensmittelketten haben bereits angekündigt, dass sie die Preise senken werden. Auch die Regierung sah sich zum Handeln gezwungen: Die Liste der Produkte, für die eine Preisobergrenze gilt, wurde am Freitag von 40 auf 70 erweitert. Dazu gehören bestimmte Käsesorten, Kaffee und Haushaltswaren wie Seife. Vorrangiges Ziel sei es, die schwächsten Teile der Bevölkerung zu schützen, erklärte Wirtschaftsminister Ante Susnjar. Die Regierung hatte bereits 2022 die Preise für bestimmte Haushaltsartikel eingefroren.
Die Zigaretten sind billiger
Das Beispiel der Kroatinnen und Kroaten macht auch in den anderen Balkanstaaten Schule. In Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien wurde ebenfalls zum Boykott der Lebensmittelgeschäfte aufgerufen. Montenegros Premierminister Milojko Spajic unterstützte den Konsumentenprotest und appellierte an die Händler, fair mit den Verbrauchern umzugehen. Nach Angaben aus Nordmazedonien, wo am Wochenende die meisten Verkaufsregale unangetastet blieben, haben sich die monatlichen Haushaltskosten innerhalb von fünf Jahren von umgerechnet 513 Franken auf 957 Franken nahezu verdoppelt. Der durchschnittliche Nettolohn in dem Balkanland beträgt 640 Franken.
Auch in Serbien, wo seit drei Monaten Tausende Menschen gegen die mutmasslich korrupte Regierung protestieren, wurden in den letzten Tagen Geschäfte boykottiert. Eine Belgrader Rentnerin sagte gegenüber Radio Free Europe, dass wenigstens die Milch billiger sein sollte – wegen der Kinder. Ein Liter kostet 1.40 Franken. Die Durchschnittsrente in Serbien beträgt 405 Franken, der Lohn 811. Die monatlichen Lebenshaltungskosten belaufen sich auf knapp 900 Franken.
Die kroatische Newsplattform «Index» schreibt in einem Kommentar: «Es ist der Punkt erreicht, an dem die Verbraucher laut Nein sagen – wir wollen nicht länger tatenlos zusehen, wie die Preise für alles, nicht nur für Lebensmittel, fast täglich steigen.» Zumindest die kroatischen Raucher hatten lange Zeit wenig Grund zum Protest. Zigaretten waren viel billiger als in anderen EU-Ländern. Jetzt werden auch die Glimmstängel teurer.
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