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Proteste in Belgrad
Serbiens grösste Demonstrationen seit Jahrzehnten setzen Präsident Vucic unter Druck

A Serbian flag is seen as people use lights on their mobile phones during a protest against President Aleksandar Vucic and his government, in Belgrade, Serbia, Sunday, Dec. 22, 2024. (AP Photo/Marko Drobnjakovic)
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Es sind mittlerweile die grössten Protestversammlungen seit Jahrzehnten in Serbien. Am vergangenen Sonntag demonstrierten nach Berechnungen der Organisation «Archiv öffentlicher Versammlungen» etwa 100’000 Menschen in der Hauptstadt Belgrad gegen ihre Regierung – es waren demnach mehr Menschen als bei den Protesten im Oktober 2000, die seinerzeit zum Ende der Herrschaft des jugoslawischen Gewaltherrschers Slobodan Milosevic führten. Das serbische Innenministerium hingegen gab die Zahl der Protestierenden mit 28’000 bis 29’000 an.

Die seit Wochen stattfindenden Proteste werden vor allem von Studierenden, Schülerinnen und Lehrern getragen (lesen Sie hier das Interview mit der Expertin Aleksandra Tomanic). Auch an diesem Sonntag schwiegen die Demonstrierenden für 15 Minuten und liessen die Taschenlampenfunktionen ihrer Mobiltelefone leuchten. Sie hielten Banner hoch mit Slogans wie «Eure Hände sind blutig» und «Korruption tötet». Auslöser für die Protestwelle war der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in der nordwestlichen Stadt Novi Sad am 1. November gewesen, bei dem 15 Menschen starben.

Schlamperei und Korruption vertuscht

Zuvor war der Bahnhof von chinesischen Firmen renoviert worden; er ist ein wichtiger Halt auf der Strecke Belgrad–Budapest, die wiederum einen Abschnitt der chinesischen Initiative «neue Seidenstrasse» bildet. Die Unterlagen zur Renovierung hatte das serbische Bauministerium als vertraulich eingestuft, was das Misstrauen und den Zorn der Protestierenden zusätzlich anheizte; sie werfen der Regierung vor, mit Rücksicht auf China mutmassliche Schlamperei und Korruption bei den Arbeiten zu vertuschen. Die Behörden wiederum griffen vor allem am Anfang der Protestwelle hart durch und inhaftierten auch prominente Demonstranten, etwa einen früheren Vizepräsidenten der Region Vojvodina.

Am 22. November dann verprügelten mutmasslich regierungsnahe Angreifer Studierende, die sich vor der Fakultät für darstellende Künste an der Universität Belgrad versammelt hatten, um der Opfer der Bahnhofskatastrophe zu gedenken. Daraufhin erfasste eine Welle von Studentenprotesten das ganze Land, zahlreiche Fakultäten und Schulen wurden blockiert, Lehrkräfte schlossen sich an.

Vucic beschwichtigt – und will zuhören

Präsident Aleksandar Vucic räumte nach der Demonstration vom Sonntag ein, dass da eine «extrem grosse Versammlung» stattgefunden habe; er sei «jederzeit bereit», sich die Meinungen der Protestierenden anzuhören (lesen Sie hier den Text über Vucics Auftritt in Zürich). Zuvor hatte er staatliche Zuschüsse angekündigt, die jungen Menschen den Kauf von Wohnungen erleichtern sollten – was von vielen Beobachtern als Beschwichtigungsversuch gewertet wurde. Bildungsministerin Slavica Dukic Dejanovic sagte am Dienstag, sie wolle sich mit Vertretern der Studierenden zu Gesprächen treffen. Zugleich erklärte sie, die Proteste seien «Teil eines geplanten Programms politischer Gruppierungen», die einen «Regierungswechsel» anstrebten.

Das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Regierung wurde zusätzlich erschüttert, nachdem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Mitte Dezember in einem Bericht festgestellt hatte, dass Polizei und Geheimdienst in Serbien zahlreiche Mobiltelefone von Journalisten und Aktivisten mit Spionage-Software infiziert hatten. Die Regierung in Belgrad berief sich darauf, «im Rahmen der Gesetzgebung» gehandelt zu haben, und warf Amnesty «Sensationalismus» vor.

Der Umgang mit den Protesten im eigenen Land hat auch in der Europäischen Union Zweifel am Zustand von Demokratie und Rechtsstaat in Serbien geschürt. Ohnehin stocken die Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der Europäischen Union seit Jahren, unter anderem weil sich Belgrad bislang nicht wie von Brüssel gefordert der EU-Aussenpolitik anpasst. Die Regierung von Vucic unterhält weiterhin enge Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und schliesst sich den Sanktionen gegen Moskau nicht an. Ausserdem stockt die von der EU angestrebte «Normalisierung» der Beziehungen Serbiens mit dem benachbarten Kosovo.