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Druck auf Migranten
Griechenland schreckt Flüchtlinge mit Foltertechnik ab

Flüchtlinge in der Nähe des Flusses Evros.
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Als die Aussenminister Griechenlands und der Türkei sich vergangene Woche in Athen trafen, bemühten sie sich auf fast schon penetrante Weise, dem Rest der Welt Nähe zu demonstrieren. Sie liessen sich bei einer innigen Umarmung fotografieren, als wären alle Feindseligkeiten passé, als wäre der Streit ihrer beiden Länder um Erdgasreserven im Mittelmeer vergangenes Jahr nicht um ein Haar militärisch eskaliert.

Die versöhnlichen Gesten und Worte sind zu einem erheblichen Teil Erwartungen von aussen geschuldet. Etwa denen der USA und anderer Nato-Partner, ihnen käme ein handfester Konflikt zwischen zwei Mitgliedsstaaten im östlichen Mittelmeer alles andere als gelegen. Auch die Inhalte, auf die Griechenland und die Türkei sich in Athen einigten, sind vergleichsweise kosmetischer Natur: Sie wollen hier und da wirtschaftlich enger zusammenarbeiten, im Energiesektor etwa. Und sie wollen die Impfzertifikate des jeweils anderen Landes anerkennen, um den Tourismus zu beleben.

Mit Tränengas beschossen

Der griechische Aussenminister Nikos Dendias sagte der Wochenzeitung «Parapolitika» nach dem Treffen, zu seinem türkischen Kollegen Mehmet Cavusoglu pflege er seit langem «freundschaftliche Beziehungen». Man dürfe aber «berufliche Angelegenheiten nicht mit privaten» verwechseln, geschweige denn sich der «Illusion» hingeben, «dass eine gute persönliche Beziehung allein dazu beitragen kann, Spannungen zu reduzieren». Bei besonders wichtigen Themen hätten beide Seiten nach wie vor «diametral entgegengesetzte Positionen».

An keinem anderen Ort manifestiert sich das gegenseitige Misstrauen derzeit so sichtbar wie an der Landgrenze zwischen den beiden Staaten auf der thrakischen Halbinsel, entlang des Flusses Evros. Dort hatten sich im Frühjahr 2020 auf türkischer Seite Zehntausende Menschen versammelt, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündet hatte, die Grenze zur Europäischen Union sei für Migranten offen. Jene, die versuchten, die Grenze zu überqueren, wurden von griechischen Sicherheitskräften teilweise brutal zurückgedrängt und mit Tränengas beschossen.

Der Umgang mit Migranten und Flüchtlingen ist im griechisch-türkischen Konflikt zu einem politischen Druckmittel geworden. Ankara wirft Athen immer wieder vor, Menschen rechtswidrig über die Grenze zurückzudrängen – Recherchen unter anderem des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bestätigen dies.

Eine 27 Kilometer lange Stahlmauer steht bereits, und der Grenzschutz rüstet seine Überwachungssysteme auf.

Im Gegenzug beschuldigt Athen die türkischen Behörden, Migranten bei ihren Versuchen, die Seegrenze zu überqueren, zu begleiten. Mit Unterstützung der EU baut Griechenland nun die Landgrenze am Evros zur Hightech-Festung aus. Eine 27 Kilometer lange Stahlmauer steht bereits, und der Grenzschutz rüstet seine Überwachungssysteme auf. Infrarotkameras und Drohnen mit hochempfindlichen Sensoren sind im Einsatz. «Unsere Aufgabe ist es, Migranten davon abzuhalten, illegal unser Land zu betreten», sagte der Chef der regionalen Grenzpolizei, Dimonsthenis Kamargios, vergangene Woche der Nachrichtenagentur AP, «dafür brauchen wir moderne Ausrüstung.»

Ein Polizeibeamter bedient eine Schallkanone an der türkisch-griechischen Grenze.

Zum Beleg liess er gleich die neueste technische Errungenschaft vorführen: Schallkanonen. Die Geräte, auf gepanzerte Fahrzeuge montiert, können extrem laute Geräusche zielgerichtet aussenden. Solche Long Range Acoustic Devices werden etwa von Reedereien eingesetzt, um Piratenangriffe abzuwehren, oder von der US-Polizei, um Demonstrationen aufzulösen. Die Lärmsalven können körperliche Schmerzen, Panik und Schockzustände auslösen. Um sich auszumalen, dass sie auch Flüchtlinge effizient davon abbringen können, eine Grenze zu überqueren, braucht es wenig Fantasie.

«Stark gegen die Schwachen»

Kritiker sehen in den Schallkanonen ein Folterwerkzeug, das nun eingesetzt werden solle, um Menschen den Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylantragsverfahren in der EU zu verwehren. Die Europäische Kommission eilte sich denn auch, zu betonen, dass sie zwar Griechenland grundsätzlich beim Schutz der Aussengrenze unterstütze, mit den Schallkanonen aber nichts zu tun habe. «Die Kontrolle der Aussengrenzen der EU liegt in der Verantwortung der jeweiligen Mitgliedsstaaten», erklärte Kommissionssprecher Adalbert Jahnz nach dem AP-Bericht, «aber sie muss immer im Einklang mit der Grundrechte-Charta der EU stehen.»

Der belgische Europa-Abgeordnete Guy Verhofstadt zeigte sich auf Twitter entsetzt über den Einsatz der Schallkanonen: «Wir sind schwach gegenüber den Starken (Putin, Erdogan, China)», schrieb er, «und stark gegen die Schwachen! Soll dies das geopolitische Revival Europas sein?»