Wahlparteitag der CDU«So eine Woche möchte ich jetzt nicht jede Woche haben»
Nach aussen gibt sich die Partei einig, Friedrich Merz wirkt entschlossen. Doch selbst in der Führungsriege zweifeln einige an seinem Vorgehen mit der AfD.
- Friedrich Merz erhielt am Parteitag grosse Unterstützung von seiner Partei.
- Merz grenzte sich erneut von der rechtsradikalen AfD ab.
- Bis in die Führung der CDU gibt es Kritik an Merz’ Vorgehen – aber nur anonym.
Die mächtigste christdemokratische Kraft Europas ist eine legendär disziplinierte Partei, sobald die Luft brennt. «Der Wahlkämpfer hat immer recht», lautete schon unter Angela Merkel und Helmut Kohl die Maxime. Da mochten sich hinter den Kulissen die Leute fetzen, kaum war Parteitag, war nur noch Jubel für die Vorsitzenden zu hören.
Dieses Paradestück wurde am Montag am Berliner Wahlparteitag erneut mit grossem Elan aufgeführt. Die 1000 Delegierten der CDU stellten sich enthusiastisch hinter Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der letzte Woche im Bundestag ein Tabu gebrochen hatte, als er mit Stimmen der AfD eine Wende in der Asylpolitik erzwingen wollte.
Allein in Berlin hatten dagegen am Sonntag 160’000 Menschen demonstriert, vom Reichstag an der Spree quer durch den Tiergarten bis vors Konrad-Adenauer-Haus, die Zentrale der CDU. In der Partei zucken darüber viele nur die Schultern. Die paar Hunderttausend schreienden Linken im Land bedeuteten nicht viel, meinen sie. Wichtig seien «die Millionen da draussen», die von der CDU endlich eine «Asylwende» erwarteten.
Merz, der die Empörung ausgelöst hatte, wirkte in seiner Parteitagsrede sehr überzeugt von sich. Gleichwohl hielt er es für nötig, sich noch einmal von der rechtsradikalen AfD abzugrenzen. Man werde nach der Wahl keinesfalls mit dieser reden oder zusammenarbeiten, sich auch nicht von ihr tolerieren lassen oder Ähnliches. Die AfD sei «der wichtigste Gegner».
Merz garantiert Deutschland eine doppelte politische Wende, sollte er Kanzler werden: in der Asyl- und in der Wirtschaftspolitik. Die CDU beschloss dazu am Parteitag ein Sofortprogramm mit 15 Punkten, das die Regierung «bis Sommer» umsetzen wolle. Einer der Punkte ist der «5-Punkte-Plan» für die Asylwende, den CDU und CSU letzten Mittwoch im Bundestag mit den Stimmen der FDP und der AfD verabschiedeten, ein anderer das «Zustrombegrenzungsgesetz», das am Freitag trotz erneuter Unterstützung durch die AfD knapp scheiterte.
Kritik gibt es gerade nur hinter vorgehaltener Hand
Am Parteitag wurde Merz begeistert applaudiert, kritische Stimmen gab es nicht, jedenfalls nicht auf der Bühne. Sprach man am Tag davor mit Leuten aus der Führungsriege der CDU, klang es ziemlich anders – zumindest unter dem Schutz der Anonymität. Selbst ein Mann, der dem Kanzlerkandidaten nahesteht, seufzte: «So eine Woche möchte ich jetzt nicht jede Woche haben. Für den Moment reichts.»
Breite Unterstützung, selbst bei CDU-Leuten, die Merz kritisch sehen, gibt es dafür, dass dieser nach der Messerattacke von Aschaffenburg öffentlich mit Merkels «Willkommenspolitik» gebrochen hat. Dies sei überfällig gewesen, der versprochenen «Asylwende» hätte sonst jede Glaubwürdigkeit gefehlt. Überall dort, wo CDU und CSU besonders unter Druck der AfD ständen, im Osten Deutschlands etwa, sei die Wende hochwillkommen.
Viele teilen auch Merz’ Ansicht, «etwas Richtiges» werde «nicht falsch, nur weil die Falschen zustimmen». Zu lange habe man sich mit der «Brandmauer» selbst eingemauert. Der Minderheit von SPD und Grünen habe man damit eine Blockademehrheit zugebilligt, die diese in der Gesellschaft längst verloren hätten.
Andere dagegen stellen Merz’ Vorgehen grundlegend infrage. Er habe der Partei ohne Not eine Debatte zum Umgang mit der AfD aufgezwungen. Indem er erstmals im Bundestag deren Stimmen in Kauf genommen habe, habe er die eigene Glaubwürdigkeit erschüttert. Wie wolle man so die sächsische oder die thüringische CDU davon abhalten, künftig von Fall zu Fall Mehrheiten mit der AfD zu schaffen?
Besonders töricht finden viele Carsten Linnemanns Appell, «das Nazibashing gegen die AfD und das Brandmauergerede» müssten jetzt endlich aufhören. Der Generalsekretär gilt als einer von Merz’ engsten Vertrauten.
Was letzte Woche passiert ist, mobilisiert alle Parteien
Der Zirkel um Merz berausche sich gerade daran, dass seit letzter Woche ein Stromstoss durch die Partei gehe, meint ein anderer CDU-Mann mit Einfluss. Wahr sei aber auch, dass die jüngste Aufregung alle Parteien elektrisiert habe – auch die Gegner, von links bis zur AfD. «War das der Plan?» Wem diese Zuspitzung, die es in einem Bundestagswahlkampf lange nicht mehr gegeben habe, am Ende am meisten nütze, sei völlig unklar.
Eine andere prominente Stimme der Partei, die die vergangene Woche «furchtbar» fand, beklagt, Merz habe das wichtigste Wahlkampfthema, die desolate Wirtschaftslage, ohne Not der Asyl- und Migrationspolitik untergeordnet. Anders als bei der Asylfrage, wo CDU und CSU das Nötige tun müssten, gegen die AfD aber wenig zu gewinnen hätten, sei die Wirtschaft das Thema, bei dem die AfD mit ihren Fantasien vom Ausstieg aus der EU und dem Euro völlig blank dastehe – und die Parteien der zerbrochenen Ampelkoalition ebenso.
Stattdessen habe Merz im Willen, Rot-Grün bei der Asylfrage vorzuführen, die AfD bei ihrem wichtigsten Thema gestärkt und CDU/CSU von der politischen Mitte entfremdet. Ob Merz sich die Frage stelle, wie man nach der Wahl wieder mit Sozialdemokraten oder Grünen zusammenfinden könne? Ob er sich Gedanken mache, wie man der Zuspitzung des Wahlkampfs am Ende wieder entkomme, ohne Enttäuschungen auf allen Seiten zu provozieren?
Viele derer, die die Weisheit von Merz’ Kurs hinter vorgehaltener Hand bezweifeln, nennen Österreich als warnendes Beispiel. Weil die dortigen Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen nach der Wahl keinen gemeinsamen politischen Grund mehr fanden, regiert nun wohl bald die rechtsradikale FPÖ – mit der CDU-Schwesterpartei ÖVP als Juniorpartnerin.
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