Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Abbruch der Koalitionsverhandlungen in Österreich
Der Sieger heisst Kickl

ABD0129_20250104 - WIEN - ÖSTERREICH: ++ ARCHIVBILD ++ ZU APA0177 VOM 4.1.2025 - Bundeskanzler Karl Nehammer (l./ÖVP) und FPÖ-Chef Herbert Kickl im Rahmen einer Sondersitzung des Nationalrates am Mittwoch, 30. August 2023, im Parlament in Wien. Karl Nehammer zieht sich nach dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ als Kanzler und ÖVP-Chef "in den nächsten Tagen" zurück. (ARCHIVBILD VOM 30.8.2023) - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Die Koalitionsgespräche mit ÖVP und SPÖ wurden abgebrochen.
  • Österreich steht vor einer tiefen Haushaltskrise und drohenden EU-Defizitverfahren.
  • Karl Nehammer kündigt Rücktritt als Kanzler und ÖVP-Chef an.
  • Neuwahlen oder eine mögliche FPÖ-ÖVP-Koalition stehen im Raum.

Der Satz, der die Lage in Österreich derzeit am besten zusammenfasst, stammt von Hemingway und lautet: «Allmählich, und dann plötzlich.» Am Freitagmittag schien es noch, als wäre die Regierungsbildung in Wien in eine Sackgasse geraten. Da verkündeten die Neos, dass die kleine liberale Partei aus den Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ aussteige und es keine Austro-Ampel geben werde. Eineinhalb Tage später sind nicht nur sämtliche Versuche, irgendeine Art von Koalition zu bilden, gescheitert. Die ÖVP hat nun auch bald keinen Vorsitzenden mehr und Österreich keinen Kanzler Nehammer.

Am Samstagabend verkündete Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf X erst, dass er nicht mehr mit der SPÖ verhandeln werde, wie man das nach dem Ausstieg der Neos eigentlich vorhatte. Eine grosse Koalition wäre nicht nur extrem auf Kante genäht gewesen, da sie nur eine Mehrheit von einem Mandat hätte. Sondern es gab offensichtlich auch schwere inhaltliche und ideologische Verwerfungen. Nehammer schloss mit der Bemerkung, dass Redlichkeit in der Politik vielleicht «nicht sexy» sei, er sich aber nicht verbiegen werde. Und kündigte als Konsequenz seinen Rückzug von der Spitze der ÖVP und aus dem Bundeskanzleramt an – um einen «geordneten Übergang» zu ermöglichen.

Knackpunkt wie so oft: Das Geld

Der Knackpunkt war wie so oft das Geld. Österreich steckt in einer tiefen Haushaltskrise, das Budget wurde so massiv überzogen, dass dem Land demnächst ein EU-Defizitverfahren droht. Rigide zu sparen, aber gleichzeitig die Folgen von Teuerung, Energiekrise und Rezession für die Bevölkerung abzudämpfen – das war die ohnehin schon schwer lösbare Übung, an der ÖVP und SPÖ nun endgültig gescheitert sind.

Dazu kam, dass die einstigen Grossparteien, die im Laufe der österreichischen Nachkriegsgeschichte in vielen Koalitionen zusammengearbeitet hatten, einander ideologisch so fern stehen wie schon lange nicht. Die SPÖ war nach einer Phase massiver Stimmenverluste und interner Zerwürfnisse unter ihrem Parteichef Andreas Babler beträchtlich nach links gerückt und beharrte in den Verhandlungen bis zuletzt etwa darauf, die Last von oben nach unten zu verteilen, und zwar mit einer Vermögens- und Erbschaftssteuer.

Dies aber lehnte die ÖVP, die unter Nehammer einen klassisch wirtschaftsfreundlichen und konservativen Kurs fährt, strikt ab. Nehammer sprach dann auch von «destruktiven Kräften in der SPÖ», die zuletzt die Oberhand gewonnen hätten und «wirtschafts-, wettbewerbs- und leistungsfeindlich» agieren würden. SPÖ-Chef Andreas Babler hielt ebenfalls auf X dagegen, die ÖVP wolle «Klientelpolitik für Superreiche» machen.

Der Kampf um die Deutungshoheit

Freitagnacht nahm dann erst mal der Kampf um die Deutungshoheit, wer woran Schuld trage, Fahrt auf. Grünen-Chef Werner Kogler warf den «früher wirklich staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP» vor, sie hätten verlernt, Kompromisse einzugehen. Die Neos sahen sich in ihrem Kurs bestätigt, die Verhandlungen abgebrochen zu haben.

Klar war da aber schon, dass sich Österreich in einer Situation befindet, die man im Englischen als tight spot bezeichnet. Denn die drei Parteien hatten auch deswegen so hart und lange an einer Koalition gearbeitet, um am eigentlichen Wahlsieger der Nationalratswahl vom September vorbeizukommen. An Herbert Kickl, dem Chef der stramm rechten bis rechtsextremen FPÖ.

Kickl hatte von Bundespräsident Van der Bellen keinen Regierungsauftrag bekommen, und insbesondere Kanzler Nehammer hatte eine Zusammenarbeit mit ihm stets ausgeschlossen. Freitagabend bekräftigte Nehammer noch einmal, es sei seine «tiefe Überzeugung, dass Radikale für kein einziges Problem eine Lösung bieten». Kickl selbst, der die Koalitionsverhandlungen in den vergangenen Wochen gelassen vom Rand aus beobachtet und sich mit Einwürfen zurückgehalten hatte, schrieb auf Facebook, man blicke auf verlorene drei Monate, Nehammer und Babler stünden vor den «Trümmern ihrer Kickl-Verhinderungsstrategie».

Kommt es doch noch zur Koalition?

Dass Nehammer den Weg nun frei macht, öffnet den Weg für neue Gedankenspiele. In der ÖVP gibt es gar nicht so wenige, die sich gut vorstellen können, mit einer wesentlich stärkeren FPÖ zu koalieren. Die beiden Parteien haben nicht nur mehrmals auf Bundesebene zusammengearbeitet, sondern führen auch einige Bundesländer gemeinsam an. Die Steiermark etwa, wo sich das Kräfteverhältnis umgedreht hat und erstmals die FPÖ den Landeshauptmann stellt, die Entsprechung eines deutschen Ministerpräsidenten.

Bei der Frage, wie das funktionieren soll, werden gerade unzählige Varianten durchgespielt. Eine Idee, die österreichischen Medien zufolge in der ÖVP kursiert, ist, dass Verfassungsministerin Karoline Edtstadler die Konservativen übernehmen und zu Neuwahlen führen könnte.

Um einiges schriller ist das Szenario, das einigen in der ÖVP bis zuletzt ebenfalls nicht undenkbar erschien: Sebastian Kurz könnte zurückkommen, der frühere Bundeskanzler, der wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste und im Februar vergangenen Jahres zu einer – bisher nicht rechtskräftigen – Bewährungsstrafe von acht Monaten Haft wegen Falschaussage in einem Untersuchungsausschuss verurteilt wurde.

Am Sonntag wurde bekannt, dass Sebastian Kurz als Nachfolger nicht zur Verfügung steht. Er sei derzeit zufrieden mit seiner Tätigkeit als Unternehmer. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld von Kurz. Es werde wohl jemand gesucht, der im Unterschied zu Nehammer bereit sei, als Juniorpartner mit der rechten FPÖ zu regieren, hiess es aus parteinahen Kreisen.