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Begrenzung der Migration
Was der Schweiz und Europa droht, wenn Deutschland Geflüchtete zurückweist

Ein Polizist der Bundespolizei kontrolliert ein Fahrzeug an einem Kontrollpunkt an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden. Das Auto hat ein niederländisches Nummernschild. Im Hintergrund sind Absperrungen und Verkehrszeichen zu sehen.
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In Kürze:
  • CDU und CSU planen, das europäische Asylrecht national zu übersteuern.
  • Artikel 72 der EU-Verträge soll die rechtliche Grundlage bilden.
  • Eine Kettenreaktion könnte Deutschlands Nachbarn belasten, etwa die Schweiz.

Rechtlich ist die Sache relativ eindeutig. Migranten und Flüchtlinge, die an der deutschen Grenze um Asyl bitten, dürfen nicht einfach zurückgewiesen werden. Deutschland muss in jedem einzelnen Fall prüfen, ob es zuständig ist – auch wenn die Menschen aus sicheren Nachbarstaaten kommen, in denen diese ebenfalls um Asyl bitten könnten. So sieht es die europäische Dublin-Verordnung vor.

Um Asylsuchende dennoch pauschal abweisen zu können, wollen die deutschen Christdemokraten das europäische Recht nun national übersteuern. Ihr Argument: Das Dublin-System, das eigentlich vorsieht, dass sich die Staaten an der EU-Aussengrenze um Asylverfahren kümmern, funktioniert längst nicht mehr. Deutschland brauche sich selbst also auch nicht mehr an die Regeln zu halten.

Den rechtlichen Hebel sehen sie im Artikel 72 der Lissabonner EU-Verträge. Dort steht, dass ein Mitglied vom EU-Migrationsrecht abweichen darf, wenn seine innere Sicherheit oder die staatliche Ordnung in Gefahr sind. CDU und CSU meinen, dies sei angesichts sich häufender Gewalttaten von Asylsuchenden offenkundig der Fall.

Eine nationale Notlage müsste Deutschland gut begründen

Der Europäische Gerichtshof legt aber sehr strenge Massstäbe an. Alle bisherigen Versuche von Mitgliedern, das EU-Migrationsrecht so auszuhebeln, wurden verurteilt. Selbst 2015/16, auf dem Gipfel der damaligen Flüchtlingskrise, scheiterte etwa Ungarn dabei, eine nationale Notlage nachzuweisen.

Die EU-Kommission hat jüngst zwar Finnland und Polen Ausnahmen zugestanden, um ihre Grenzen vor Migranten zu schliessen, die Russland schickt, um die EU zu destabilisieren. Deutschland hingegen leidet derzeit eher unter den chronischen Folgen anhaltender Migration, nicht unter einer akuten Notlage.

Friedrich Merz verlässt eine Pressekonferenz der CDU in Berlin am 27. Januar 2025, mit dem Motto ’Wieder nach vorne’ im Hintergrund.

CDU-Chef Friedrich Merz, der nach der Bundestagswahl deutscher Kanzler werden könnte, hat angekündigt, dass er sich über rechtliche Bedenken hinwegsetzen werde, um endlich eine «Asylwende» durchzusetzen.

Was aber würde passieren, wiese Deutschland künftig Asylsuchende an seinen Grenzen rigoros ab?

Nachbarn wie die Schweiz müssten sich um Asylgesuche kümmern

Zunächst wären die deutschen Nachbarn betroffen, insbesondere die kleineren Länder wie die Schweiz, Österreich oder Tschechien, aber auch grössere wie Polen. Sind die Grenzen nach Deutschland «geschlossen», müssten sich die Nachbarn um die Asylgesuche kümmern.

Wahrscheinlich käme es zu einer Kettenreaktion: Um sich zu wehren, würden Österreich oder die Schweiz ihrerseits Asylsuchende an ihren Grenzen zurückweisen, was wiederum deren Nachbarn unter Zugzwang bringen würde – am Ende mit Auswirkungen bis an die EU-Aussengrenze.

CDU und CSU glauben, die Kettenreaktion würde zu einem heilsamen Schock führen, der es ermöglichte, die Asylfrage neu und gerechter zu regeln und die Zahl der Menschen, die in Deutschland um Schutz suchen, schnell zu reduzieren. Europa würde Deutschland bei dieser neuen Politik sicher schnell folgen, meint etwa CDU-Vizechef Jens Spahn.

«Wenn jeder jetzt einzeln die Zugbrücken hochzieht …»

Fragt man die Nachbarn, klingt es ziemlich anders. Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg warnte am Montag in Brüssel vor nationalen Alleingängen auf Kosten der Nachbarn. «Wenn jeder von uns jetzt einzeln einfach die Zugbrücken hochzieht, dann sind wir alle ärmer, und keiner ist sicherer.»

In der Schweiz forderten FDP und SVP schon im vergangenen Herbst, als CDU und CSU erstmals Zurückweisungen verlangten, dass die Schweiz in diesem Fall an ihren Grenzen zu Italien gleich vorgehen müsse. Der damalige ÖVP-Innenminister Gerhard Karner drohte, Österreich werde keinen einzigen Asylsuchenden aufnehmen, den Deutschland abgewiesen habe.

Manche Fachleute wie Daniel Thym, ein Konstanzer Rechtsprofessor, der die starke europäische Verrechtlichung des Asylwesens kritisch sieht, finden, dass sich der Versuch für Deutschland dennoch lohnen könnte, wie Thym im «Spiegel» schrieb. Bis der EU-Gerichtshof allenfalls gegen Deutschland urteilen würde, hätte dieses längst Fakten geschaffen.

Es gäbe Massnahmen, die nachhaltiger wirkten

Thym glaubt, Zurückweisungen würden Migranten stark abschrecken, weit über die deutschen Grenzen hinaus, und signalisieren, dass Deutschland von der «Willkommenskultur» abgekehrt sei. Die Lage sei zudem anders als 2015/16, als manche östliche Mitgliedsländer der EU in ernste Not geraten wären, hätte Angela Merkel plötzlich die Grenzen geschlossen. Damals kamen an gewissen Tagen 10’000 Flüchtlinge über die österreichisch-deutsche Grenze. So viele waren es 2024 nicht einmal in mehreren Monaten.

Gerald Knaus, einer der besten Kenner des Migrationswesens, warnt hingegen davor, in Zurückweisungen an der nationalen Grenze ein Wundermittel zu sehen. Die Politik der CDU richte sich zunächst vor allem gegen Nachbarn wie Österreich und die Schweiz. Auf deren Kooperation bleibe Deutschland bei der Grenzsicherung aber weiter angewiesen. Knaus sieht bessere Wege, um die Migration dauerhaft zu reduzieren: schnellere Verfahren etwa, mehr Vereinbarungen mit Transitländern und Abkommen mit Drittstaaten, um Asylverfahren dort durchzuführen.

Deutsche Sozialdemokraten und Grüne weisen darauf hin, dass die Asylzahlen 2024 um ein Drittel gesunken seien, die Abschiebungen um ein Fünftel gestiegen. Dafür seien auch die zuletzt verstärkten Grenzkontrollen verantwortlich. Fachleute sehen den Grund für den Rückgang vor allem darin, dass weniger Flüchtlinge es überhaupt bis in die EU geschafft hätten.