Zug ins Zürcher OberlandZugang zum «Millionenbach»: Die geheimnisvollen Stollen im Aatal
Neben der S-Bahn-Strecke zwischen Uster und Wetzikon führen zwei Eingänge in die Tunnel unter den Hügelketten. Sie sind ein Überbleibsel aus der industriellen Zeit der Region.

- Der historische Wasserkanal im Aatal versorgt ein Wasserkraftwerk.
- Zwei Stollen von insgesamt 892 Metern Länge leiten Wasser zur Turbine.
- Die Energie Uster AG produziert damit Strom für 350 Haushalte.
- Jährlich wird der Kanal während zweier Wochen stillgelegt.
Wer mit dem Zug durchs Aatal rollt, wird sie schon gesehen haben: Zwei Stolleneingänge führen auf der Seite des Seegräbner Ortsteils Sack in den Hang. Der mit einem Torbogen geschmückte Zugang endet schon nach der ersten Biegung vor einer grossen, stählernen Tür.
Das zweite Loch ist etwas weniger gut sichtbar und erinnert an den Zugang zu einem Bunker. Wer sich ins Dunkel vorwagt, wird nach rund 15 Metern aber ebenfalls durch eine Stahltür am Weitergehen gehindert.
Die beiden Tunnel dahinter wurden in den Jahren 1856 und 1857 angelegt und führen den für die damalige Zeit äusserst wertvollen Rohstoff: Wasser.
Aabach, der Millionenbach
Vor 150 Jahren war das Zürcher Oberland eine der am stärksten industrialisierten Regionen Europas. Die Textilindustrie war ein grosser Arbeitgeber und versprach den Spinnerei- und Webereibesitzern hohe Profite. Der Aabach, an dessen Lauf sich 15 Spinnereien ansiedelten, wurde zum «Millionenbach».

Die zwei kurzen Stolleneingänge im Aatal wurden aber nur zur Kontrolle angelegt. Sie führen zu zwei unterirdischen Kanälen von 294 und 598 Metern Länge und 2 Metern Höhe. Sie bringen das beim Sauriermuseum vom Aabach abgezweigte Wasser zum Wasserschloss oberhalb der ehemaligen Baumwollspinnerei Trümpler am Ortseingang von Uster. Von dort stürzt das Wasser 19 Meter in die Tiefe in eine Turbine.
Einer, der die Stollen bestens kennt, ist der Elektroingenieur Romeo Comino. Er gehört der Geschäftsleitung der Energie Uster AG an und ist dort für die Netze verantwortlich – und damit auch für die Wasserkanäle. Denn im Jahr 1996 übernahm die Ustermer Energiedienstleisterin das Wasserkraftwerk auf dem Trümpler-Areal.
Strom für 350 Haushalte in Uster
Versprach der Betrieb des Kraftwerks einst das grosse Geld, «erfolgt die Energieproduktion heute aus ideellen Gründen», meint Comino. Mit einer Jahresproduktion von 1,4 Millionen Kilowattstunden ist es immerhin das weitaus grösste Kleinkraftwerk entlang des Aabachs. Es deckt den Energiebedarf von rund 350 Haushalten.
Oder ein anderer Vergleich: Gesamthaft werden rund 8,2 Prozent (10,5 Gigawattstunden) des Stromverbrauchs im Versorgungsgebiet der Energie Uster durch lokale Kraftwerke abgedeckt. Rund 10 Prozent davon stammen aus den Wasserkraftwerken am Aabach. Der grosse Rest wird von rund 700 Solaranlagen produziert. Rund 800 bis 900 Kunden sind gemäss Energie Uster zudem bereit, gegen einen kleinen Aufpreis Aabach-Strom zu unterstützen.
Kanal wird für Wasserkraftwerk leer gefischt
Der gesamte Kanal mit den beiden Stollen und den offenen Passagen ist rund 2,5 Kilometer lang. Und deren Unterhalt ist vergleichsweise aufwendig. Verschiedene Rechen müssen das Laub und Gehölz einsammeln, das in den Kanal fällt. Und weil trotz den Rechen Material durchdringt und liegen bleibt, wird die ganze Anlage einmal pro Jahr für zwei Wochen stillgelegt, um sie komplett zu reinigen.
Bevor das Wasser um- und abgeleitet wird, wird der Kanal jeweils leer gefischt. Die Tiere werden danach wieder eingesetzt. Nur während dieser 14 Tage im Juli ist es überhaupt möglich, durch die Stollen zu gehen. Ansonsten sind sie meist bis oben mit Wasser gefüllt.
Die Bahn verdrängte den Kanal
Die historische Kanalanlage, die einen grossen Fortschritt in der Energieproduktion brachte, wäre übrigens kaum erstellt worden ohne den Druck durch einen anderen Fortschrittstreiber: Als in den 1850er-Jahren die Bahnlinie durchs Aatal gezogen wurde, verdrängte sie den damals parallel zum Aabach verlaufenden Wasserkanal. So musste dieser in den Berghang verlegt werden.

Fehler gefunden?Jetzt melden.