Jahresbilanz 2023 Fast stolperte der Novartis-Chef – jetzt macht er den Schritt zum Star
Am Mittwoch meldet die Pharmafirma Umsatzzahlen. Sie zeigen: Vas Narasimhan bringt den Konzern auf Erfolgskurs. Er dürfte es als persönlichen Triumph nehmen.
Bei Novartis geht ein neues Schlagwort um: «Pure Play». Vorgegeben hat es Vas Narasimhan, Managerinnen und Manager wiederholen es mit mehr oder weniger Stolz. «Reines Spiel» meint die alleinige Konzentration des Pharmakonzerns auf neue, teure Medikamente. Mit seinem ersten Motto «Unboss» für ein neues Kultur- und Arbeitskonzept wurde Narasimhan zwar berühmt, doch sein neues ist viel einschneidender.
Unbeirrt hat der US-Amerikaner Novartis in den sechs Jahren seit seinem Antritt zu einem reinen Pharmakonzern umgebaut. Die Abspaltung von Sandoz vergangenen Herbst war der letzte Schritt: Neu steht Novartis sozusagen nackt da.
Um zu verstehen, was das für den Konzern bedeutet und wie sehr dies auch Narasimhan persönlich unter Druck setzt, muss man zwei Dinge wissen.
Novartis ist nun ganz auf Medikamente mit Patentschutz ausgerichtet, die höchste Gewinnmargen bringen.
Der Konzern steht just jetzt vor dem Patentablauf von wichtigen Umsatzbringern. Er hat diesen Januar begonnen und wird sich bis 2027 hindurchziehen, sodass bei Novartis ein Umsatzberg von jährlich gut 10 Milliarden Dollar nach und nach wegbricht. Patentklippe nennt man das in der Pharmabranche.
Um trotz Patentverlust sogar ein Umsatzwachstum zu erzielen, muss Novartis starke neue Medikamente hervorbringen. Der Verwaltungsrat, der Novartis die Pharmastrategie vorgab, zweifelt nicht daran, dass das zu schaffen ist. Zweifel hatte er jedoch an Narasimhan. Vor zwei Jahren war das Aufsichtsgremium drauf und dran, ihn auszuwechseln, wie Medien berichteten. Andere Pharmaspitzenleute seien damals auf der Suche nach Ersatz schon angefragt worden.
Narasimhan blieb, der Verwaltungsrat sprach ihm öffentlich sein Vertrauen aus. Aber kaum jemand glaubte an den Erfolg des 47-Jährigen. Die Analysten der Bank Berenberg zum Beispiel sagten noch letztes Frühjahr Novartis ab 2025 ein Nullwachstum voraus. Inzwischen jedoch hat sich das Blatt gewendet.
Denn der Novartis-Chef hat plötzlich Glück mit seinen neuen Medikamenten. Er ist sogar auf besondere Weise innovativ.
Medikament kommt per Spezialtransport
Ein Beispiel: Auf volles Risiko ging Narasimhan mit der neuartigen Therapie namens Pluvicto gegen Prostatakrebs. Mit ihr wird eine radioaktive Substanz direkt in die Krebszelle im Körper transportiert und soll sie zerstören. Die Behandlung darf nur in strahlensicheren Räumen in Spitälern erfolgen. Weil die radioaktiven Atome in wenigen Stunden zerfallen, kann die Therapie zudem nicht gelagert werden und muss an einem Ort hergestellt werden, von dem aus sie in wenigen Stunden angeliefert werden kann.
Novartis schaffte das nicht. Die Nachfrage war da, der Konzern konnte sie jedoch nicht decken, weil es Qualitätsprobleme bei der Produktion gab. Erst seit letztem Herbst sind sie behoben, und diesen Januar kam ein zweiter US-Produktionsort hinzu. Die Schweiz wird aus Spanien mit der Therapie versorgt, für die Transporte braucht es spezielle Genehmigungen, und sie müssen zeitlich genau mit der Behandlung abgestimmt sein.
Der Aufwand lohnt sich für Novartis: Der Preis beträgt in den USA ohne Rabatt 42’500 Dollar, in der Regel sind vier bis sechs Dosen nötig. In der Schweiz steht der Preis noch nicht fest. Analysten erwarten für Pluvicto einen Spitzenumsatz von über 5 Milliarden Dollar jährlich weltweit.
Narasimhans Plan könnte so aufgehen. Bis einschliesslich 2027 hat er ein Umsatzwachstum von jährlich rund 5 Prozent in Aussicht gestellt. Auch Analysten beginnen, ihm das zu glauben, und die Novartis-Aktie hebt wieder ab.
Wichtiger als die Umsatzzahlen für 2023, die Novartis am Mittwoch vorlegt, ist die Entwicklung der kommenden Patentklippen-Jahre. Die US-Bank Jefferies ist da sehr optimistisch. Für sie ist Novartis – abgesehen vom Abnehmspritzen-Hersteller Novo Nordisk – der Pharmastar in Europa. Für Narasimhan dürfte dies ein persönlicher Triumph sein.
Narasimhans unkonventionelle Art
Der frühere Arzt Narasimhan ist ein Mensch, für den Erfolg eine besondere Bedeutung hat. Sein Vater habe geweint, als er von seiner Ernennung zum Novartis-Chef erfuhr, erzählte er kurz nach seinem Antritt. An sich ist das nichts Ungewöhnliches, aber dass Narasimhan dies erzählt, schon. Zuvor hatte er von seiner Grossmutter berichtet, die kaum lesen und schreiben konnte. Er wollte damit klar machen: Er ist nah bei den Leuten – und er kam zwar auf die US-Eliteuniversität Harvard, aber es war ihm nicht in die Wiege gelegt worden.
Wegen seiner unkonventionellen Art wirkte Narasimhans Anfangsschlagwort «Unboss» zunächst so überzeugend. Viele Angestellten hofften auf einen Kulturwandel bei Novartis durch die propagierten neuen Arbeitsmethoden. Doch geändert hat sich wenig: Projekte, in denen die Mitarbeitenden jetzt eigenverantwortlich arbeiten, haben den Druck meist nur erhöht.
Die Schweiz ist und bleibt Hauptsitz von Novartis, der wichtigste Absatzmarkt ist jedoch die USA, auf die Narasimhan den Konzern immer mehr ausrichtet. Dies zeigte sich 2022 auch in der neuen Position eines US-Pharmachefs in der Konzernleitung. «Wir hatten keinen ausreichenden Fokus auf die USA und die Medikamente, die dort am erfolgreichsten sein können», sagte Narasimhan damals.
Narasimhan gilt als wenig kritikfähig. Dies, obwohl er sich genau das auf die Fahnen schreibt. Der plötzliche Abgang der erfolgreichen Pharmachefin Marie-France Tschudin letzten September hat damit zu tun. Sie galt in der Geschäftsleitung als diejenige, die Narasimhan am ehesten kritisierte. Sie war bei Novartis neben ihm auch diejenige mit dem grössten Machtbereich. Inzwischen ist ein neuer Pharmachef an Bord.
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