Novartis streicht 120 StellenDer «Unboss» zeigt, wer hier der Chef ist
Er wollte flache Hierarchien und Selbstverantwortung: Nun vollzieht Novartis-Chef Vas Narasimhan eine Reorganisation. Der Abgang der Pharmachefin dürfte gewollt sein.
Angetreten war Vas Narasimhan, um die Macht- und Angststruktur beim Basler Pharmakonzern Novartis abzuschaffen. Seine neuste Aktion zeigt: Inzwischen geht es ihm vor allem um den Machterhalt.
Hinter dem am Mittwoch bekannt gewordenen Abgang der Pharmachefin Marie-France Tschudin verbirgt sich eine erneute Reorganisation. Dabei streicht Narasimhan Stellen, die er vor einem Jahr erst geschaffen hatte. Publik macht dies Novartis zunächst jedoch nicht.
Vor allem Kaderstellen betroffen
Erst auf Nachfrage erklärt der Konzern, dass rund 120 Vollzeitjobs in dem bei Tschudin angesiedelten Bereich International entfallen werden. «Diese Stellen sind hauptsächlich an unserem globalen Hauptsitz in Basel und in den USA angesiedelt», erklärt Konzernsprecher Satoshi Sugimoto.
Betroffen sind vor allem Kaderpositionen, wie es von verschiedenen Personen aus dem Umfeld des Unternehmens heisst.
Was Narasimhan mit der Neuorganisation vorhat: Er schafft die 2022 erst eingeführte zentrale Stelle des Chief Commercial Officer ab. Sie sollte bei Novartis die Entwicklung eines neuen Medikaments bis zu seiner Zulassung steuern und dabei unter anderem auch die weltweiten Ziele für seinen klinischen Nutzen festlegen. Tschudin hatte diese Funktion neben ihrer Aufgabe als Pharmachefin inne. Mit dem Wegfall dieser Position geht auch sie.
Tschudins Abgang sah Narasimhan wohl als Chance, seine Stellung halten zu können.
«Tschudin war eine sehr erfolgreiche Pharmachefin, aus diesem Blickwinkel sehe ich keinen Grund für Novartis, sie zu verlieren», sagt Pharmaspezialist Stefan Schneider vom Investmenthaus Vontobel.
Die 52-jährige Tschudin galt in der Geschäftsleitung als diejenige, die Narasimhan am ehesten herausgefordert und kritisiert hat. Sie war bei Novartis auch die Figur mit der grössten Macht neben dem Konzernchef.
Bei der Diskussion um die Neuorganisation hat es dem Vernehmen nach in der Geschäftsleitung erhebliche Differenzen gegeben. Narasimhan soll jedoch zu keinen Kompromissen bereit gewesen sein. Kritik liess er nicht gelten, heisst es. Tschudins Abgang nahm er in Kauf. Mehr noch, er sah dies wohl als Chance, um seine eigene Stellung besser halten zu können.
Schon der Umsatz unter Tschudins Verantwortung machte ihre starke Stellung klar: Allein im zweiten Quartal erzielte sie in ihrer Sparte mit neuen Medikamenten weltweit 6,7 Milliarden Dollar. Der wichtige US-Markt ist dort nicht dabei, f¨ür diesen hatte Narasimhan letztes Jahr eine eigene Leitung geschaffen. Verglichen mit dem Rest der Welt, ist der Umsatz in den USA jedoch kleiner: Im zweiten Quartal lag er bei 4,5 Milliarden Dollar.
Ab Oktober ist das Pharmageschäft für Novartis sogar noch wichtiger. Dann nämlich ist die Abspaltung der Sparte Sandoz mit ihren günstigen Nachahmermedikamenten über die Bühne und einzig neue Therapien verbleiben beim Konzern.
Reine Pharmafirma – ohne Pharmachefin
Narasimhan hat seit seinem Antritt als Konzernchef im Februar 2018 auf dieses Ziel hingearbeitet: die Positionierung von Novartis als reiner Pharmakonzern und damit in der ersten Liga. Nun hat er es erreicht und entledigt sich genau in diesem Moment seiner Pharmachefin.
Nach einer Übergangsperiode soll Patrick Horber die Rolle des Pharmachefs International in Basel übernehmen. Der Schweizer kommt vom US-Pharmakonzern Abbvie, wo er derzeit noch die Immunologiesparte leitet.
Von Narasimhans «Unboss»-Kultur – flachere Hierarchien, Selbstverantwortung und Kritikfähigkeit – ist kaum etwas übrig.
Die Position von Narasimhan dürfte jetzt unangefochten sein. Vergangenes Jahr diskutierte der Verwaltungsrat Berichten zufolge über seine Ablösung. Er blieb jedoch im Sattel, und bis zur Wahl einer neuen Spitze des Verwaltungsrats 2024 wird der US-Amerikaner Narasimhan dort bleiben. Der jetzige Präsident Jörg Reinhardt muss dann altersmässig ausscheiden, und vorher wird er keine neue Konzernchefin oder neuen Konzernchef mehr bestellen.
Narasimhan bleibt also, er hat sich jedoch selbst überlebt. Von seiner «Unboss»-Kultur, die er zunächst propagierte, um flachere Hierarchien, Selbstverantwortung und Kritikfähigkeit einzuführen, ist praktisch kaum etwas übrig geblieben: «Er lebt nicht das, was er predigt», heisst es über ihn.
Mit der Auflösung der Funktion des Chief Commercial Officer entfällt nun zwar wieder eine Hierarchiestufe. Aber Kritikmöglichkeit und damit auch eigenverantwortliches Arbeiten stärkt Narasimhan damit im Konzern nicht.
In einer ersten Version hiess es, im ersten Halbjahr habe Tschudins Sparte einen Umsatz von 6,7 Milliarden Dollar erzielt, während es im US-Geschäft 4,5 Milliarden Dollar gewesen seien. Die beiden Zahlen betreffen jedoch das zweite Quartal.
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