EU-GipfelMotorschaden in Brüssel
Ausgerechnet in Europas grösster Krise fällt der deutsch-französische Motor aus. Olaf Scholz und Emmanuel Macron können nicht miteinander. Aber auch sonst klemmt es in der Runde am EU-Gipfel zu den explodierenden Energiepreisen.
Europa habe ein «Deutschland-Problem». So brachte es zum Auftakt des EU-Gipfels über die Energiekrise der Newsletter «Politico» auf den Punkt und ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz blockiert in Brüssel und erlaubt nur einen Minimalkompromiss als gemeinsame Antwort auf steigende Strom- und Gaspreise, nachdem er zu Hause ein 200 Milliarden Euro schweres Hilfsprogramm gegen die Energiekrise auf den Weg gebracht hat.
Die europäischen Partner werden nicht müde, den deutschen «Egoismus» anzuprangern. Es sei nicht gut für Deutschland und nicht gut für Europa, wenn Deutschland sich isoliere, sagte Präsident Emmanuel Macron in Brüssel. So hat noch nie ein französischer Präsident über den deutschen Partner gesprochen. Und noch nie war das Verhältnis zwischen Berlin und Paris so schlecht. Ohne den deutsch-französischen Motor geht in der EU nichts. Dieser Antrieb hat zwar immer mal wieder gestottert. Jetzt scheint der Motor aber schwer reparaturbedürftig, ebenso wie das Verhältnis zwischen Scholz und Macron. Dabei wäre das Tandem angesichts einer immer schwierigeren Tafelrunde der Staats- und Regierungschefs wichtiger denn je.
Eiszeit zwischen Scholz und Macron
Emmanuel Macron hat kurzfristig ein Ministertreffen nächste Woche in Paris abgesagt. Die Nachricht sorgt am Gipfel für Aufsehen und wird prompt als Indiz für das Beziehungsproblem zwischen dem französischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler gewertet. Bei den regelmässigen Treffen reisen jeweils die kompletten Regierungen an. Einige Ministerinnen und Minister hätten bereits Herbstferien mit ihren Familien geplant, so die informelle Erklärung aus Berlin. Das klingt angesichts von Russlands Krieg in der Ukraine und explodierenden Energiepreisen zu Hause als Entschuldigung reichlich absurd.
Näher an der Wahrheit dürfte sein, dass es derzeit mehr Streitpunkte gibt als gemeinsame Initiativen, die man als Erfolg präsentieren könnte. Scholz blockierte am EU-Gipfel den Preisdeckel beim Gas, den eine Mehrheit mit Frankreich dringend fordert. Der Bundeskanzler spricht sich auch dezidiert dagegen aus, dass die EU neue Schulden für ein gemeinsames Programm gegen die Energiekrise aufnimmt. Und handelt sich den Vorwurf ein, die europäische Solidarität zu verweigern. Nicht alle EU-Staaten können sich einen «Doppelwumms» leisten, wie der Deutsche Olaf Scholz sein nationales Hilfsprogramm nennt.
Kommunikation ist Teil des Problems. Olaf Scholz reagiert schmallippig auf Kritik. Die europäischen Partner hätten einfach die deutsche Position nicht verstanden. Die Liste der Konflikte zwischen Scholz und Macron wird dabei immer länger. In Berlin ist man verstimmt, weil Frankreich eine Gaspipeline nach Spanien blockiert, die Deutschland gern gebaut sähe. In Paris ist der Ärger gross darüber, dass die deutsche Regierung bei gemeinsamen Rüstungsprojekten wie dem FCAS-Fighterjet oder einem europäischen Kampfpanzer bremst. Das gemeinsame Ministertreffen soll nun im Januar nachgeholt werden. Noch offen ist, ob Scholz und Macron nächste Woche zur Klimaverbesserung zumindest zu einem Tête-à-Tête zusammen kommen.
Die Ungewissheit nach Mario Draghi
Der deutsch-französische Motorschaden ist nicht die einzige Havarie, die der EU zu schaffen macht. Am Gipfel hat Mario Draghi seinen letzten Auftritt, bevor in Rom voraussichtlich Georgia Meloni mit ihrer Rechtsregierung übernimmt. Draghi hat der drittgrössten Volkswirtschaft der EU in Brüssel zuletzt wieder Gehör verschafft und war gerade für Emmanuel Macron ein wichtiger Sparringpartner. Gut möglich, dass Italien in nächste Zeit wieder vor allem mit sich selber beschäftigt ist.
Der schwedische Unbekannte
Das erste Mal dabei ist Schwedens Premierminister Ulf Kristersson, dessen Regierung von der Unterstützung der rechtsextremen Schwedendemokraten abhängt. Schweden löst am 1. Januar Tschechien an der Spitze der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft ab und führt dann für ein halbes Jahr die Agenda. Die Schwedendemokraten sind überzeugte EU-Gegner und haben die parteiübergreifende Vorbereitung der Ratspräsidentschaft noch in der Opposition boykottiert. Es könnte im neuen Jahr also spannend werden. Anders als andere rechtsextreme Parteien sind die Schwedendemokraten immerhin bei der Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression mit an Bord. Die Partei unterstützt auch das Ziel des Nato-Beitritts.
Provokateur Viktor Orban
Viktor Orban liebt die Rolle als Störenfried und findet immer wieder einen Weg, um seine Basis zu Hause «gegen Brüssel» zu mobilisieren. Gerade hat er ein Referendum lanciert, bei dem die Ungarinnen und Ungarn Suggestivfragen zu den EU-Sanktionen gegen Russland beantworten sollen. In Brüssel hat der Regierungschef zwar allen acht Sanktionspaketen bisher zugestimmt. Zu Hause tut er so, als wären die Strafmassnahmen Teufelswerk der Brüsseler Eurokraten. Am Gipfel will er fordern, die Russlandsanktionen bis Ende Jahr aufzuheben. Die europäischen Partner sehen darin ein reines Erpressungsmanöver. Die EU hat wegen mangelhafter Korruptionsbekämpfung Milliardengelder für Ungarn blockiert. Sanktionsbeschlüsse müssen einstimmig verlängert werden. Orban hofft, mit seiner Drohung die dringend benötigten Gelder für seine leeren Staatskassen freipressen zu können.
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