Macrons KI-Gipfel in ParisDas grosse Tech-Wettrennen im Grand Palais: Wacht Europa jetzt auf?
Die Revolution des 21. Jahrhunderts spielt in den USA und China. Jetzt drängt Frankreichs Präsident sein Land und Europa in eine aktivere Rolle im Kampf um die Vorherrschaft mit künstlicher Intelligenz. Warum das gelingen kann.
![Teilnehmer sitzen beim Künstliche Intelligenz Aktionsgipfel im Grand Palais in Paris am 10. Februar 2025.](https://cdn.unitycms.io/images/175Ftrn-aQLBVAHLpU7dGf.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=YLWTPa2dfK4)
Der Pariser Grand Palais, Juwel der Belle Époque mit seinem monumentalen Glasdach, erbaut für die Weltausstellung 1900 und renoviert für die Olympischen Sommerspiele 2024, ist wohl nicht die allerpassendste Bühne für das Rennen nach der Zukunft und der künstlichen Intelligenz, der KI. Für diese Revolution in vollem Gange, die unser Leben verändern wird. Aber was ist er unmodern schön, voluminös, europäisch. An jeder zweiten Tür steht auf flatternden weissen Blättern: «Bitte Tür schliessen.» Weil, nun ja, sonst zieht es im Grand Palais. Und vielleicht passt das als Metapher fürs Erste schon ganz gut. Es zieht, kalt und unwirtlich.
Frankreich und sein Präsident Emmanuel Macron haben die Welt zu einem zweitägigen «AI Action Summit» eingeladen, einem Gipfel im grossen Stil, mit tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern von überall, mit prominenten Chefs und Souschefs aus der Techbranche, mit Forschern und Unternehmern, die sich in Runden zusammensetzen und reden. Unter dem Glasdach. Damit auch Europa teilhat und mitredet bei dieser Revolution, ein bisschen wenigstens.
Wer erfindet die besseren Tools?
Die spielt nämlich vor allem in den USA und in China, als wäre es ein geopolitisches Wettrüsten allein zwischen zwei Weltmächten und deren Techfirmen, wie man das früher ähnlich im Kalten Krieg hatte. Nur dass es damals, zwischen der Sowjetunion und dem Westen, um Raumfahrt und Langstreckenraketen ging.
Jetzt geht es darum, wer die besseren Tools erfindet, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Die Art, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren, Texte schreiben, wie die Wissenschaft Daten nutzt, wie die Ärzte Diagnosen verfeinern, wie wir uns im Alter womöglich von Assistenten helfen lassen werden, die vieles können, aber eben keine Menschen sind.
![Emmanuel Macron bei einem Treffen mit Chinas Vizepremier während des KI-Aktion-Gipfels im Élysée-Palast, Paris, Februar 2025.](https://cdn.unitycms.io/images/5G8GgTPfaAeAQuKrwc1ZKn.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=o06oYrqjrI0)
Bei der Entwicklung dieser Tools also sind die Amerikaner und die Chinesen so weit voraus, dass man sich in Europa fragt, ob es schon zu spät sei, um sie noch einzuholen. Vor ein paar Wochen passierte etwas Unerhörtes. Da legte eine Firma aus China, das bis dahin fast unbekannte Start-up Deepseek des Gründers Liang Wengfeng, ein Programm vor, das mit vergleichsweise knappem Aufwand an Kapital, Rechenleistung und Strom Ähnliches leistet wie aktuelle Sprachmodelle von Chat-GPT-Macher Open AI. Vielleicht ist Deepseek gar noch besser, noch schneller.
Die Aktien der amerikanischen Branchengrössen sackten ab, ihre Marktkapitalisierung verlor Milliarden. Bis dahin hatte man gedacht, dass das Silicon Valley allen enteilt war. Nun hat es Rivalen.
Im Grand Palais zirkuliert deshalb eine bildhafte Anlehnung an den Sport, um der Situation einigermassen gerecht zu werden. Es sei wie bei einem Fussballspiel: Chinesen spielen gegen Amerikaner, Europa gibt den Schiedsrichter. Und der Schiedsrichter gewinnt bekanntlich nie.
Der plötzliche Auftritt von Deepseek ist allerdings ein Hoffnungsschimmer: Wenn ein Start-up aus dem vermeintlichen Nichts das ganze Spiel so markant beeinflussen kann wie ein eingewechselter Joker mit einem Tor im Fussball, dann sind die Player in Europa vielleicht noch nicht verloren.
Macron versteht sich als Wecker
So kann man auch die Rolle von Frankreich und Emmanuel Macron lesen. In einem Interview vor dem Pariser Gipfel, der in Frankreich alle Medien tagelang in seinen Bann schlug, sagte der Präsident: «Wenn die Welt beschleunigt, können wir nicht bremsen.» Das sei der Moment, dass Europa aufwache. Macron versteht sich als Wecker und Anstecker, als Leader eines «dritten Wegs».
![Arthur Mensch, Gründer des Start-ups Mistral AI, bei einem Besuch der französischen Arbeitsagentur France Travail in Paris, Februar 2025.](https://cdn.unitycms.io/images/CoYSDblu4OO9ED-gosS9yA.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=lE0czrIpdxU)
Mit der Firma Mistral AI, die zu den Top 5 der KI-Welt gehört, hat Frankreich wenigstens bereits einen etablierten Mitspieler. Ihr Chef, der 32-jährige Unternehmer und Ingenieur Arthur Mensch, ist so etwas wie der Superstar der französischen Techszene. Gerade brachte Mistral seinen neuen Chatbot heraus: Le Chat, was praktischerweise französisch ist für «die Katze».
Macron nutzt den Gipfel, den Frankreich zusammen mit Indien ausrichtet, auch dazu, ausländische Investoren ins Land zu locken, etwa aus Kanada und aus den Arabischen Emiraten. 109 Milliarden Euro, sagte er am Staatsfernsehen, würden in den kommenden Jahren in die Entwicklung des französischen KI-Sektors investiert, in die Ausbildung und den Bau von Datenzentren.
Eine schüchterne Kampfansage
«Proportional ist das etwa so viel wie die 500 Milliarden Dollar der Amerikaner.» Der Hinweis war nicht zufällig gewählt, es war eine schüchterne Kampfansage: Donald Trump hatte neulich angekündigt, dass die USA 500 Milliarden in AI investieren würden, und angefügt: «Mindestens.» Macron rechnet nun allen vor, dass Frankreich mit seinen Kernkraftwerken viel «sauberen Strom» produziere, mit dem sich die vielen grossen Datenzentren betreiben liessen, die es bald brauchen werde.
Seine Kritiker aber werfen ihm vor, er sei viel zu enthusiastisch, er führe sich auf wie ein Marketingleiter der KI-Branche. Sein Gipfel? Eine «Propagandamesse».
Dabei, sagen Skeptiker, müsse man doch besorgt sein über die problematischen Auswüchse der KI. Etwa über die Gefahr von Massenentlassungen in Arbeitswelten, in denen die Technologie den Menschen überflüssig machen wird. Man hört oft, KI übernehme repetitive Aufgaben, das mache Zeit frei für kreative Arbeit: Doch was ist mit Menschen, die nicht für kreative Arbeit ausgebildet sind?
Sorge gibt es auch wegen der mangelnden Transparenz der Techfirmen und ihrer Algorithmen. Und wegen Deepfakes. Viele Künstler befürchten zum Beispiel, dass die Weltveränderer ihre Werke, ihre Kreativkraft, noch dreister stehlen und benutzen, als sie jetzt schon tun, und dass die Autorenrechte im Sog des laufenden Temporennens weggeschwemmt werden. Auch dazu gab es eine Gesprächsrunde im Grand Palais. Reicht es aus, wenn Werke, die mit KI geschaffen wurden, mit einem entsprechenden Siegel versehen sind, damit jeder Bescheid weiss und auswählen kann?
Eine globale Regelung – mit europäischem Geist
Der Vorwurf an Macron ist nicht ganz fair. Er ruft schon auch dazu auf, dass die Welt gemeinsame Regeln brauche, um die heiklen Aspekte der neuen Technologien zu begleiten – eine globale Gouvernance, die auch den europäischen Geist in sich trage, wie Macron es nennt. Er meint damit: Ja zum Fortschritt, aber Nein zur Anarchie. Die Frage ist nur, ob Europa damit durchkommt. Es hat nämlich gerade seinen wichtigsten Alliierten verloren.
Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hängen alle Regulierungsbemühungen von Amtsvorgänger Joe Biden in der Luft. Trump hat nie versteckt, dass er an der Seite der Techbosse steht – und diese an seiner, wie die Bilder von der Inauguration bleibend zeigten.
Regulierung ist ihnen allen ein Schimpfwort, sie hemmt das Business. Einer von ihnen, Elon Musk, unter anderem Chef von Tesla und Starlink, sitzt in Washington jetzt gar mit an der Macht.
Elon Musk hat wohl keine Zeit
In Paris war lange gerätselt worden, ob Musk für den Gipfel anreisen würde. Dass er nicht angekündigt war, liess man als Dementi nicht gelten. War er nicht auch bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame im Dezember plötzlich da, ohne Vorankündigung? Kommt er noch? Stiehlt er J. D. Vance die Show, Trumps Vize, der die Einladung annahm?
Nun, wahrscheinlich hat Musk gerade keine Zeit. Er pflügt den Verwaltungsapparat der USA um. Er holte dafür sehr junge Hacker aus seinem Unternehmen, die persönliche Daten von Bürgern aus den Systemen abschöpfen – und niemand weiss, was damit passiert.
Auch das ist die neue Welt, es zieht kalt und unwirtlich.
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