Ungenutztes Potenzial der KreislaufwirtschaftWir werfen die Hälfte des Abfalls weg – ohne zu recyceln
Die Schweiz brüstet sich mit ihrer Recyclingquote – doch es klafft ein Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Zahlen und Fakten in Grafiken.
Rund 700 Kilogramm Siedlungsabfall erzeugt jede Schweizerin und jeder Schweizer pro Jahr. 700 Kilogramm, das ist etwa zehnmal so viel, wie die Person, die den Müll verursacht, auf die Waage bringt. In absoluten Zahlen haben die Siedlungsabfälle in den letzten Jahrzehnten auch deutlich zugenommen: zwischen 1990 und 2021 um 50 Prozent von rund vier auf rund sechs Millionen Tonnen pro Jahr.
Der Siedlungsabfall besteht zu einem grossen Teil aus dem, was Haushalte entsorgen: Kehricht, Sperrgut und separat gesammelte Abfälle wie Altglas, Altpapier, Bioabfall, PET-Flaschen und Batterien. Auch die Abfälle von kleineren Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen werden zum Siedlungsabfall gerechnet.
Verborgen in den 700 Kilogramm Siedlungsabfall pro Person steckt auch eine gute Nachricht: Schneller als die gesamte Menge an Abfall wächst der Anteil, der separat gesammelt und recycelt wird. Waren es 1992 noch 188 kg pro Person, wird heute fast doppelt so viel dem Recycling zugeführt, nämlich rund 350 kg pro Person oder rund die Hälfte.
In absoluten Zahlen ergibt sich ein eindrücklicher Vergleich: 3,2 Millionen Tonnen Wertstoffe aus dem Siedlungsabfall werden jedes Jahr recycelt. Das entspricht 61-mal der Masse der Titanic. Bis 2035 möchte die Schweiz beim Siedlungsabfall eine Recyclingquote von mindestens 65 Prozent erreichen. So lautet auch das Ziel der EU.
Die rund 700 Kilogramm pro Person sind aber noch nicht alles. Der Siedlungsabfall macht nur rund ein Viertel des gesamten Abfalls aus. Die gewichtigste Abfallkategorie ist der Bauabfall. Hinzu kommen noch Sonderabfälle und Klärschlamm.
Welchen Nutzen hat das Recycling für die Umwelt? Gemäss Swiss Recycle, dem Dachverband der Schweizer Recycling-Organisationen, wird damit die Umweltbelastung gegenüber dem Einsatz von Neumaterial um 64 Prozent reduziert. Recycling spare jedes Jahr so viel Umweltbelastung, wie 183’000 Flüge rund um die Welt generieren (etwa 500’000 Tonnen CO₂).
Recycling ist natürlich nicht gratis. Die Wertstoffe müssen gesammelt, sortiert und in speziellen Anlagen aufbereitet werden. Gemäss Swiss Recycle werden dafür 66 Franken pro Person und Jahr ausgegeben. Das entspricht ungefähr einem Café crème pro Person und Monat.
Der Kehrichtsack birgt Recycling-Potenzial
Eine Recyclingquote von rund 50 Prozent heisst aber auch, dass heute noch mehr als 300 Kilogramm pro Person und Jahr in einer Kehrichtverbrennungsanlage entsorgt respektive thermisch verwertet werden, rund die Hälfte davon über den Kehrichtsack (148 kg pro Person und Jahr). Wie kürzlich ein Bericht des Bundesamts für Umwelt gezeigt hat, könnte von dem, was im Kehrichtsack landet, rund ein Fünftel recycelt oder anderweitig stofflich verwertet werden. Das gilt vor allem für Bioabfall.
Die Schweiz brüstet sich mit einer der höchsten Recyclingquoten weltweit. Wenn man aber über die Schweiz hinausschaut, klafft noch ein grosser Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Die in der Schweiz eingesetzten Materialien und Rohstoffe stammen zu einem überwiegenden Teil aus neu abgebauten Ressourcen, nicht aus dem Recycling. Das steht im ersten Circularity Gap Report für die Schweiz, initiiert vom Verein Circular Economy Switzerland. Diese primären Rohstoffe – jährlich rund 163 Millionen Tonnen – führen im Ausland zu erheblichen Umweltauswirkungen, Emissionen und Abfällen.
In Zahlen bedeutet das: Nur rund sieben Prozent der Konsumgüter sind hierzulande zirkulär, stammen also aus wiederverwerteten Materialien. Es existiert also eine «Zirkularitätslücke» von rund 93 Prozent.
Um die Lücke zu schliessen, gibt es mehrere Strategien, darunter: Wiederverwendung, Aufbereitung, Reparatur und Recycling. «Hier gibt es enorme Defizite», heisst es im Bericht. Zwar ist es nicht realistisch, alle Konsumprodukte zu hundert Prozent aus recycelten Materialien herzustellen. Aber bis zu einer Kreislaufwirtschaft, die ihren Namen verdient, ist es noch ein weiter Weg.
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