Interview zur KreislaufwirtschaftPlastik, Bioabfall und Papier: «Recycling ist nicht die einzige Strategie»
In der Schweiz werden rund 50 Prozent des Siedlungsabfalls wiederverwertet, der Rest wird verbrannt. Rahel Ostgen von Swiss Recycle erklärt, wie wir die Kreislaufwirtschaft stärken können.
Frau Ostgen, in der Schweiz werden etwas mehr als 50 Prozent des Siedlungsabfalls recycelt, der Rest wird verbrannt. Von einer Kreislaufwirtschaft ist man also noch weit entfernt.
Es gibt zwar noch Potenzial, im internationalen Vergleich nimmt die Schweiz damit aber dennoch einen Spitzenplatz ein.
Es geht also noch mehr als 50 Prozent?
Ja. Beispielsweise hat die EU das Ziel formuliert, bis 2035 65 Prozent des Siedlungsabfalls zu recyceln. Wir von Swiss Recycle sind der Ansicht, dass sich die Schweiz durchaus ebenso ambitionierte Ziele setzen kann.
Könnte man auch 100 Prozent des Siedlungsabfalls recyceln – oder ist bei 65 Prozent Schluss?
Die Frage sollte nicht nach einer konkreten Quote sein, sondern vielmehr, wo das Optimum im gesamten Prozess liegt. Recycling ist nur ein Teil der Lösung und Teil der Kreislaufwirtschaft. Aber es gilt auch andere Strategien zu berücksichtigen, zum Beispiel eine Reduktion des Abfallaufkommens.
Recycling ist also nicht das Nonplusultra?
Das eigentliche Ziel ist die Optimierung des gesamten Umweltnutzens. Wenn beispielsweise eine nicht recycelbare Verpackung einen grossen Umweltnutzen bringt, indem sie Lebensmittel vor dem Verderben schützt, dann ist es durchaus sinnvoll, diese zu verwenden.
Zum Beispiel?
Das können beispielsweise bestimmte Folien für die Fleischverpackung sein. Diese bestehen aus mehreren speziellen Schichten, die sich fürs Recycling noch nicht mit vertretbarem Aufwand trennen lassen, die aber das Lebensmittel optimal schützen. Da die Herstellung von Fleisch mit einer hohen Umweltbelastung verknüpft ist, ist der Umweltschaden durch die Folie letztlich viel geringer als der Schaden durch verdorbenes Fleisch. Denn dank der Folie hat man weniger Food-Waste.
Es ist also am besten, wenn man die Folie am Ende verbrennt.
In diesem Fall, ja. Dann hat man noch einen energetischen Nutzen. In Zukunft sollte es aber gelingen, Produktschutz und Rezyklierbarkeit besser zu verbinden.
Ganz schliessen lässt sich der Kreislauf beim Siedlungsabfall also nicht?
Vermutlich nicht. Es gilt aber, Strategien wie Vermeidung, Wiederverwendung und Recycling zu priorisieren. Und als Ergänzung braucht es die Kehrichtverbrennung und somit die thermische Verwertung.
Wenn man die Abfallsektoren anschaut – etwa Plastik, Bioabfall und Papier –, wo muss noch am meisten passieren, um die gesteckten Ziele zu erreichen?
Beim Vermeiden gilt es vor allem, Food-Waste zu reduzieren. Beim Siedlungsabfall ist es sicher der Kunststoff, der noch das grösste Recyclingpotenzial hat.
Das liegt wohl daran, dass in der Schweiz – abgesehen von PET – praktisch kein Plastik gesammelt wird.
Ja, das wird sich aber ändern. Denn aktuell entsteht eine Branchenlösung: Im Rahmen des Projekts «Sammlung 2025» arbeiten über 70 Organisationen entlang der ganzen Wertschöpfungskette an einer Kreislaufwirtschaft für Verpackungen aus Kunststoff und Getränkekartons. Dazu soll künftig ein schweizweiter Sammelsack für Mischplastik und Getränkekartons angeboten werden. Bisher gibt es diesen nur vereinzelt in einigen Regionen, etwa den Kunststoffsammelsack, den KUH-BAG und den Generation-M-Sack.
Welches Ziel verfolgt die Schweiz bei der Recyclingquote von Mischplastik?
Bei den Verpackungen aus Kunststoff wollen wir 55 Prozent recyceln, beim Getränkekarton 70 Prozent, jeweils bis 2030.
«Produkte und Verpackungen müssen so hergestellt werden, dass sie sich reparieren, wiederverwenden oder wiederverwerten lassen.»
Wird der Sack mit dem Plastikabfall dereinst wie der Restabfall vor dem Haus abgeholt?
Aktuell ist eine Bringlösung angedacht: Die Konsumentinnen und Konsumenten bringen den Sack an eine Sammelstelle. Regionale Lösungen zur Abholung sind aber nicht ausgeschlossen.
Setzt man damit nicht eine zu hohe Hürde für die Sammlung?
Man hat ja auch heute schon diverse Rückgabemöglichkeiten für unterschiedliche Wertstoffe an zentralen Orten. Das Ziel ist, dass man die Rückgabe des Kunststoffsacks kombinieren kann mit der Rückgabe der anderen Stoffe wie Glasflaschen, Dosen, Batterien oder PET.
Neben dem Sammeln von Mischplastik, welches sind die weiteren Herausforderungen beim Recycling des Siedlungsabfalls?
Eine betrifft das Design der Produkte und Verpackungen. Diese müssen so hergestellt werden, dass sie sich am Ende auch gut wiederverwenden, reparieren oder wiederverwerten lassen. Wir sprechen vom Design for Recycling oder Ökodesign.
Zum Beispiel?
Mischkunststoffe sind immer schwieriger zu recyceln als reine Kunststoffe wie beispielsweise bei den PET-Getränkeflaschen. Beim PET funktioniert das Recycling hervorragend, da wird aus einer Flasche wieder eine Flasche. Kunststoffverpackungen und andere Produkte sollten also, wenn möglich, ebenfalls sortenrein sein. Problematisch ist auch, wenn zum Beispiel Kunststoff-Trinkflaschen mit einem Mantel aus einem anderen Kunststoff überzogen sind, einem sogenannten Sleeve.
Warum ist das problematisch?
Wenn der Sleeve über die ganze Flasche geht, ist im automatisierten Sortierprozess schlecht zu erkennen, aus welchem Kunststoff die Flasche besteht. Da hilft es schon, wenn die Sleeves nur einen Teil der Flasche bedecken. Ein Problem für den Sortierprozess ist es auch, wenn bei der Kunststoffverpackung dunkle Farben eingesetzt werden. Dann ist der Kunststoff wegen der schlechteren Reflexion von Licht schwierig automatisiert zu identifizieren.
Soll der gesammelte Mischkunststoff auch in der Schweiz recycelt werden?
Aktuell ist dies nicht der Fall. Nur PET-Getränkeflaschen werden in der Schweiz sowohl sortiert als auch recycelt. Gemischte Kunststoffe werden im grenznahen Ausland sortiert. Was wir in der Schweiz haben, sind Recyclingfirmen für gewisse Kunststoffarten. Diese Kunststoffe kommen dann wieder zurück in die Schweiz und können hier weiterverarbeitet werden.
«Man sollte bewusst einkaufen, sich also fragen: Brauche ich das überhaupt?»
Wie weit ist man heute beim Design for Recycling?
Mit den Themenplattformen von Swiss Recycle bringen wir derzeit alle Akteure der Wertschöpfungskette zusammen, damit Branchenlösungen geschaffen werden können. Dabei orientieren wir uns auch an der EU, die ab 2030 nur noch rezyklierbare Verpackungen auf dem Markt haben will.
Bedeutet das Design for Recycling einen Verlust an Funktionalität oder Qualität des Produkts?
Nein, die Funktionalität oder Qualität des Produkts muss durch das Design for Recycling nicht eingebüsst werden. Zudem kann es für Firmen ein Vorteil sein, wenn sie mit Design for Recycling werben können. Die Firmen haben aber auch den Anreiz, eine langfristige Kreislaufwirtschaft aufzubauen, sodass Material verfügbar ist, das wieder eingesetzt werden kann.
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Wie können Konsumentinnen und Konsumenten zum Recycling und zur Reduktion des Siedlungsabfalls beitragen?
Ein Beitrag besteht darin, die vorhandenen Angebote, Wertstoffe zurückzugeben, auch zu nutzen. Dann geht es um das, was wir die RE-Strategien nennen: reuse, repair, recycle …
… also wiederverwerten, reparieren, recyceln.
Ja. Konsumentinnen und Konsumenten können auch Mehrwegangebote nutzen, Obst und Gemüse in mitgebrachte Beutel statt in Einwegtüten stecken, ihre Geräte und ihre Kleidung möglichst lange nutzen und dafür auch Reparaturangebote in Anspruch nehmen.
Reparaturangebote, etwa für Kleidung und Geräte, sind aber noch eine Nischenlösung.
Aber es gibt sie, und es gibt immer mehr davon. Noch besser ist es natürlich, Abfall von vornherein zu vermeiden. Daher sollte man bewusst einkaufen, sich also fragen: Brauche ich das überhaupt?
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