UNRWA-VerbotWie Israel die UNO vertreibt
Dem Palästinenserhilfswerk UNRWA werden per Gesetz alle Aktivitäten auf israelischem Gebiet untersagt. Die Vereinten Nationen sagen, das mache jegliche Hilfe für Gaza unmöglich.
- Die Knesset verbietet der UNRWA jegliche Aktivitäten auf israelischem Gebiet.
- Das Verbot betrifft auch das UNRWA-Hauptquartier in Ost-Jerusalem, das schliessen muss.
- Humanitäre Hilfe in Gaza wird durch das neue Gesetz erheblich erschwert.
- International gibt es massive Kritik gegen die neuen israelischen Gesetze.
Es war eine hitzige Debatte im israelischen Parlament am Montag, die dann aber mit einem klaren Ergebnis endete. Mit 92 zu 10 Stimmen votierten die Abgeordneten der Knesset in Jerusalem am Abend für ein Gesetz, das dem Flüchtlingshilfswerk der Palästinenser (UNRWA) auf israelischem Territorium jegliche «Aktivitäten» verbietet.
Ein zweites Gesetz untersagt allen israelischen Behörden jeden Kontakt zur UNRWA. Zusammengenommen könnten die beiden Gesetze die humanitäre Hilfe für die Palästinensergebiete und vor allem den Gazastreifen zum Erliegen bringen. Sie sollen in 90 Tagen in Kraft treten. Ein arabischer Abgeordneter sprach von einem «faschistischen Gesetz» und wurde dafür von den Initiatoren des Gesetzes lautstark angegangen. (Lesen Sie hier die aktuellen Entwicklungen im Krieg in Nahost.)
Beide Gesetze stossen weltweit auf einhellige Kritik. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini warnte, dass sich das Leid der Palästinenser insbesondere in Gaza nur verschlimmern werde. Deutschland und viele andere europäische Staaten hatten Israel vor diesem Schritt gewarnt. Die Regierungen Spaniens, Sloweniens, Irlands und Norwegens verurteilten das Verbot, es stelle einen Präzedenzfall für die Arbeit der UNO und aller Organisationen des multilateralen Systems dar.
Grossbritanniens Aussenminister David Lammy schlug am Montag Sanktionen gegen israelische Politiker vor, falls die UNRWA durch die Entscheidung der Knesset «in die Knie gezwungen» werde. Ein Sprecher des US-Aussenministeriums sagte, das Verbot könne «Auswirkungen auf das US-Recht haben». Amerikanische Gesetze untersagen die Ausfuhr von Offensivwaffen in Länder, die den Zugang zu humanitärer Hilfe einschränken.
Das UNRWA-Hauptquartier in Ost-Jerusalem müsste schliessen
Das erste in der Knesset verabschiedete Gesetz verbietet der UNRWA, «auf israelischem Hoheitsgebiet direkt oder indirekt eine Vertretung zu unterhalten, Dienstleistungen zu erbringen oder Aktivitäten durchzuführen». Das betrifft vor allem das UNRWA-Hauptquartier in Ost-Jerusalem, das Israel zu seinem Staatsgebiet zählt, was aber international weitgehend nicht anerkannt ist. Treten beide Gesetze wie geplant in Kraft, muss die UNRWA ihr Hauptquartier in Ost-Jerusalem schliessen.
Das zweite Gesetz verbietet israelischen Behörden jeden Kontakt zur UNRWA. Damit werden Hilfslieferungen nach Gaza sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Dort leiden Hunderttausende unter Nahrungsmittelknappheit, die UNRWA ist die wichtigste humanitäre Organisation, die noch über eine Infrastruktur zur Verteilung von Hilfsgütern verfügt. Wenn der UNO-Organisation der Kontakt mit israelischen Behörden und der Armee untersagt wird, kann ein grosser Teil der humanitären Hilfe nicht wie bisher nach Gaza gelangen.
Alle Grenzübergänge werden von Israel kontrolliert, der Übergang Rafah nach Ägypten ist auf palästinensischer Seite von Israel besetzt und geschlossen. Bisher musste die UNRWA ihre Hilfstransporte mit der Armee abstimmen, holte viele Güter auf der palästinensischen Seite der Grenzübergänge zu Israel ab und verteilte sie. «Es gibt keine Alternative zur UNRWA», sagte UNO-Generalsekretär António Guterres.
Nach Angaben der Nachrichtenseite Ynet hatte auch das israelische Aussenministerium vor den Gefahren einer Verabschiedung des UNRWA-Gesetzes gewarnt und darauf hingewiesen, dass Israel gegen die UNO-Charta verstossen und ausgeschlossen werden könnte.
9 Mitarbeiter sollen am Terror des 7. Oktober beteiligt gewesen sein
«UNRWA-Mitarbeiter, die an terroristischen Aktivitäten gegen Israel beteiligt sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden», sagte hingegen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nach der Verabschiedung des Gesetzes. Israel hatte bereits im Januar Vorwürfe erhoben, dass mehrere Mitarbeiter am Terror des 7. Oktober beteiligt gewesen seien. Eine UNO-Untersuchung kam zu dem Schluss, dass bei «neun Personen die Beweise ausreichen, um zu dem Schluss zu kommen, dass sie an den Anschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein könnten». Ihre Verträge wurden gekündigt.
Eine weitere unabhängige Untersuchung war zuvor zu dem Ergebnis gekommen, dass die UNRWA «Probleme» mit der Neutralität habe, Israel seine Vorwürfe der Unterwanderung der Organisation durch die Hamas aber bisher nicht belegen könne. Die UNRWA gibt an, die Namen seiner 13’000 Mitarbeiter in Gaza bisher dem israelischen Geheimdienst zur Überprüfung vorgelegt zu haben – nach dem neuen Gesetz dürfte dies unmöglich werden.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) wurde 1949 gegründet. Sie soll sich um jene Palästinenser kümmern, die im Zuge der Staatsgründung Israels aus ihrer Heimat vertrieben wurden. In den besetzten Gebieten in Gaza und dem Westjordanland betreibt sie Schulen und Krankenhäuser. Sie übernimmt damit Aufgaben, die nach dem Völkerrecht eigentlich die Besatzungsmacht Israel ausführen müsste.
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