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Nahostkrieg und Ägypten
Hunderttausende Flüchtlinge: Der «ägyptische Albtraum»

epa11150816 Palestinians look out on the other side, as they stand at the beach near the border separating the Gaza Strip and Egypt in the Rafah refugee camp, southern Gaza Strip, 13 February 2024. Since 07 October 2023, up to 1.9 million people, or more than 85 percent of the population, have been displaced throughout the Gaza Strip, some more than once, according to the United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA), which added that most civilians in Gaza are in 'desperate need of humanitarian assistance and protection'.  EPA/HAITHAM IMAD
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Die Mauern sind höher geworden an der Grenze zum Gazastreifen, frisch lackierte Panzer stehen auf der ägyptischen Seite und zielen mit ihren Rohren auf den Norden. Nur, auf wen eigentlich genau? Wenige Kilometer weiter liegt der Grenzort Rafah auf palästinensischer Seite. Vor dem Terror der Hamas und dem Gegenangriff Israels auf den Gazastreifen lebten dort etwa 200’000 Einwohner, heute sollen es 1,4 Millionen sein.

Die meisten Flüchtlinge harren auf der Strasse aus, unter Zeltplanen und in Behelfsunterkünften. Sie sind aus allen Teilen des besetzten Gebietes geflohen, brachten sich hier einigermassen in Sicherheit nach den Aufforderungen der israelischen Armee. Die nun auch das vermeintlich sichere Rafah angreifen will.

Dort vermutet Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die letzte verbliebene Hochburg der Hamas. Den Zivilisten versprach er «einen sicheren Durchgang», sagte aber nicht, wohin dieser führen soll. (Lesen Sie auch den Artikel «Menschen in Rafah in Angst – humanitäre Lage ‹bereits jetzt katastrophal›».)

Sicherheitsrisiko für Ägypten

Die Vereinten Nationen fürchten bereits einen «ägyptischen Albtraum». Das sagte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Donnerstag. Die Angriffe auf Rafah könnten Hunderttausende Flüchtlinge nach Ägypten drängen. Und Präsident Abdel Fattah al-Sisi in eine schwierige Lage bringen. Würde er die Panzer an der Grenze zu Gaza wirklich auf Palästinenser schiessen lassen, wenn diese versuchten, über die Mauern zu kommen? Schwer vorstellbar.

Al-Sisi hat aber seit Oktober immer wieder klargemacht, dass er keine Massenflucht von Palästinensern zulassen werde. Knapp 2000 Schwerverletzte durften über die Grenze, mehr aber auch nicht.

Für Ägypten wäre ein massenhafter Zustrom aus Gaza ein Sicherheitsrisiko, Palästinenser könnten von dort aus Israel angreifen oder sich mit lokalen Islamisten zusammentun, die Ägypten im Nordsinai seit Jahren bekämpft. Die Gegend sieht aus wie ein Kriegsgebiet. Sie darf nur mit Sondergenehmigung betreten werden. Autos und Lastwagen müssen durch riesige Scanner, überall sind kilometerlange Betonmauern und Checkpoints der Armee. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Die Menschen sind ihnen anscheinend egal».)

TOPSHOT - Palestinians fleeing Khan Yunis arrive in Rafah with their belongings in a damaged car on February 15, 2024, as battles raged in the sourthern Gaza Strip between Israel and the Palestinian militant group Hamas. (Photo by MOHAMMED ABED / AFP)

Schon 2008 hatten Zehntausende Palästinenser den Grenzzaun überrannt, um in Ägypten Essen und Kleidung einzukaufen, seitdem wurde die Grenze verstärkt, mit dem Machtantritt von al-Sisi im Jahr 2013 wurden viele Tunnel zugeschüttet, über die Schmuggler alles Mögliche nach Gaza brachten, Autos, Tiere und Waffen. Al-Sisi hatte die Muslimbrüder von der Macht geputscht, die enge Verbindungen zur Hamas haben. Wer weiss also, wer da genau über die Grenze kommen würde?

Vor allem aber will al-Sisi nicht als derjenige gelten, der eine zweite Nakba zulässt. Die erste war die Vertreibung und Flucht in den Kämpfen und Kriegen um Israels Staatsgründung 1948. Nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober äusserten viele israelische Politiker grosse Sympathien dafür, die Bevölkerung von Gaza nach Ägypten abzuschieben und so das Palästina-Problem zu lösen. «Ich sage den Bewohnern des Gazastreifens: Geht jetzt, denn wir werden überall mit Gewalt vorgehen», sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu einen Tag nach den Terrorangriffen der Hamas.

Der ehemalige israelische Botschafter in Washington, Danny Ayalon, warb im Fernsehen für die aus seiner Sicht praktische Lösung: «Wir sagen den Menschen in Gaza nicht, dass sie an die Strände gehen oder sich ertränken sollen (…). Nein, Gott bewahre (…). Geht in die Wüste Sinai (…). Die internationale Gemeinschaft wird ihnen Städte bauen und sie mit Nahrung versorgen (…). Ägypten sollte da mitspielen.»

Israelis stürmen Spital in Khan Younis

Ägypten spielt aber nicht mit. Auch nicht gegen Geld, wie in den sozialen Medien gerade kolportiert wird, da der Internationale Währungsfonds wohl gerade ein Hilfsprogramm für Ägypten aufstellt, das bis zu zwölf Milliarden Dollar schwer sein könnte. Im Gegenteil, ägyptische Diplomaten sollen ihren Partnern aus Europa und den USA in den vergangenen Tagen deutlich gemacht haben, dass eine Massenflucht von Palästinensern eine Verletzung des Friedensvertrages von 1979 darstellen würde.

Inzwischen haben israelische Soldaten im Gazastreifen das wichtigste Spital im Süden des Gebiets gestürmt. Dabei handle es sich um einen begrenzten Einsatz auf der Suche nach Leichen von Geiseln der Hamas, teilte das israelische Militär mit. Zuvor hatte medizinisches Personal berichtet, bei israelischem Beschuss sei ein Patient getötet und sechs weitere Patienten verletzt worden.

Das Nasser-Spital in Khan Younis ist seit Wochen von Kämpfen betroffen. Israels Militär teilte heute mit, es gebe «glaubwürdige Geheimdienstinformationen», dass die Hamas in dem Spital Geiseln gehalten habe. Medizinisches Personal und Patienten würden nicht dazu gezwungen, das Spital zu verlassen.

Eine freigelassene Geisel hatte der Nachrichtenagentur AP im Januar gesagt, dass sie und mehr als zwei Dutzend weitere Geiseln im Nasser-Spital festgehalten worden seien. Israel wirft der Hamas vor, Spitäler zum Schutz ihrer Kämpfer zu missbrauchen.