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Präsidium im UNO-Sicherheitsrat
Wie die Schweiz hinter den Kulissen auf eine Waffenruhe im Nahen Osten hinarbeitet

Palestinians carry their belongings as they flee areas north of Gaza City in the northern Gaza Strip on October 12, 2024. In recent days, the military has launched an intense ground and air assault in northern Gaza, particularly in and around the city of Jabalia. (Photo by Omar AL-QATTAA / AFP)
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In Kürze:
  • Aussenminister Ignazio Cassis wird eine hitzige Debatte im UNO-Sicherheitsrat leiten.
  • Im Nahen Osten eskaliert die Situation. Und die UNO wird von der israelischen Regierung immer stärker unter Druck gesetzt – Israel könnte in Kürze die UNRWA verbieten.
  • Die Schweiz spielt in dieser Situation als Präsidentin des UNO-Sicherheitsrats eine zentrale Rolle.
  • Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten um Pascale Baeriswyl arbeiten in New York auf Lösungen hin, die der Zivilbevölkerung in Gaza helfen sollen.

Es wird eine hitzige Debatte werden, die Aussenminister Ignazio Cassis am Dienstag in New York leiten muss. Im UNO-Sicherheitsrat geht es um den Nahen Osten. Die Raketenangriffe von Israel auf militärische Ziele im Iran dürften das Hauptthema sein. Zudem könnte die UNO plötzlich vor der Situation stehen, dass Millionen von palästinensischen Flüchtlingen nicht mehr mit Nahrung und Medikamenten versorgt werden können. Denn am Montag entscheidet das israelische Parlament voraussichtlich darüber, ob es die UNO-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) als Terrororganisation einstuft. Damit wären ihr künftig jegliche Aktivitäten in Israel verboten.

Die Schweiz spielt in dieser schwierigen Situation eine besondere Rolle: Denn sie präsidiert noch bis Ende Monat den UNO-Sicherheitsrat. 

Bisher war die Schweizer Regierung in Bezug auf die Eskalation im Nahen Osten in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend. Zwar beschloss der Bundesrat nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023, die Hamas zu verbieten. Danach gab es zum Thema aber hauptsächlich noch kurze Statements vom Aussendepartement.

Das kontrastiert stark mit dem Engagement in Bezug auf den Ukraine-Krieg: Die Schweiz hat die erste Konferenz für den Wiederaufbau organisiert, ein Treffen von nationalen Sicherheitsberatern, sie holte Staatschefs für eine Friedenskonferenz auf den Bürgenstock und hielt jüngst ein Treffen zum Thema humanitäre Entminung ab. 

Konferenz in Genf geplant

Bundespräsidentin Viola Amherd sieht das anders. Nach ihrem Auftritt beim UNO-Sicherheitsrat in New York sagt sie dieser Redaktion, die Schweiz engagiere sich auch stark für Lösungen im Nahen Osten. «Der Bundesrat hat nicht nur schnell das Hamas-Verbot beschlossen, sondern auch die humanitäre Hilfe für die Region aufgestockt. Und wir haben von Anfang an gesagt, dass wir bereit sind, einen Weg zur Konfliktlösung zu unterstützen. Aber eine Vermittlung kann man nicht aufzwingen, die Konfliktparteien müssen damit einverstanden sein.»

Amherd betont weiter, die Schweiz habe im Sicherheitsrat zusammen mit anderen Staaten auf einen Waffenstillstand im Nahen Osten hingearbeitet. «Und in einigen Monaten werden wir in Genf eine Konferenz durchführen, bei der Massnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung im Zentrum stehen.» Eingeladen sind die ständigen Vertreter bei den Vereinten Nationen. Der genaue Termin steht laut Amherd noch nicht fest. Den Auftrag erhielt die Schweiz von der UNO.

Viele kleine Schritte für einen Waffenstillstand

Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten im Sicherheitsrat waren im letzten Jahr hinter den Kulissen ständig mit dem Gazakrieg beschäftigt. Im Frühling setzten sie sich mit Vertretern anderer Staaten dafür ein, die Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza zu verbessern. Dafür brauchte es viele kleine Schritte.

Die Idee entsteht bei einem Nachtessen mit dem UNO-Generalsekretär. Die Schweizer Chefdiplomatin bei der UNO, Pascale Baeriswyl, sagt: «Wir waren alle frustriert über die Lage im Nahen Osten und überlegten, was wir tun könnten.» Die zehn Botschafter einigen sich schliesslich darauf, einen Waffenstillstand zu verlangen.

Als Nächstes gilt es, eine Formulierung zu finden, bei der keine der fünf Vetomächte einschreitet. Besonders die USA sind kritisch, sie sind eine wichtige Unterstützerin Israels. Baeriswyl telefoniert übers Wochenende stundenlang mit der amerikanischen Botschafterin. Am Ende enthalten sich die USA bei der Abstimmung, die Resolution kommt durch. Die Resolution wäre eigentlich ein starkes Signal – aber die Konfliktparteien halten sich nicht daran. 

Weil in Gaza ein grosser Polio-Ausbruch droht, ruft die Schweiz den Rat Mitte Oktober zu einer dringlichen Sitzung zusammen. Es geht darum, dass mindestens kurze Waffenpausen eingehalten werden, damit 650’000 Kinder gegen Polio geimpft werden können. Die Ratsmitglieder werden sich alle einig – und anfangs sieht es so aus, als würden sich die Konfliktparteien an die Pausen halten. In den letzten Tagen verspätete sich die Impfkampagne aber wegen Luftangriffen im Norden von Gaza. 

Angriffe auf UNO-Friedensförderer

Als Präsidentin des Sicherheitsrats spielt die Schweiz derzeit auch eine zentrale Rolle hinsichtlich der Angriffe der israelischen Regierung auf die UNO. Am zweiten Tag der Schweizer Präsidentschaft im Sicherheitsrat erklärt die Regierung von Benjamin Netanyahu den UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zur «unerwünschten Person». Es ist die diplomatische Höchststrafe – die Schweiz macht das nicht einmal bei enttarnten Spionen, die illegal Waffen beschaffen wollen. Baeriswyl kritisiert diesen Schritt vor den Medien scharf, im Namen des ganzen Sicherheitsrats. Guterres ruft sie daraufhin an, um ihr zu danken. 

This image from United Nations Television, shows Switzerland Ambassador Pascale Baeriswyl during a meeting of the United Nations Security Council, Wednesday, Oct. 2, 2024. (UNTV via AP)

Doch die Kritik der Grossmächte kann nicht verhindern, dass wenig später israelische Soldaten im Libanon UNO-Blauhelmtruppen angreifen. 20 Peacekeeper werden verletzt. 

Eine Ausnahmesituation. Hannah Smidt, die an der Universität St. Gallen zum Thema internationale Friedensförderung forscht, sagt: «Das war meines Wissens das erste Mal überhaupt, dass ein demokratisches Land UNO-Friedensförderer angegriffen hat.» Smidt sagt auch: «Inzwischen herrscht bei Beobachtern in den meisten Staaten Konsens, dass der Beschuss kein Versehen gewesen sein kann.»

Auch nach diesen Angriffen arbeiten die Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten bei der UNO darauf hin, dass der Sicherheitsrat die Angriffe verurteilt – was er schliesslich auch tut.

Schweizer Parlament entscheidet über UNRWA-Hilfe

Nun könnte die nächste Stufe der Eskalation folgen. Die UNRWA ist der israelischen Regierung längst ein Dorn im Auge. Nach den Terroranschlägen der Hamas warf sie der Organisation vor, dass mehr als ein Dutzend ihrer Mitarbeiter direkt an den Massakern beteiligt gewesen seien.

Viele Länder sistierten daraufhin ihre Hilfszahlungen. Eine Untersuchung konnte nur einen Teil der Mitarbeitenden entlasten – aber klare Beweise, dass sich die anderen an Massakern beteiligten, fehlen bis heute. Deswegen haben sich inzwischen fast alle Staaten entschieden, die UNRWA wieder zu unterstützen. 

In der Schweiz muss das Parlament bald festlegen, wie es mit den Beiträgen an die UNRWA weitergeht. Der Nationalrat will alle Zahlungen einstellen. Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats vertagte letzte Woche ihren Entscheid. Darum gebeten hatte der Aussenminister. Cassis fand, dass der Entscheid erst nach den Sitzungen des Sicherheitsrats von dieser Woche fallen solle. Zuerst schliesst die Schweiz nun also ihre Präsidentschaft ab – und erst dann bezieht sie Stellung zur UNRWA-Frage.