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Einsitz im UNO-Sicherheitsrat
Die Schweiz entscheidet über Krieg und Frieden – kommt das gut?

Sechs Parteichefs, sechs unterschiedliche Erwartungen – die Schweiz wird sie im UNO-Sicherheitsrat nicht alle erfüllen können: Marco Chiesa (SVP), Cédric Wermuth (SP), Gerhard Pfister (Mitte), Thierry Burkart (FDP), Jürg Grossen (GLP), Balthasar Glättli (Grüne).
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Kriege, Konflikte, Krisen: Die neutrale Schweiz wird durch ihren Einsitz im UNO-Sicherheitsrat in den nächsten zwei Jahren zu zahlreichen diplomatischen Verwerfungen Stellung beziehen müssen. Gemeinsam mit den grossen Playern der Weltpolitik – China, USA, Russland, Frankreich, Grossbritannien – wird die Schweiz um die internationale Ordnung besorgt sein. 

Unter besonderem Druck steht dabei der Bundesrat: Wenn das UNO-Gremium Entscheide von grosser Tragweite fällt, wird er unter hohem Zeitdruck in ausserordentlichen Sitzungen die Position der Schweiz definieren müssen. Für ein Land, das sich auf der Weltbühne primär als Vermittlerin versteht, sind diese Abläufe eine Herausforderung. 

Entsprechend gross ist der Druck im Inland. Die Erwartungen der Parteipräsidenten an das Verhalten der Schweiz gehen diametral auseinander – hitzige Diskussionen sind bei umstrittenen Entscheiden absehbar, denn die Schweiz kommt in einer konfliktreichen Zeit in den Sicherheitsrat, in der auch ihre Neutralität international auf dem Prüfstand steht. 

«Eines der höchsten Güter unseres Landes droht Schaden zu nehmen: die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität.»

SVP-Chef Marco Chiesa

Die SVP befürchtet deswegen negative Konsequenzen für die Reputation der Schweiz: «Durch den Einsitz im Sicherheitsrat droht eines der höchsten Güter unseres Landes Schaden zu nehmen: die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität», sagt Parteipräsident Marco Chiesa. «Deshalb lehnt die SVP das Mitmischen in diesem Gremium der Grossmächte, das über Krieg und Sanktionen entscheidet, entschieden ab.» Von der Schweizer Vertretung erwarte seine Partei «äusserste Zurückhaltung» – sie müsse sich zumindest der Stimme enthalten. 

Die SVP wollte die Schweizer Kandidatur vergangenen Frühling im letzten Moment im Parlament stoppen. Unterstützung hatte das Anliegen auch in der Mitte-Partei. Nach intensiver Debatte entschied sich die Mitte-Fraktion jedoch gegen den Marschhalt im Bewerbungsverfahren – kritisierte aber ungewohnt deutlich die Arbeit des Aussendepartements (EDA). 

«Es braucht die nötigen Kompetenzen im EDA.»

Mitte-Chef Gerhard Pfister

An dieser Haltung hat sich bei Mitte-Präsident Gerhard Pfister nichts geändert. Er ist zwar der Ansicht, die Schweiz müsse als Brückenbauerin ihren Beitrag zur Friedenssicherung in der Welt leisten und im Sicherheitsrat ihre Werte vertreten. «Damit sie sich aber erfolgreich einbringen kann, braucht es die nötigen Kompetenzen im EDA. Zudem muss das Parlament in die Entscheide eingebunden werden.» Für seine Partei gebe es bei beiden Punkten nach wie vor Fragezeichen.

Konkret kritisiert Die Mitte die mangelhaften Abläufe und Entscheidkompetenzen in der Verwaltung und im Bundesrat. Das habe das blamable Vorgehen bei den Russland-Sanktionen gezeigt, teilte sie im Frühling öffentlich mit. Mehr noch: Im EDA fehle es an hoch qualifiziertem Personal, und FDP-Departementschef Ignazio Cassis sei die Koordination schneller Entscheide nicht zuzutrauen, hiess es in der Fraktion. 

Der Konter der FDP kam postwendend: Die Attacke der Mitte-Partei sei «scheinheilig, parteipolitisch motiviert und vollkommen deplatziert», schrieb sie in einem Communiqué. Und FDP-Chef Thierry Burkart forderte Pfisters Mitte auf, die Landesregierung angesichts der grossen Aufgabe im Sicherheitsrat nicht zu schwächen. 

«Der Sitz wird den ausgezeichneten Ruf der Schweizer Diplomatie stärken.»

FDP-Chef Thierry Burkart

Burkart stellt sich denn auch demonstrativ hinter Cassis und den Schweizer Einsitz im Gremium. «Er bietet die Chance, dass die Schweiz Schwerpunkte setzen kann – beim Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten oder bei der Friedensförderung. Das wird den ausgezeichneten Ruf der Schweizer Diplomatie stärken.» Für Burkart ist klar, dass die Reibereien zwischen den Parteien ein Vorgeschmack darauf sind, was noch folgen könnte: «Die Schweiz wird an schwierigen Entscheiden mitwirken und es nie allen recht machen können – Kritik im Inland ist daher vorprogrammiert.»

Uneingeschränkt optimistisch zeigt sich dagegen die GLP. Anders als die Mitte-Partei zweifelt sie nicht daran, dass die Schweiz mit der Entscheidungsfindung und dem Sitzungsrhythmus klarkommen wird, wie Präsident Jürg Grossen sagt. Dass die Schweiz nun Haltung zeigen könne, sieht er als Chance. «Der Sitz stärkt unsere internationale Vernetzung und gibt uns mehr Mitsprache. Zudem werden wir uns für Reformen des UNO-Systems einsetzen können.»

«Die Schweiz muss den Sitz nutzen, um den Krieg gegen die Natur zu stoppen.»

Grünen-Chef Balthasar Glättli

Bei den linken Parteien ist zwar Skepsis bezüglich der Standfestigkeit der Schweiz zu spüren – insgesamt überwiegt aber die Zuversicht. Von einer «einmaligen Chance und einer grossen Verantwortung» spricht SP-Co-Chef Cédric Wermuth. Im Vordergrund steht für ihn «ein konsequenter Einsatz für die globale nukleare Abrüstung». Falls die Schweiz sich nicht scheue, ihre Werte unter dem Druck der Grossmächte hochzuhalten, leiste sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung weltweiter Probleme. «Das wäre ein grosser Gewinn für das Ansehen der Schweiz», ist Wermuth überzeugt. 

Balthasar Glättli fordert von der Schweiz parteipolitische Akzente: Sie müsse ihren Sitz nutzen, um die Menschenrechte und den Umweltschutz zu fördern und «den Krieg gegen die Natur» zu stoppen. Die Schweiz müsse die Stimme jener sein, die keinen Zugang zum Sicherheitsrat hätten – also etwa der afghanischen und iranischen Frauen. «Und schliesslich ist der Sitz eine Gelegenheit für einen Kurswechsel hin zu einer feministischen Schweizer Aussenpolitik der internationalen Solidarität», so der Grünen-Chef. 

Feministische Aussenpolitik versus strikte Stimmenthaltung – die Forderungen der Parteien lassen sich nicht vereinen. Nur eines ist zu Beginn des zweijährigen Gastspiels klar: Allen Ansprüchen wird der Bundesrat nicht gerecht werden.