Krieg in Nahost99 US-Ärzte beklagen «unfassbare Verbrechen» Israels in Gaza
Sie haben freiwillig Kriegsopfer im Gazastreifen behandelt. Nun wenden sich US-Mediziner mit einem dramatischen Appell an Präsident Joe Biden.
- US-Mediziner fordern ein internationales Waffenembargo gegen Israel und die Hamas.
- Die Ärztinnen und Ärzte, die Kriegsopfer vor Ort freiwillig behandeln, schildern dramatische Zustände.
- Ihr Brief an US-Präsident Biden dokumentiert schwere Menschenrechtsverletzungen.
Der Gazastreifen bleibt hermetisch abgeriegelt. Aus diesem Gefängnis mit Meerblick erreichen wenig glaubwürdige Berichte die Aussenwelt. Unabhängige Journalistinnen und Journalisten lässt Israel nicht unbegleitet hinein. Seit die Hamas vor einem Jahr 1200 israelische Zivilisten ermordet und damit den Krieg ausgelöst hat, versucht die israelische Armee, die palästinensische Terrororganisation mit aller Härte zu vernichten und die Geiseln zu befreien. Die meisten Informationen stammen von den Konfliktparteien selbst und sind kaum überprüfbar. Gemäss Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen sind bisher 140 Medienschaffende der israelischen Militäroffensive in Gaza zum Opfer gefallen.
Zu den wenigen Zeugen des Geschehens vor Ort gehören ausländische Ärzte, die in Spitälern in Gaza freiwillig Kriegsopfer behandeln. Vergangene Woche wandten sich 99 US-Mediziner, die zusammen 254 Wochen im Kriegsgebiet verbracht haben, mit einem dramatischen Appell an US-Präsident Joe Biden und dessen Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie werfen Israel vor, das Gesundheitssystem Gazas zu zerstören und medizinisches Personal an seiner Arbeit zu hindern. (Lesen Sie zum Krieg in Gaza auch den Artikel «Ich denke jeden Tag, dass heute mein letzter ist».)
«Niemand von uns unterstützt die Gräueltaten» der Hamas
Ärzte, Pflegekräfte und Hebammen fordern in ihrem ausführlichen Brief die US-Regierung auf, ein internationales Waffenembargo gegen Israel und die Hamas in Kraft zu setzen. Zudem müsse die internationale Gemeinschaft den Kriegsparteien einen Waffenstillstand aufzwingen. Die Mediziner distanzieren sich von der Hamas und betonen: «Niemand von uns unterstützt die Gräueltaten, die am 7. Oktober von bewaffneten palästinensischen Gruppen und Einzelpersonen in Israel begangen wurden.»
Der Brief dokumentiert schwere Menschenrechtsverletzungen und fordert die Öffnung des Rafah-Grenzübergangs, um humanitäre Hilfslieferungen zu ermöglichen. Die Ärzte schildern ihre persönlichen Erfahrungen als Helfer in Gaza seit dem 7. Oktober 2023, sprechen von «unfassbaren Verbrechen» Israels und beklagen katastrophale humanitäre Bedingungen.
Verletzte Kinder erschüttern selbst erfahrene Ärzte
Es sei absolut schockierend, dass Israel die unterernährte und kranke Bevölkerung des Gazastreifens immer wieder in Gebiete ohne fliessendes Wasser oder gar Toiletten vertreibe, heisst es in dem Schreiben, das auf der Website «Gaza Healthcare Letters» veröffentlicht wurde. Besonders heben sie die verheerende Lage der Kinder hervor. Deren Verletzungen erschüttern selbst erfahrene Ärzte. Der Orthopäde Mark Perlmutter schreibt: «Gaza war das erste Mal, dass ich das Gehirn eines Babys in der Hand hielt. Das erste von vielen.»
Die aus England stammende internationale Hilfsorganisation Oxfam kommt gleichzeitig in einer Analyse zum Schluss, dass in Gaza mehr Frauen und Kinder durch die israelische Armee getötet wurden als in jedem anderen Konflikt der letzten zwei Jahrzehnte. Demnach haben bis jetzt 11’000 Kinder und 6000 Frauen ihr Leben verloren. (Lesen Sie die Analyse «Im Nahen Osten gilt nur noch das Recht des Stärkeren».)
Eine Kinderkrankenschwester wird in dem Brief der US-Ärzte mit folgenden Worten zitiert: «Jeden Tag sah ich Babys sterben. Sie waren gesund geboren worden. Ihre Mütter waren so unterernährt, dass sie nicht stillen konnten, und wir hatten weder Babynahrung noch sauberes Wasser, um sie zu ernähren, sodass sie verhungerten.»
Demnach leiden sehr viele Kinder in Gaza an Durchfall, Husten und Gelbsucht. Die Unterernährung führe oft zu Fehlgeburten. «Wir dürfen nie vergessen, dass die Welt diese unschuldigen Frauen und Babys im Stich gelassen hat», schreiben die Mediziner.
Forderung an US-Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris
Gestützt auf die Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza gehen die meisten internationalen Organisationen und namhafte Medien davon aus, dass in den vergangenen 12 Monaten knapp 42’000 Menschen getötet wurden. Das Gesundheitsministerium wird von Hamas-Leuten gesteuert. Genaue Zahlen werden wohl erst nach dem Krieg vorliegen.
Israel wirft der palästinensischen Terrorbande vor, die Bevölkerung als Schutzschild zu missbrauchen und zivile Opfer bewusst in Kauf zu nehmen. Die israelischen Behörden behaupten, im Gazastreifen bis zu 17’000 palästinensische Terroristen ausgeschaltet zu haben. Als im vergangenen November die israelische Armee das Shifa-Spital in Gaza-Stadt zwei Wochen lang besetzte, fand sie dort ein Tunnelsystem der Hamas.
Die US-Ärzte bezeichnen sich in ihrem Brief als «die einzigen neutralen Beobachter», die seit dem 7. Oktober 2023 nach Gaza einreisen dürfen. Ihr Appell endet mit der Forderung an US-Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris: «Beenden Sie diesen Wahnsinn jetzt!»
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