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Kultur des Westens
Es war einmal Amerika

WASHINGTON D.C. - AUGUST 28: Folk singers Joan Baez and Bob Dylan perform during a civil rights rally on August 28, 1963 in Washington D.C. (Photo by Rowland Scherman/National Archive/Newsmakers)
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In Kürze:
  • Der aktuelle Moment in der Geschichte Amerikas ist vielen Europäern ein Rätsel.
  • Lange war Amerika das Gesellschaftslabor für den Rest der Welt.
  • Das neue Amerika wird nicht über die Kultur funktionieren und auch nicht über Gefühle.
  • Die Heldenfiguren der Gegenwart heissen Steve Jobs, Bill Gates und Elon Musk.
  • The Cure liefert den Soundtrack für diese Elegie aller, die mit der Amerikaliebe aufgewachsen sind.

Im Ernst? Alle Macht für Donald Trump? Es ist uns ein Rätsel. Uns, den Europäern, den Demokraten und sogenannten Vernunftmenschen, also all jenen, die ihr freiheitlich grundgeordnetes Wohlstandsleben doch eigentlich den Amerikanern verdanken. Und die oft glaubten, dieses Land besser zu verstehen als ihr eigenes.

Das lag vor allem daran, dass es jenseits des Atlantiks eine Kultur gab, die so viel zugänglicher war als jede andere im Rest der Welt, eine Kultur, die den Freiheitsbegriff, die Aufbruchsstimmung und die Energie Amerikas nicht nur in die Köpfe, sondern die Herzen der Menschen transportierte. Deswegen ist uns der aktuelle Moment in der Geschichte Amerikas so ein grosses Rätsel.

Der direkte Weg in die Herzen funktionierte vor kurzem noch ganz hervorragend. An einem Sommerabend am Fuss der Ausläufer der Sierras zum Beispiel, in der Hollywood Bowl 2024. Bob Dylan betrat die Bühne, der Botschafter jenes transatlantischen Gefühls, das mit allem Pathos des Begriffs als Amerikaliebe firmierte. Das war jene Sorte des gemeinwohligen Patriotismus, der nur wenig mit Politik und sehr viel mit dem Willen zu tun hatte, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Nicht im zynischen Sinne des Silicon Valley, das an Lösungen für Probleme arbeitet, die doch nur Unbequemlichkeiten sind.

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Es war dieser Geist, mit dem Joan Baez den jungen Dylan an der Hand und zu den Bürgerrechtsmärschen in Washington mitnahm. Diesen Geist gibt es noch. An dem Abend in der Hollywood Bowl sassen in der Box nebenan Leute, die wahrscheinlich noch gar nicht geboren waren, als Dylan seine ersten Platten herausbrachte. Sie trugen Cowboystiefel und -hüte, Rodeo-Jeans und Westernhemden, nicht als Insignien einer Mode oder Gesinnung, sondern weil sie so leben. In einem Land, das sie lieben, in dem sie sich darum kümmern, dass es der Familie, den Nachbarn, der Gemeinde und erst sehr viel später der Nation jetzt und in Zukunft besser gehen soll.

Dylan begann sein Set mit «Highway 61 Revisited», in dem die politische Botschaft in der Tiefe von Bibelreferenzen und poetischen Metaphern verborgen ist und sich so keinem ideologischen Lager zuordnen lässt. Kurz zuvor hatte John Mellencamp seine zornigen Hymnen auf die Kleinstadt gesungen, danach kam Willie Nelson und wurde mit seinem Countryknarzen sehr viel deutlicher. Und doch transportierte dieses «Outlaw Music Festival» noch einmal den Geist des späten 20. Jahrhunderts, als Amerika das Gesellschaftslabor für den Rest der Welt darstellte. Freiheit. Ermächtigung. Wohlstand für alle. Die Verheissung war gross. Und kein Zufall.

Die Romantisierung seiner selbst perfektionierte Amerika immer weiter

Auf die Kraft seiner Kultur setzte Amerika gleich nach seinen weltweiten Befreiungsschlägen des Zweiten Weltkriegs. Die CIA finanzierte damals Kulturprogramme, bei denen sie sich gar nicht einmischte in das, was da geschah. Die Welt begriff schon, dass die Kraft im abstrakten Expressionismus Jackson Pollocks, in den Büchern Jack Kerouacs, den Filmen mit Audrey Hepburn und im Jazz von Miles Davis sehr viel mehr war als Kunst und Kultur. Das transportierte ein Lebensgefühl, das als Nordstern eines Wandels diente, von dem alle etwas haben sollten.

Wer es schaffte, das Land zu bereisen, fand dieses Gefühl in der Landschaft und in den Städten.

In der Wüste des Dreistaatenecks der Navajos mit seinen Canyons und dem Monument Valley …,

MONUMENT VALLY, UT - SEPTEMBER 21:  West and East Mitten Buttes on September 21, 1994 in Monument Valley, Utah. (Photo by Santi Visalli/Getty Images)

… an der majestätischen Küste von Big Sur …

Winding Highway 1 along California Coastline near Big Sur.

… oder unter den Betonklippen von Manhattan, die so anders waren als die Ackerfleckenteppiche der Kulturlandschaften Europas mit seinen Burgstädten.

Couple viewing lower Manhattan and One World trade centre.

Amerika perfektionierte die Romantisierung seiner selbst immer weiter. Die Bilder Edward Hoppers hatten die Einsamkeit schon zur Heldenpose verklärt, in Joan Didions Büchern wurde das Chaos zur Chance, und im Film «Easy Rider» war die Tristesse der Highways und Byways die grosse Freiheit. Selbst die Brachlandschaften von New Jersey, das als «Achselhöhle Amerikas» doch eigentlich den Inbegriff der postindustriellen Tristesse verkörpert, verwandelte sich im Vorspann der TV-Serie «Die Sopranos» zu einem heroischen Landstrich, ganz so wie die trüben Ecken des Südens in den Fotografien von William Eggleston. All das war getragen von diesem anderen Verständnis von Zeit. In Europa war die Gegenwart das Ende der Vergangenheit, in Amerika war sie der Beginn der Zukunft.

Kultur ist längst Entertainment

Und jetzt? Funktioniert dieses Amerikaverstehen aus der und über die Kultur nicht mehr. All das, was da gerade aufgezählt wurde, ist die Kultur des 20. Jahrhunderts. Wer nach den Anschlägen des 11. September 2001 erwachsen wurde oder immer noch jung ist, hat diese Amerikaliebe vor allem als eine der unzähligen Retro-Strömungen erlebt. Längst hat sich der kulturelle Horizont erweitert. Es gibt ja auch anderswo Kulturen und ihre Landschaften, die wie aus einer anderen Welt wirken und Träume beflügeln. Die Weiten Neuseelands aus «Herr der Ringe», die Küste Portugals aus den Riesenwellenreiterclips des Red Bull TV, die Neongebirge Tokios aus den Mangas und Animes.

Es mag auch daran liegen, dass Amerika die organische Kultur seines 20. Jahrhunderts durch die synthetischen Welten des neuen Millenniums ersetzte. Die Heldenfiguren der Gegenwart heissen Steve Jobs, Bill Gates und Elon Musk, Monopolisten, die das Gemeinwohl im besten Falle als Investitionsprojekt betrachten. Kultur ist längst Entertainment. In der Form der «infinite scrolls» des Internets und der Gamer, der Spektakel der Extremsportarten und der Kunstfiguren des Marvel-Universums im Kino. Das sind keine Wege ins Herz, sondern Schlüsselreize aus den Mechanismen der Aufmerksamkeitsindustrie. Sie gaukeln immer noch ein Verständnis Amerikas vor, wo sie produziert und in die Welt geblasen werden. Den Erdrutschsieg von Donald Trump erklären sie nicht. Das tut ein Satz, den sich der Politikberater James Carville vor mehr als dreissig Jahren für den Wahlkampf Bill Clintons ausgedacht hat: «It’s the economy, stupid!» Es geht um die Wirtschaft, du Dummerchen.

Die Hymne dieser Tage kommt aus Europa

Denn auf der anderen Seite der Hollywood Bowl liegen nicht die Weiten der Wüste und des Kontinents, sondern die Wucherungen der Stadt Los Angeles, die Zeltstädte der Heimatlosen und die staubigen Trottoirs, auf denen die Zombiefiguren der jüngsten Drogenpest kauern. Geschäfte und Lokale, die sich nie von der Pandemie erholten, sind verrammelt. Da beginnt die Welt, in der die einstigen Wohlstandsbürger an der Supermarktkasse verzweifeln und sich die Eliten auf den Inseln ihrer Profite verschanzen, wie hinter Mauer und Stacheldraht, auf denen es im Bio-Supermarkt «Erewhon Smoothies» für 20 Dollar den Becher gibt und im Urasawa-Restaurant ein Sushi-Menü für 400. Das mögen Extrembeispiele sein, aber das Grundgefühl ist in Amerika die Kluft. Nicht zwischen links und rechts, zwischen Stadt und Land, zwischen Vernunft und Glaube.

Es ist die Kluft der Ungleichheit, die sich immer stärker verbreitert. Und Trump hat versprochen, sie zu schliessen.

Es waren dann auch nicht die Bannerträger der Kultur, die als Gäste bei Trumps Wahlparty im Messezentrum West Palm Beach mitfeierten. Es waren der Satellitenfürst und Neorechte Elon Musk, Dana White, der Präsident der Prügelkampfliga UFC, Impfgegner Robert F. Kennedy Jr. – allesamt Popstarfiguren der digitalen Filterblasen. Doch keiner hat diese neue Ära der synthetischen Kultur so gut verstanden wie Donald Trump. Er hat die Macht als Clown gewonnen. Nun stellt sich der Welt die bange Frage, ob er sie als Diktator ausüben wird. Amerika zu verstehen, wird in Europa erst einmal nicht leichtfallen. Es wird nicht über die Kultur funktionieren und auch nicht über Gefühle.

Den Soundtrack für diese Elegie aller, die mit der Amerikaliebe aufgewachsen sind, hat übrigens weder Bob Dylan geschrieben noch seine Erben Bruce Springsteen oder Taylor Swift. Dieser Soundtrack stammt aus dem alten Europa, klassische Moderne, er stammt von Robert Smith, dem britischen Urvater der Teenage Angst, und seiner Band The Cure. «Endsong» ist der Titel dieser grandiosen, wunderschönen und vor wenigen Tagen erst veröffentlichten Hymne aus reiner Trauer, und da heisst es ganz klar, ohne jede poetische Abstraktion: «It’s all gone, it’s all gone. Nothing left of all I loved. It all feels wrong.»

Grosse Kunst ist also immer noch ihrer Zeit knapp voraus. Und unsere Zukunft? Ist Europa.

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