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Mineralisierung von CO₂
Sie entsorgen Kohlendioxid im Bauschutt

Johannes Tiefenthaler, CEO von Neustark.
Im farbigen Gebaeude im Hintergrund befindet sich die Bauschuttaufbereitungsanlage der Firma Spross. In dieser Anlage wird Betonabbruch zu Betongranulat aufbereitet. Dieses Granulat dient als Ausgangsmaterial fuer den Neustark-Prozess und die Betonproduktion.
Das Wandbild "Flower Power" ist das groesste Wandbild der Stadt Zuerich und ist von den Kuenstlern BANE und REDL erstellt worden.

Das Berner Klimatechunternehmen Neustark expandiert dank zweier Investoren weltweit. Neustark hat ein Verfahren entwickelt, mit dem CO2 in Abbruchbeton gespeichert werden kann.
Besuch im Recyclingwerk Spross AG, am 9. Oktober 2024 in Zuerich. Foto: Nicole Philipp
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Eine grüne 21. Diese Zahl leuchtet auf dem Display eines riesigen Tanks beim Eingang zum Areal der Recyclingfirma Spross in Zürich. 21 Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid, oder CO₂, sind mit der Zahl gemeint. 21 Tonnen klimaschädigendes CO₂ – das entspricht knapp zehn Flugreisen von Zürich nach New York –, wurden hier in der Beton-Recycling-Anlage seit Mitte 2023 mineralisiert und in Kalkstein umgewandelt. Und damit der Atmosphäre für immer entzogen.

Hier treffen wir Johannes Tiefenthaler, einen von zwei CEOs des Jungunternehmens Neustark und Kopf hinter der Technologie. «Unser Ziel ist es, so viel CO₂ wie möglich aus der Atmosphäre zu entfernen und dauerhaft zu speichern», sagt der 32-Jährige auf dem Rundgang durch die Recyclinganlage. Erst vor zwei Jahren hat Neustark die erste Anlage zur CO₂-Speicherung in Betrieb genommen, bis heute konnte das Unternehmen an mittlerweile 19 Standorten bereits gut 2500 Tonnen CO₂ aus dem Verkehr ziehen und permanent in Abbruchbeton speichern. So viel verursachen ungefähr 500 Einfamilienhäuser pro Jahr.

Einfahrt zum Werk. Im Hintergrund der weisse CO2-Tank.

 Das Berner Klimatechunternehmen Neustark expandiert dank zweier Investoren weltweit. Neustark hat ein Verfahren entwickelt, mit dem CO2 in Abbruchbeton gespeichert werden kann.
Besuch im Recyclingwerk Spross AG, am 9. Oktober 2024 in Zuerich. Foto: Nicole Philipp

Tiefenthaler und sein Co-CEO Valentin Gutknecht haben mit Neustark eine Mission: Sie wollen mithelfen, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Um dies zu schaffen, reicht es nämlich nicht, die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken, etwa mit dem Wechsel von Benzin-auf E-Autos oder mit dem Einsatz von Wärmepumpen statt Öl- oder Gasheizungen. Es braucht insbesondere auch technische Lösungen, um der Atmosphäre zusätzlich CO₂ zu entziehen.

Eine solche Technologie bietet Neustark an. Entwickelt hat sie Johannes Tiefenthaler vor ein paar Jahren an der ETH Zürich. Auf die Idee kam er, als er eine Vorlesung besuchte zum Thema «Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid». In der Arbeitsgruppe von Professor Marco Mazzotti am «Energy Science Center» hat Tiefenthaler dann eine Master- und später eine Doktorarbeit zur CO₂-Mineralisierung in Beton verfasst.

Rasant wachsendes Unternehmen

Diese Forschungsarbeit war die Basis für die Gründung von Neustark. Über einen gemeinsamen Bekannten kam Tiefenthaler 2018 in Kontakt mit Valentin Gutknecht, der damals als Marketing-Manager bei Climeworks, einem Klimatechnologie-Unternehmen, arbeitete. «Wir haben uns bei mehreren Treffen langsam angenähert und gemerkt, dass wir die gleichen Ideen haben», erinnert sich Tiefenthaler.

Ein Jahr später, 2019, gründeten die beiden Neustark als Spin-off der ETH, seither wächst das Unternehmen rasant. Anfang 2024 seien es noch 50 Mitarbeitende gewesen, sagt Tiefenthaler, jetzt dann bald 100. Möglich ist dieses Wachstum auch dank einer erfolgreichen Finanzierungsrunde im Juni. Insgesamt nahm Neustark dabei rund 60 Millionen Franken ein, mehrheitlich von Finanzinvestoren wie Blackrock, Blume Equity oder dem Singapur-Staatsfonds Temasek. Für den Risikokapitalgeber Decarbonization Partners – eine Partnerschaft von Blackrock und Temasek – ist Neustark der «perfekte Partner, um die Industrie der Kohlendioxid-Entfernung in den kommenden Jahren voranzutreiben».

Neustark hat dementsprechend hoch gesteckte Ziele. Im Jahr 2030, also in nur sechs Jahren, wollen sie insgesamt 1 Million Tonnen CO₂ dauerhaft aus der Atmosphäre entfernen. Dazu benötigen sie dann insgesamt 1000 bis 3000 Anlagen, in der Schweiz, in Europa und vermutlich auch in Nordamerika. 2023 sei die Firma bereits um 350 Prozent gewachsen, sagt Tiefenthaler, und auch dieses Jahr sei man auf Expansionskurs. «Derzeit sind 40 neue Anlagen im Bau», sagt er und fügt an: «Wir schaffen das!»

Doch woher nimmt Neustark das CO₂, das sie dann in Abbruchbeton speichern? Dazu braucht es sogenannte CO₂-Quellen, bei denen die Firma das Treibhausgas abzapft oder abscheidet, wie der Prozess in der Fachsprache heisst. Das können Kehrichtverbrennungsanlagen, Zementwerke oder – wie im Fall von Neustark – Biogasanlagen sein, bei denen CO₂ normalerweise als Abgas in die Atmosphäre abgelassen wird.

Biogasanlage als CO2-Quelle

Deshalb fahren wir mit Elmar Vatter, Projektleiter Marketing und Kommunikation bei Neustark, zur ARA Region Bern in Herrenschwanden, die eine der grössten Biogasanlagen der Schweiz betreibt. Ein modriger Geruch sticht einem in die Nase, wenn man die Halle voller Grün- und Lebensmittelabfälle betritt. Die faulig stinkenden Abfälle werden in der Anlage in einem Prozess vergärt und zu Biogas (Methan) aufbereitet. Biogas ist CO₂-neutral und wird als Energieträger verwendet.

Allerdings entsteht bei diesem Prozess als Abfallprodukt auch CO₂, das über einen Kamin in die Luft ausströmt. Hier kommt Neustark ins Spiel. Die Firma scheidet das Gas am Kamin ab, verflüssigt es und transportiert es mit Tanklastwagen zu einem der beteiligten Beton-Recycling-Werke, wie etwa jenem in Zürich.

Die ARA Bern ist derzeit die wichtigste CO₂-Quelle für Neustark in der Schweiz. Drei weitere sollen laut Tiefenthaler demnächst angezapft werden: in Winterthur, Basel und Genf. Zudem betreibt und plant Neustark auch im Ausland weitere solche Anlagen. Für die CO₂-Bilanz des mit der Neustark-Technologie angereicherten Betons sei es «super wichtig», sagt Tiefenthaler, dass die Transportwege zwischen Quelle und Recyclinganlage möglichst kurz sind.

Annahme Biomasse. Hier werden nicht mehr geniessbare Lebensmittel aus der Gastronomie und dem Gewerbe angenommen. Die Essensreste koennen auch in Kuebeln angeliefert werden.

Das Berner Klimatechunternehmen Neustark expandiert dank zweier Investoren weltweit. Neustark hat ein Verfahren entwickelt, mit dem CO2 in Abbruchbeton gespeichert werden kann.
Besuch in der Ara Bern, am 2. Oktober 2024 in Herrenschwanden. Foto: Nicole Philipp
Dabei entsteht CO2, das mittels spezieller Technologie vor dem Austritt in die Atmosphäre abgezapft wird.

Genau diese Kriterien erfüllt eine der grössten Recyclinganlagen von Neustark. Sie steht auf dem Areal der «Papieri», der ehemaligen Papierfabrik Biberist SO, nur rund 35 Kilometer von der ARA Bern entfernt. Das riesige Areal wird in den nächsten Jahren vollständig abgerissen, darauf soll ein neues Quartier mit Arbeitsplätzen, Wohnraum und Läden entstehen. Der anfallende Abbruchbeton und Bauschutt wird vor Ort zu Granulat zerkleinert und dann in einer Neustark-Anlage mit CO₂ aus der ARA Bern begast. Rund 10 Kilogramm des Klimagases lassen sich auf diese Weise in 1 Tonne Abbruchbeton speichern. Der Prozess dauert nur wenige Stunden. Danach kann das mit Kalkstein angereicherte Granulat zu Recyclingbeton weiterverarbeitet werden.

Johannes Tiefenthaler, CEO von Neustark, auf dem Gelaende der Spross AG, haelt Betonabbruch (Abfallmaterial), das bereit ist fuer die Bauschuttaufbereitung, in seinen Haenden.

Das Berner Klimatechunternehmen Neustark expandiert dank zweier Investoren weltweit. Neustark hat ein Verfahren entwickelt, mit dem CO2 in Abbruchbeton gespeichert werden kann.
Besuch im Recyclingwerk Spross AG, am 9. Oktober 2024 in Zuerich. Foto: Nicole Philipp

Damit sich das Ganze für die Umwelt nachhaltig lohnt, verwendet Neustark nur CO₂ aus Biogasanlagen. Der Clou: Ursprünglich hatten schon die Pflanzen, die am Ende ihres Lebenszyklus in der Biogasanlage landen, CO₂ aus der Luft fixiert. Lässt man das Gas am Schluss wieder in die Luft, ergibt sich eine Netto-null-Bilanz, scheidet man hingegen dieses CO₂ ab und speichert es permanent in Beton – oder künftig vielleicht auch unterirdisch – wird dem Kreislauf effektiv CO₂ entzogen: Man spricht dann von negativen Emissionen.

Grosskunden sichern Zukunft

Und für diese sind andere Firmen gern bereit zu zahlen. Indem sie zum Beispiel Neustark CO₂-Zertifikate abkaufen, können sie jene Emissionen ausgleichen, die sie selbst nicht reduzieren können, um auf eine Netto-null-Bilanz zu kommen. Zu den Kunden von Neustark zählen derzeit Firmen wie Microsoft, die UBS, die Zürcher oder die Berner Kantonalbank.

Um das globale Klima wieder ins Lot zu bringen, braucht es eine ganze Menge negativer Emissionen. Wissenschaftler haben berechnet, dass wir mehrere Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen müssen. Dabei spielen Mittel zur natürlichen CO₂-Speicherung wie Aufforstungen, Revitalisierungen von Mooren oder der Einsatz von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft die grösste Rolle. Aber daneben braucht es auch neue technologische Lösungen wie jene von Neustark – die 21 Tonnen in Zürich sind da ein wichtiger Anfang.