Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Innovation aus der Schweiz
Was, wenn Millionen Tonnen CO₂ in Strassen gespeichert würden?

CO2-Speicherung in Abbruchbeton mit Carbonatisierungsanlage von Neustark am 23.02.2024 in Biberist. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Auf dem Papieri-Areal in Biberist im Kanton Solothurn zieht ein grosser Radlaster einsam seine Runden. Er holt Kies von einem Haufen, fährt eine grosse Rampe hinauf und lädt den Kies in einem Trichter ab. Nach einigen Stunden holt er den Kies wieder ab und wirft ihn auf einen anderen Haufen, auf einem Schild davor steht «carbonatisiert».

Papier war einst ein gefragtes Gut in der Schweiz. Doch die goldenen Zeiten des Papiers sind längst vorbei. Nun wird hier die ehemalige Papierfabrik, ein gigantischer Bau, langsam abgebrochen. Eine halbe Million Tonnen Beton wird dabei über die Jahre geschreddert und zu Recyclingkies verarbeitet. Solcher Bauschutt ist der grösste Abfallstrom weltweit und verdoppelt sich etwa alle zehn Jahre. Und er ist im Kampf gegen die Klimaerwärmung pures Gold. Denn er bietet nahezu endloses Potenzial für die CO₂-Speicherung. Bevor der Kies dann beispielsweise für den Strassenbau weiterverwendet wird.

Speichergarantie von Tausenden Jahren

Die Anlage dafür stammt vom ETH-Spin-off Neustark. Man muss sich deren Funktion so vorstellen: Über Rohre fliesst CO₂ aus dem integrierten Tank in die Trichter zum Kies, etwa zwei Stunden dauert die Reaktion. In dieser Zeit bindet der Beton das Kohlendioxid in den feinen Poren seiner Substanzoberfläche.

«1000 Tonnen CO₂ werden so hier jährlich im Kies gebunden», sagt Valentin Gutknecht, Co-Chef von Neustark. Das entspreche etwa der Einsparung von 20 Elektro­lastwagen oder rund 20’000 Bäumen. «Nur dass man bei Letzteren keine Garantie hat, wie lange sie stehen.» Im Abbruchbeton jedoch bleibe das CO₂ für Tausende Jahre gespeichert. Nur Temperaturen von über 600 Grad oder eine starke Säure seien fähig, die Reaktion rückgängig zu machen.

CO2-Speicherung in Abbruchbeton mit Carbonatisierungsanlage von Neustark am 23.02.2024 in Biberist. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Gutknecht, ein ehemaliger Mitarbeiter von Climeworks, hat Neustark 2019 gemeinsam mit seinem Mitstreiter Johannes Tiefenthaler gegründet. Er und der ETH-Forscher seien beide etwa gleichzeitig auf die Idee mit der CO₂-Speicherung in Abbruchbeton gekommen, sagt er, und hätten sich dann zusammengeschlossen. Zwölf ihrer Anlagen gibt es inzwischen, die meisten in der Schweiz, aber auch erste in Berlin und in Österreich. 25 weitere wurden in Auftrag gegeben oder befinden sich bereits im Bau, auch in weiteren europäischen Ländern.

Kooperation mit Zementriese Holcim

Das Betriebskonzept ist dabei immer das gleiche. Unternehmen aus der Baustoffindustrie kaufen die Anlage von Neustark und betreiben sie dann eigenständig. Im Fall des Abbruchs der Papieri Biberist sind dies die Betonlieferanten Alluvia und Vigier Beton, in vielen Fällen Holcim. Der globale Baustoffkonzern kooperiert stark mit Neustark und hat auch in das Unternehmen investiert, und das hat einen Grund:

Szenenwechsel nach Untervaz in den Kanton Graubünden. Hier zwischen Landquart und Chur betreibt Holcim ein Zementwerk. Der Kanton Graubünden ist bekannt für seine Bergwelt, die regelmässig im Sommer Wanderer und im Winter Wintersportbegeisterte anzieht. Doch durch den Klimawandel droht ein Teil dieser touristischen Einnahmequelle wegzubrechen. Entsprechend wichtig ist es für den Kanton, seine Emissionen zu reduzieren. Denn diese sind schweizweit im Pro-Kopf-Vergleich eher hoch.

CO2-Speicherung in Abbruchbeton mit Carbonatisierungsanlage von Neustark, Valentin Gutknecht
Gründer und Co-CEO am 23.02.2024 in Biberist. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Das grösste Problem in Graubünden ist nicht der motorisierte Individualverkehr und auch nicht der Stromverbrauch in den Häusern. Die Emissionen des Kantons könnten markant tiefer sein, gäbe es nicht das Zementwerk in Untervaz. Es ist für rund ein Viertel der CO₂-Emissionen des Kantons Graubünden verantwortlich.

Betonindustrie schädlicher als Luftfahrt

Weltweit ist die Produktion von Beton für etwa sieben Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr, als der Flugverkehr verursacht. Und das Problem ist, es sind derzeit wenig Lösungen in Aussicht, um diese Produktion auf absehbare Zeit schadstoffarmer zu gestalten. 40 Milliarden Tonnen CO₂ werden zurzeit jährlich ausgestossen, bis 2050 muss aber das Netto-null-Ziel erreicht werden. Je nach Szenario wird davon ausgegangen, dass die aktuellen Emissionen nur zu etwa drei Viertel aus eigener Kraft reduziert werden können.

Die rund zehn Milliarden Tonnen, die übrig bleiben, kommen aus Sektoren wie der Landwirtschaft, der Luftfahrt und eben der Baustoffindustrie. Sie müssen wohl kompensiert werden, indem beispielsweise Bäume gepflanzt werden oder das CO₂ mit Speichertechnologie gebunden wird. Der Bedarf nach solchen Verfahren ist gross.

Beim Konzept von Neustark können die Betreiber der Anlagen wie Holcim das gebundene CO₂ ihrer Klimabilanz gutschreiben lassen. Oder sie verzichten darauf und erhalten dann einen Teil der Einnahmen, die durch den Verkauf via Zertifikate entstehen.

Zu den Zertifikatskunden von Neustark gehört beispielsweise Microsoft. Doppelt werde aber nichts angerechnet, beteuert Gutknecht. Vielmehr werde bei jeder Tonne entschieden, ob diese nun als Zertifikat weiterverkauft werde oder sie der Eigentümer der Anlage sich selbst anrechne. Dabei dürften sich die Firmen aber nicht den vollen Betrag anrechnen, abgezogen werde, was für den Betrieb der Anlage an CO₂ anfalle. Auf die jährlichen 1000 Tonnen etwa 70 Tonnen, erklärt Gutknecht.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Meist sind die Anlagen fix an sogenannten Baustoffrecyclingplätzen installiert. Vermehrt betreiben Unternehmen wie Holcim solche selbst, da schon die Verwendung von Abbruchbeton besser für die Klimabilanz ist, als frischen Kies zu gewinnen. Das CO₂, das dem Beton zugeführt wird, stammt aus sogenannten Biogasanlagen. Etwa im Fall der Anlage auf dem Areal der Papieri in Biberist von einer Biogasanlage in Bern. Ursprünglich wurde es also durch Pflanzen via Fotosynthese aus der Luft gezogen.

Forderungen an die Politik

Rund zehn Millionen Tonnen würden jährlich allein in der Schweiz in sogenannten Biogasanlagen anfallen, führt Gutknecht aus. Mehr als genug also, um noch etliche der Neustark-Anlagen zu betreiben. Das Gas wird dann für den Transport verflüssigt und vor Ort in der Anlage erwärmt und somit wieder in Gas umgewandelt.

CO2-Speicherung in Abbruchbeton mit Carbonatisierungsanlage von Neustark am 23.02.2024 in Biberist. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Gutknecht rechnet damit, dass analog zur weltweiten Situation auch von den jährlich 42 Millionen Tonnen CO₂ in der Schweiz noch etwa 10 Millionen Tonnen übrig bleiben werden. Mit ihrer Technik, so glaubt er, könnte ein Volumen von einigen Hunderttausend bis zu einer Million Tonnen davon kompensiert werden.

Wichtig sei jedoch, dass auch seitens der Städte und Gemeinden Druck gemacht werde. «In Zürich beispielsweise ist es vorgegeben, dass bei Neubauten mit CO₂ versetzter Abbruchbeton zum Einsatz kommt. Das ist nachhaltig und hilft Technologien wie unserer zum Durchbruch – es ist aber leider noch längst nicht überall so.»