Folgen des Sturms im Neuenburger JuraNun packt auch die Armee mit an – «Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit»
Die Aufräumarbeiten in La Chaux-de-Fonds laufen unter Hochdruck, denn in wenigen Tagen startet das neue Schuljahr. Lose Ziegel und morsche Bäume können auch jetzt noch zur Gefahr werden.
Diese Stadt hat unglaubliches Glück gehabt. Dieser Gedanke taucht immer wieder auf, wenn man in diesen Tagen durch La Chaux-de-Fonds spaziert. Noch sind die Schäden des Sturms allerorts sichtbar und die Gefahren nicht beseitigt. Herunterfallende Ziegel, Äste oder umfallende Baumstämme könnten Passanten auf Trottoirs immer noch verletzen oder schlimmstenfalls erschlagen.
Etwas mehr als eineinhalb Wochen sind vergangen, seitdem am 24. Juli um 11.21 Uhr eine Gewitterfallböe über die Stadt im Neuenburger Jura zog. Sechs Minuten und 30 Sekunden dauerte der sogenannte Downburst. Eine Meteostation beim lokalen Flugplatz mass 217 Stundenkilometer. Ein Mann wurde beim Bahnhof in seinem Auto von einem umfallenden Kran erschlagen. Rund vierzig Personen wurden verletzt. 4500 Gebäude sind beschädigt, 61 Prozent aller Immobilien von La-Chaux-de-Fonds.
Ziegelhaufen und zerstörte Scheiben
Gärten und Parkanlagen sind von umgestürzten Bäumen übersät, Hausdächer und Balkone teils massiv beschädigt, sei es, weil Bäume darauffielen oder die Gewitterfallböe Ziegel mit sich riss und so ganze Dachflächen abdeckte. Auf den Strassen liegen nicht weggeschaffte Ziegelhaufen neben Autos mit zerstörten Scheiben. Parks sind unbegehbar. Aus Sicherheitsgründen sind auch Kinderspielplätze gesperrt. Von Spaziergängen in die umliegenden Wälder raten die Behörden vehement ab.
Die Aufräumarbeiten laufen seit Tagen. Auch am Donnerstag knattern Motorsägen in den Wohnquartieren. Der 25-jährige Sportlehrer Jonas Rota hat mit einer Motorsäge in seinem Garten einen jahrzehntealten Ahornbaum des Nachbarn zersägen müssen, der in seinen Garten gefallen war.
Am Baum habe er sich zuerst mit einem Astschneider zu schaffen gemacht, dann aber rasch gemerkt, dass es da eine richtige Motorsäge brauche, sagt Jonas Rota. Mittlerweile hat er sich eine Spaltmaschine ausgeliehen, um den zersägten Stamm weiter zu Cheminéeholz zu zerkleinern. Beim hochbetagten Nachbarn ging das Holzwegräumen rascher. Bei ihm tauchte ein Kranlastwagen auf und hievte den umgestürzten Baum kurzerhand aus dem Garten.
Gartenarbeiten ist Jonas Rota zwar gewohnt, aber ganze Bäume hat er nie zersägt. Seine Situation ist ein Abbild für die Gesamtsituation in La Chaux-de-Fonds. Der Downburst traf ihn wie die gesamte Stadt komplett unvorbereitet. «Als der Downburst diagonal über die Stadt fegte, habe ich zuerst noch den Kopf aus dem Fenster gestreckt, dann aber schnell gemerkt, dass das keine gute Idee ist», sagt Jona Rota. Sekunden später bot sich beim Anblick der Stadt ein Bild der Verwüstung.
In La Chaux-de-Fonds soll so rasch wie möglich wieder ein normales Leben möglich sein. Bereits am 14. August, früher als in anderen Westschweizer Kantonen, beginnt in Neuenburg das neue Schuljahr. In Schulhöfen werden Bäume gefällt, und Dachdecker arbeiten unter Hochdruck daran, Schuldächer zu reparieren. «Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit», sagt der Neuenburger Regierungspräsident Alain Ribaux (FDP) am Donnerstagnachmittag in der Uhrmacherstadt. Es gehe jetzt darum, Schulhäuser, Schulwege und Umgebungen von Kinderkrippen zu sichern und ganz am Ende auch Fallholz aus den Wäldern zu räumen. Gemäss Ribaux werden sich die gesamten Arbeiten «über Wochen, ja Monate hinziehen». Bis zum Schulbeginn hätten weder die Stadt La Chaux-de-Fonds noch der Kanton Neuenburg die Mittel, die bis dahin notwendigen Arbeiten zu verrichten.
«Der Armeeeinsatz ist unabdingbar.»
Darum helfen jetzt Feuerwehrleute aus den Kantonen Genf und Jura. Und seit Mittwoch hilft auch die Armee bei den Aufräumarbeiten, mit schwerem Gerät wie Baumaschinen. Auch Spezialisten sind dabei, darunter rund achtzig Durchdiener aus dem Katastrophenhilfe-Bereitschaftsverband, der Gebirgsspezialisten und aus einem Panzersappeurbataillon. Die Soldaten sind schon überall in der Stadt zu sehen, insbesondere in der Nähe von öffentlichen Gebäuden. «Der Armeeeinsatz ist unabdingbar», sagt Alain Ribaux.
Motivierte Soldaten
In einem Park zwischen einer Kinderkrippe, dem städtischen Schwimmbad und der Eishockeyhalle zersägen und entfernen Soldaten dahingeraffte Bäume. Leutnant Brenno Bettosini sagt: «Wir bereiten uns auf genau diese Situationen vor. Einsätze zugunsten der Zivilbevölkerung an der Seite von zivilen Einsatzkräften sind für meine Leute eine zusätzliche Motivation, zumal es unter ihnen sogar Soldaten aus La Chaux-de-Fonds gibt.» Armeeoberst Jacques de Chambrier legt aber Wert darauf, dass die Armee «nur beim Beseitigen der Sturmschäden, nicht aber beim Wiederaufbau hilft».
Gemäss Armeesprecher Stefan Hofer haben die Soldaten den Auftrag, «die beschädigte Infrastruktur wie Bäume, Schilder, Signale und Weiteres so zu sichern, dass für die Bevölkerung und insbesondere Kinder keine Gefahr mehr besteht». Die Soldaten sollen ebenfalls mithelfen, zu verhindern, dass Kamine, Ziegel und Antennen auf Strassen fallen und Passanten verletzen.
«Mit dem Armeeeinsatz hilft uns die ganze Schweiz.»
Das formelle Gesuch aus Neuenburg traf am Sonntag im Departement für Verteidigung und Bevölkerungsschutz in Bern ein. Spezialisten der Armee und Vertreter der Neuenburger Behörden hätten sich aber schon am Vortag vor Ort zu Gesprächen getroffen, sagt Armeesprecher Stefan Hofer. Am Montag wurde das Gesuch aus Neuenburg bewilligt, vorerst bis zum 11. August.
Stadtpräsident Jean-Daniel Jeanneret (FDP) ist sich schon heute sicher: «Diese Katastrophe wird über Generationen in den Köpfen haften bleiben.» Dass das Militär nun seiner Stadt hilft, sei auch symbolisch ein starkes Zeichen. «Mit dem Armeeeinsatz hilft uns die ganze Schweiz», sagt Jeanneret.
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