Analyse zum Populismus in ÖsterreichWarum das «System Kurz» armselig ist
Die Strategie des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, weiterhin die Strippen zu ziehen, wird nicht aufgehen. Das Parlament ist empört und ein Untersuchungsausschuss beschlossen.
Die Koalition in Österreich steht noch, die «neue Volkspartei» ist immer noch in der Regierung, Sebastian Kurz ist noch Parteichef. Aber sonst steht kein Stein mehr auf dem anderen. Innerhalb von Tagen ist das «System Kurz» implodiert. Viele in der ÖVP haben das noch nicht verstanden; die Panik in der Partei ist aber unübersehbar, seit Kurz als Kanzler zurücktreten musste.
Der hektisch installierte Nachfolger, Ex-Aussenminister Alexander Schallenberg, hat gleich in seinem ersten Statement den tödlichen Fehler begangen, seinen Freund Kurz von den schweren juristischen Vorwürfen, die zu seinem Rücktritt führten, freizusprechen. Schneller kann man sich in einer staatstragenden Rolle nicht disqualifizieren. Ansonsten gibt es bei den Türkisen, die jetzt teils doch lieber wieder schwarz sein wollen, vorerst keinen Plan B, nur Abwehrmassnahmen. Man will die Mannschaftsaufstellung, nicht die Taktik wechseln – als gebe es für Kurz, allen Ermittlungsergebnissen und Chatprotokollen zum Trotz, noch eine politische Unschuldsvermutung. Und man will suggerieren, es sei der neue Normalzustand, dass Kurz künftig wie ein Sektenführer im Hinterzimmer die Devise für die Regierungspolitik ausgibt und seine Anhänger ausströmen, um sie devot zu verbreiten und auszuführen.
Die medial konstruierte Lichtgestalt wird zum gefallenen Engel.
Diese Strategie wird kaum ein paar Wochen halten. Denn sie setzt weiter auf eine Ideologie, ein Menschenbild und eine Überheblichkeit, die sich unter verschärfter Beobachtung und kritischer Berichterstattung, konfrontiert mit einem empörten Parlament und einem bereits beschlossenen Untersuchungsausschuss, nicht durchhalten lassen. Die «neue Bewegung» mit ihrem «neuen Stil» war auf Sand gebaut. Nun versinkt sie in demselben – weil sie, wie die meisten populistischen Bewegungen, um eine medial konstruierte Lichtgestalt herum gebaut war, die zum gefallenen Engel wurde. Das wird man auch in der ÖVP einsehen. Und sich schneller abwenden, als die Ermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld jemals zu Aufklärung oder gar Verurteilung führen könnten.
Die Partei muss sich nicht in den uninspirierten Altherrenverein zurückverwandeln, der sie vor zehn Jahren war, als der ehrgeizige Herr Kurz durchstartete. Sie wird einiges von der Modernisierung und Professionalisierung mitnehmen, die seither Einzug gehalten haben. Es wäre für die Bürgerinnen und Bürger allerdings erfreulich, wenn sie das diesmal in einem offenen, seriösen Erneuerungsprozess versuchte. Sonst wird die ÖVP trotz all ihrer Verankerung in Bünden und Ländern, zerrissen zwischen Traditionalisten und Kurzisten, untergehen. Die Union in Deutschland durchläuft, aus anderen Gründen, gerade einen ähnlich schmerzhaften Prozess der Selbstsuche. Der schnelle Sturz des Tausendsassas Kurz gilt dort als Warnung.
Auch wenn der Unterwerfungsakt seiner Partei dem der Republikaner in den USA ähnelt und das Kurz-Team durchaus Anleihen bei Politmarketing-Methoden aus Übersee genommen hat: Man muss den 35-jährigen Berufspolitiker nicht überhöhen, indem man ihn mit politischen Zerstörern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro vergleicht. Der Populismus des irren US-Amerikaners hat zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft, zu einem teuflischen Machtkampf zweier politischer Hemisphären im reichsten Land der Welt geführt. Und der Populist Bolsonaro ist mit seinen Milliardärsfreunden gerade dabei, in Brasilien die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu vernichten.
Kurz hat kein «Regime» installiert, auch wenn er vielleicht davon geträumt hat.
Selbst der «kleine Diktator» (Copyright Jean-Claude Juncker) Viktor Orbán taugt letztlich nicht als Vergleich. Kurz hat kein «Regime» installiert, auch wenn er vielleicht davon geträumt hat.
Die ÖVP-Geschichte ist viel armseliger: Eine kleine Gruppe hat sich mit teils betrügerischen Mitteln und einem Sonnyboy als Frontmann zu Rettern und Reformern stilisiert, hat mit Themen wie Migration und EU-Kritik Stimmung gemacht, sich handwerklich viele Fehler geleistet, hat zwei Koalitionen gesprengt und zweimal Wahlen gewonnen. Ein holpriger Weg, auch wenn das Ganze zeitweilig von aussen hübsch aussah. So geht Populismus in Österreich.
Die Gewaltenteilung funktioniert
Aber die Gewaltenteilung funktioniert in Österreich, die Justiz leistet hervorragende Arbeit, das Parlament behauptet sich selbstbewusst. Das System Kurz könnte bald schon zur dramatischen Episode in der an Dramen nicht armen Geschichte des Landes werden.
Doch es gibt ein zweites System hinter dem System Kurz. Es kam seinem Ich-Bild, seinen Methoden entgegen, und er hat es so schamlos wie betrügerisch benutzt: Man kann die öffentliche Meinung in Österreich mit Millionen korrumpieren, indem man auf einem völlig verzerrten Medienmarkt unkontrolliert sein Image aufhübscht und damit den Wählerwillen manipuliert. Die kritischen Qualitätsmedien hingegen, die nicht bei jedem Anruf aus dem Kanzleramt «Jawohl» rufen, müssen zuschauen. Solange man sich durch schmierige Deals mit Boulevardblättern Meinung kaufen kann, wird Österreich eine käufliche Republik bleiben.
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