Interview mit UBS-Chefökonom«Migranten sind in der Regel ein Vorteil – legale wie auch illegale»
Donald Trump will Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung abschieben lassen. Paul Donovan erklärt, warum das für die USA ein Eigentor wäre.
Wenn am 5. November der nächste US-Präsident gekürt wird, schaut die Finanzwelt ganz genau hin. Die Wahlen könnten sich als Weichenstellung herausstellen – nicht nur für die USA, sondern für die globale Wirtschaft. Donald Trump droht etwa, Importe aus aller Welt mit Zöllen zu belegen.
Für Paul Donovan steht jedoch noch mehr auf dem Spiel. Der Brite, der seit mehr als drei Jahrzehnten in Diensten der UBS steht und sich vom Praktikanten in der Investmentbank zum Chefökonomen der globalen Vermögensverwaltung hochgearbeitet hat, ist ein Verfechter von Diversität und Inklusion. Er hat ein ganzes Buch darüber verfasst, was die Schattenseiten der simplistischen «Sündenbock-Ökonomie» sind, die Trump in seinem Wahlkampf propagiert.
Zwei Wochen bleiben bis zu den US-Wahlen. Sind Sie nervös?
Ökonomen werden normalerweise nicht nervös. Und da ich kein US-Bürger bin, habe ich kein direktes Interesse am Wahlausgang. Aber klar: Diese Wahl ist sehr polarisierend, die wirtschaftlichen Folgen sind schwer vorhersehbar. Mein Ziel ist, sie möglichst neutral und objektiv einzuschätzen.
Ist es nicht schwierig, neutral zu bleiben, wenn es um extreme Politiker wie Donald Trump geht?
Was mich persönlich beschäftigt, ist die verzerrte Wahrnehmung vieler Menschen. Die Leute bilden ihr Urteil über die Wirtschaft oft entlang ihrer Parteipräferenz. Republikaner schätzen die Wirtschaft systematisch besser ein, wenn gerade ein Republikaner das Präsidentenamt bekleidet – und umgekehrt. Dass Ökonomen oft keine begnadeten Kommunikatoren sind, mag ein Grund dafür sein. Umso wichtiger ist es, klar zu erklären, welche Auswirkungen eine bestimmte Politik hat.
Dann reden wir jetzt mal Klartext. Was passiert, wenn Trump Präsident wird?
Das hängt davon ab, wer die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus erringt.
Gehen wir davon aus, die Republikaner siegen auf der ganzen Linie.
Dann hätte Trump sicher mehr Spielraum, um Steuern zu senken. Und auch bei der Handelspolitik, wo er als Präsident starke Exekutivbefugnisse hätte, gäbe es weniger Gegenwind. Trump scheint im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit nochmals einiges enthusiastischer, was Zölle anbelangt. In welcher Form es diese Zölle schliesslich gäbe, ist ein Stück weit offen. Aber ziemlich sicher würden die USA protektionistischer.
Trump schlägt generelle Importzölle von 10 bis 20 Prozent vor und noch höhere Zölle auf Waren aus China oder Mexiko. Können Sie dem irgendetwas Positives abgewinnen?
Zölle sind nichts anderes als eine zusätzliche Steuer, die amerikanische Verbraucher bezahlen müssten. Und als solche bremsen sie die Wirtschaft. Richard Nixon hat 1971 das letzte Mal generelle Zölle von 10 Prozent beschlossen. Er brach das Experiment aber bald ab. Und im Vergleich zu damals sind die weltweiten Lieferketten nochmals viel komplexer geworden. Ein Produkt kann während der Fertigung drei- oder viermal zwischen Fabriken in Mexiko und Texas hin- und hertransportiert werden, bis es schlussendlich ausgeliefert wird. Zölle würden diesen Prozess empfindlich stören. Sie hätten noch viel schädlichere Auswirkungen als vor fünfzig Jahren.
Trump will mit den Zöllen neue Jobs in den USA schaffen.
Das mag schon sein. Aber in der US-Wirtschaft herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Wer soll diese Jobs ausführen, die man mithilfe von Zöllen aus Tieflohnländern «zurück in die USA» holen will?
Inwiefern wäre die globale Wirtschaft von US-Zöllen betroffen?
Die USA würden wahrscheinlich den grössten Schaden spüren. Aber indirekt würde das Wachstum auch in den anderen Ländern beeinträchtigt.
Wenn es nichts Gutes an Zöllen gibt: Warum setzt Trump voll darauf?
Für mich ist das ein klassisches Beispiel von Sündenbockökonomie: Man sucht eine bestimmte Gruppe – Migranten oder ganz generell das Ausland – und macht sie verantwortlich für die Probleme, die die Menschen in der modernen Wirtschaft beschäftigen.
Nach dem Motto: Die Chinesen sind schuld, wenn ich meinen Job verliere.
Genau. Solche Thesen sind aus ökonomischer Sicht extrem verkürzt. Und protektionistische Massnahmen eignen sich auch nicht, um den Strukturwandel in der Wirtschaft aufzuhalten. Den Wohlstand fördern sie auch nicht, wie das Beispiel des Brexit gezeigt hat. Aber leider ist Wirtschaftsnationalismus dieser Art im Aufwind.
Trump will Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus ausschaffen. Millionen von Menschen könnten deportiert werden. Was wären die Folgen?
Migranten sind in der Regel ein wirtschaftlicher Vorteil – und zwar egal, ob sie sich legal oder illegal in einem Land aufhalten, egal, ob sie Diplome haben und wie viel Steuern sie zahlen. Oft arbeiten sie sehr hart, denken unternehmerisch und füllen Lücken auf dem Arbeitsmarkt. Denken Sie etwa an eine Nanny: Sie ermöglicht unter Umständen, dass bei einem hoch qualifizierten Paar beide Elternteile arbeiten gehen können. Würden die USA unvermittelt Millionen von Ausländern abschieben, würde das also nicht nur die Wirtschaft ganz generell bremsen. Sondern es würde auch der Produktivität schaden.
Viele Historiker, aber auch Leute, die ihn persönlich kennen, sagen: Trump hat die Züge eines Faschisten. Wie gehen Sie als Ökonom mit dem Risiko um, dass Trump seine extremen Aussagen tatsächlich ernst meint und alles eins zu eins umsetzt?
Solche Rhetorik ist leider nicht nur aus den USA zu hören, sondern auch aus Europa. Auch hier hetzen Politiker gegen Ausländer, Frauen, Schwarze oder LGBTQ-Menschen. Letztlich ist Diskriminierung aller Art extrem schädlich. Man verhindert damit, dass Menschen ihr Potenzial entfalten, und demoralisiert die betroffenen Gruppen. Das finde ich nicht nur als Ökonom, sondern auch aus moralischer Sicht sehr verwerflich.
Sie würden sich mit Kamala Harris als Präsidentin also wohler fühlen?
Ich unterstütze offiziell keinen Kandidaten. Wichtig scheint mir, dass es bei dieser Frage nicht nur um die Präsidentschaftswahlen geht, sondern um eine generelle Haltung. Bundesstaaten wie Florida schränken zum Beispiel die Rechte von sexuellen Minderheiten ein. Unternehmen sollten sich gegen eine solche Politik wehren.
Manche Leute in Florida würden Ihnen jetzt sagen: Solche Aussagen sind «woke» und folglich des Teufels.
Aus Sicht von Unternehmen geht es am Ende doch einfach darum, dass man das meiste aus den Mitarbeitenden herausholen kann. Menschen sollen den Job ausführen können, für den sie am besten geeignet sind. Sie sollen sich nicht wegen ihrer Herkunft ausgegrenzt fühlen oder wegen ihrer Identität verstecken müssen. All das schmälert ihre Leistung. Aus dieser Perspektive ist es völlig offensichtlich, dass Firmen ein Interesse an Diversität und Inklusion haben sollten.
Kamala Harris gibt sich sehr inklusiv. Sie will Kleinstfirmen steuerlich entlasten und erstmaligen Immobilienkäufern 25’000 Dollar schenken. Ist das nicht auch eine Form von Populismus?
Populismus ist Teil der Demokratie: Man will damit bestimmten Wählergruppen gefallen. Tatsächlich hat die junge Generation in einigen Regionen der USA kaum mehr Zugang zum Immobilienmarkt: Die Preise sind schlicht zu hoch. Harris’ Vorschlag würde daran aber kaum etwas ändern. Wenn der Staat jungen Immobilienkäufern einen Geldbetrag schenkt, treiben diese die Preise einfach noch mehr nach oben. Letztlich gibt es nur ein Rezept gegen den Wohnungsmangel: mehr Wohnungen zu bauen.
Eine weitere Idee von Harris: Sie will die Preise in Supermärkten stärker regulieren.
Wie diese Preisüberwachung ablaufen soll, hat sie im Detail nicht gesagt. Ich glaube kaum, dass sie ein striktes Kontrollregime einführen würde. Generell sind staatliche Preisvorschriften kein geeignetes Mittel, um die Inflation zu bekämpfen oder um Konsumenten zu helfen – zu viele negative Erfahrungen wurden damit gemacht. Besser ist, den Wettbewerb unter den Unternehmen zu fördern, die die Produkte herstellen.
Hört man den Kandidaten zu, hat man manchmal den Eindruck: Die USA stehen am Abgrund. In Wahrheit läuft die US-Wirtschaft besser als jede andere. Warum?
Da ist einerseits die Demografie. Die USA haben eine wachsende Bevölkerung. Das verschafft ihnen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber Ländern mit schrumpfender Bevölkerung wie Deutschland, Italien, China oder Japan. Andererseits wirkt bis heute nach, dass die USA die Konjunktur während der Pandemie stärker gefördert haben. Arbeitslose erhielten grosszügige Unterstützung: Viele hatten sogar mehr Geld in der Tasche als mit ihrem vormaligen Einkommen. In Europa war das umgekehrt: Die Arbeitslosengelder bedeuteten einen finanziellen Einschnitt für die Betroffenen.
Eine Kehrseite dieser Staatsausgaben ist das Defizit: Es ist die letzten Jahre stark angestiegen. Wie lange können sich die USA ihre Schuldenwirtschaft noch leisten?
Noch eine ganze Weile lang. Die USA stellen die globale Reservewährung. Das stellt zu einem gewissen Grad sicher, dass sie stets Geld am weltweiten Kapitalmarkt aufnehmen können. Die amerikanische Staatsverschuldung beträgt derzeit 120 Prozent des BIP. Das ist aus historischer Sicht nicht sonderlich hoch, wenn man das gesamte 20. Jahrhundert betrachtet. Eine Reduktion des Defizits wäre zwar wünschenswert. Doch der Druck dafür dürfte sich über die kommenden Jahre hinweg in Grenzen halten.
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