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Ukraine-Blog: Selenski an seltener Pressekonferenz
«Ein schwieriges Jahr geht zu Ende»

Wolodimir Selenski an der Pressekonferenz in Kiew zum Jahresende.
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Für die Ukraine endet das Jahr mit einer ernüchternden Bilanz: Einbrechende finanzielle Unterstützung und eine gescheiterte Offensive lassen das Land nach zwei Jahren Krieg in einer ungewissen Lage zurück. Dennoch stellte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Dienstag den Fragen von internationalen und nationalen Medien. In der dritten Pressekonferenz seit Beginn der russischen Invasion wurden Dutzende Journalistinnen und Journalisten eingeladen. Normalerweise gibt Selenski hauptsächlich Exklusivinterviews mit ausgewählten Medien.

In seiner Eröffnungsrede gab sich Selenski zunächst stark und optimistisch. Er legte den Fokus vor allem auf die Erfolge der Ukraine. Militärisch habe man die russische Schwarzmeerflotte geschwächt. Mit dem Abzug der Flotte von der besetzten Halbinsel Krim habe Russland «keinen Einfluss mehr auf Entscheidungen», was die Ukraine über das Meer exportiere: «Das ist grossartige Arbeit und ein hervorragender Erfolg», so der Präsident.

Ausserdem drückte er seine Dankbarkeit für die westliche Unterstützung aus. Die Ukraine erhalte neue Luftverteidigungssysteme aus dem Westen, sagte der 45-Jährige. Es werde zwar ein schwieriger Winter, so Selenski: «Aber wir werden jeden Monat stärker.»

Bis zu 500’000 neue Soldaten

Als jedoch die Fragerunde für die Journalisten eröffnet wurde, wich Selenskis zuversichtliche Art schnell einem ernsthafteren Tonfall. Eine Journalistin fragte nach den weiteren Rekrutierungsplänen der Armee. «Die Frage der Mobilisierung ist eine sehr sensible», antwortete Selenski. Die Armee habe 450’000 bis 500’000 neue Soldaten verlangt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er dieser Forderung kritisch gegenübersteht: «Das ist eine ernsthafte Zahl, und ich brauche weitere Argumente.»

Man müsse die Soldaten respektieren und dürfe nicht riskieren, «die mutigsten Leute zu verlieren». Ausserdem nannte Selenski auch die finanzielle Belastung von umgerechnet fast 12 Milliarden Franken als Grund für die Zurückhaltung. Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen, zunächst werde sich das Parlament mit der Sache befassen. Für die Ukraine dürfte es schwierig sein, auf freiwilliger Basis so viele neue Rekruten einzuziehen. Viele Männer sind von den Einberufungsämtern nicht auffindbar oder sind vor dem Kriegsdienst geflüchtet.

Trumps Wiederwahl hätte «sehr grossen Einfluss»

Auch auf die Frage, wie er die weitere Unterstützung durch den Westen einschätze, antwortete Selenski nüchterner als noch vor wenigen Monaten. «Wir arbeiten sehr hart für diese finanzielle Unterstützung.» Er sei jedoch zuversichtlich, dass die USA als auch die EU das von Russland angegriffene Land künftig weiter unterstützen.

«Ich bin davon überzeugt, dass uns die USA nicht verraten werden», so der Präsident. So gewiss ist diese Unterstützung jedoch nicht: Erst vergangene Woche reiste Selenski in die USA, um für weitere militärische und politische Unterstützung für die Ukraine zu werben. Insbesondere Politiker aus dem Trump-Lager sprachen sich dabei gegen die Unterstützung der Ukraine aus.

Selenski räumte denn auch ein, dass eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps einen Einfluss auf den Kriegsverlauf in der Ukraine hätte: Sollte Trump 2024 erneut zum US-Präsidenten gewählt werden, würde er «definitiv eine andere Politik» verfolgen als die derzeitige Regierung, so Selenski. «Wenn die Politik des nächsten Präsidenten, wer auch immer er oder sie sein mag, anders ist, kälter oder sparsamer, werden diese Signale einen sehr grossen Einfluss auf den Verlauf des Krieges in der Ukraine haben.»

Verstärkte Drohnenproduktion

Selenski sprach auch darüber, dass die Ukraine im Jahr 2024 «eine Million Drohnen» produzieren werde. Die Waffenproduktion soll damit im neuen Jahr hochgefahren werden. «Wir werden alles tun, um dies zu erreichen», so der Präsident. Er sei «positiv gestimmt», was «die Steigerung der Drohnenproduktion und die Bildung spezialisierter Einheiten» angehe. Drohnen werden seit den ersten Tagen der russischen Invasion intensiv genutzt und stellen inzwischen einen wichtigen Teil der Strategie an der Front dar.

Selenski äusserte jedoch auch Kritik an der derzeitigen Logistik: «Ich finde es nicht gut, dass wir logistisch immer noch in bürokratischen sowjetischen Prozessen verstrickt sind, wenn 26’000 Drohnen in Lagern liegen und die Front nicht erreichen.» Er wies darauf hin, dass er ein Treffen mit den obersten militärischen Befehlshabern abgehalten habe, bei dem er die Bedeutung einer angemessenen Logistik für die Lieferung von Drohnen betont habe.

Selenskis Beliebtheit ist gesunken

«Ein schwieriges Jahr geht zu Ende», konkludierte Selenski. Das trifft auch für seine Rolle als Politiker zu: Laut einer am Montag publizierten Umfrage des internationalen Instituts für Soziologie in Kiew bleibt Selenski weiterhin der beliebteste Politiker. Doch im Vergleich zum Mai letzten Jahres sanken seine Werte von 90 auf 77 Prozent.

Nicht bestätigen wollte der Präsident an der Pressekonferenz Prognosen, dass der Krieg noch lange andauern werde. «Ich denke, das weiss niemand», sagt er. Die Dauer des Kriegs hänge von vielen Faktoren ab, fügte er hinzu – insbesondere von den Ukrainern und Ukrainerinnen selbst. «Wenn wir unsere Widerstandsfähigkeit nicht verlieren, werden wir den Krieg eher beenden.»