Spardruck im WahljahrNach der Inflation rücken in den USA die Schulden in den Fokus
In den Vereinigten Staaten wie auch in Grossbritannien und Frankreich ist die Staatsverschuldung besonders hoch. Schaffen es diese Länder, das Ruder herumzureissen?
Ökonominnen und Ökonomen, aber auch internationale Organisationen sind deshalb zunehmend besorgt über die USA, aber auch über Frankreich und Grossbritannien. Sie sind drei weltwirtschaftliche Schwergewichte, die nicht nur politisch turbulente Zeiten durchmachen, sondern auch finanziell zu kämpfen haben.
Zuerst verursachte die Corona-Pandemie eine scharfe Rezession. Als Nächstes folgte – ebenfalls pandemie-, aber auch kriegsbedingt – ein Teuerungsschub, der die Preise von allerlei Gütern zum Leidwesen von Konsumenten weltweit in die Höhe trieb.
Während diese zwei Schocks nun langsam abklingen, tritt das nächste Problem in den Vordergrund: Viele Länder haben ihren Staatshaushalt nicht im Griff. Sie geben mehr Geld aus, als sie mit Steuern einnehmen – und nehmen mehr Schulden auf, als auf die Länge verkraftbar ist.
Internationale Organisationen wie der IMF befürchten, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nach den defizitären Pandemiejahren zu lange dauert – was einerseits die künftige Gestaltungs- und Widerstandskraft der Staaten schmälert, andererseits die letzte Meile im Kampf gegen die Inflation erschwert und im schlimmsten Fall dereinst zu einer Schuldenkrise führen könnte. I
USA: Unter Trump wird es noch schlimmer
Der Elefant unter den Schuldenmachern sind die Vereinigten Staaten. Schon als Donald Trump noch Präsident war, nahmen die Defizite kontinuierlich zu. Während der Pandemie explodierten sie – weil die Einnahmen wegbrachen und viele Hilfsgelder flossen. Joe Biden, der 2021 ins Amt kam, hat danach aber keine Anstalten gemacht, den Haushalt auszugleichen, sondern diesen mit kostspieligen Investitionsprogrammen zusätzlich in Schieflage gebracht.
So stehen die USA heute mit einem Schuldenberg in der Höhe von 123 Prozent des BIP da, und die jährliche Neuverschuldung wird auf 6,5 Prozent geschätzt. Bereits das ist in den Augen des IWF alarmierend: Die chronischen Defizite müssten «dringend adressiert» werden, schreibt er in seinem Länderbericht.
Dass das tatsächlich passiert, dafür stehen die Chancen praktisch bei null. Die Politik ist zerstritten, Republikaner und Demokraten gönnen sich nichts. Zwar wird im November ein neuer Präsident gewählt, und auch der Kongress wird neu besetzt. Doch das könnte alles noch schlimmer machen. Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen und über die nötigen Mehrheiten in beiden Kammern verfügen, dürfte er eine Reihe von Steuersenkungen, die 2017 beschlossen wurden und 2025 auslaufen, in permanentes Recht überführen. Als Folge ginge das Defizit in Zukunft nicht zurück, sondern würde weiter steigen.
Die grosse Frage ist, wie lange das gut gehen kann. Bereits heute muss die US-Bundesregierung fast 20 Prozent ihrer Einnahmen aufwenden, um die Zinsen auf ihren Schulden zu bezahlen. In zehn Jahren könnten es 25 Prozent sein, wie aus Berechnungen der Peterson Foundation, eines überparteilichen Thinktanks, hervorgeht. Das würde noch mehr Stress für den Haushalt bedeuten.
Und es würde bedeuten, dass die USA als riskanterer Schuldner betrachtet würden. «Staaten mit höherer Verschuldung müssen in der Regel auch höhere Zinsen bezahlen», sagt Patrick Saner, Makroökonomie-Chefstratege bei der Versicherung Swiss Re. «Es würde nicht überraschen, wenn in ein bis zwei Jahrzehnten auch Amerika davon betroffen wäre.»
Kommt es also bald zum grossen Crash? Werden sich Anlegerinnen und Anleger demnächst weigern, weiter in die Schuldtitel von Industrieländern wie den Vereinigten Staaten, Grossbritannien oder Frankreich zu investieren? Kommt es zu Staatsbankrotten, Schuldenschnitten, Massenarbeitslosigkeit?
Grossbritannien: Schwierigste Situation seit 1950
Auf den ersten Blick ist der Fall klar: Labour hat im Parlament eine solide Mehrheit und Premierminister Keir Starmer das politische Kapital, um Reformen einzuleiten. In den jüngsten Wahlen haben sich die Briten nach vierzehn Jahren konservativer Politik klar für den Wandel ausgesprochen.
Doch die finanziellen Möglichkeiten der neuen Regierung sind begrenzt. Sie hat ein Defizit geerbt, das vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts beziffert wird. Solch ein Wert wäre während einer Wirtschaftskrise in Ordnung – in normalen Zeiten ist er deutlich zu hoch.
Weil auch die Schuldenquote bereits bei 104 Prozent steht, wäre es an der Zeit, den Haushalt ins Lot zu bringen. Das beisst sich nicht nur mit Labours Plänen, ins Gesundheitssystem und in den Klimaschutz zu investieren, sondern wird dadurch erschwert, dass Grossbritannien nach wie vor ein Wachstumsproblem hat – seit der Brexit-Abstimmung ging es mit der Wirtschaft stetig bergab.
«Einige schwierige Entscheidungen» würden deshalb anstehen, schreibt der IWF in seinem jüngsten Länderbericht. Der Regierung empfiehlt er, mehr Geld mit CO₂-Steuern sowie mit Mehrwert- und mit Erbschaftssteuern einzunehmen und daneben das Ausgabenwachstum bei der Altersvorsorge zu bremsen.
Ob das gelingt? Das Institute for Fiscal Studies, ein britischer Thinktank, hegt Zweifel: Die Stabilisierung der Schulden sei so schwierig wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Zur Einordnung: Damals war Grossbritannien finanziell erschöpft vom Zweiten Weltkrieg. Aber immerhin, die Wirtschaft boomte.
Frankreich: Ein Land ohne Regierung
Auf der anderen Seite des Ärmelkanals ging die französische Wirtschaft zwar als Profiteurin aus dem Brexit hervor – einige Geschäfte in der Finanzindustrie verschoben sich von London nach Paris. Doch was die Haushaltslage anbelangt, steht Frankreich an einem ähnlichen Punkt wie das Vereinigte Königreich. Das Defizit dürfte nach IWF-Schätzungen dieses Jahr bei 4,8 Prozent liegen, die Verschuldung bei 112 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Tendenz steigend.
Beides ist nicht nur nach gesundem Ökonomenverstand, sondern auch für die Europäische Union zu viel. Und so hat Frankreich nun zusammen mit Italien und fünf weiteren Ländern ein Verfahren der EU-Kommission am Hals. Das bedeutet, dass die Regierung bis im Herbst in Brüssel darlegen muss, wie es die Neuverschuldung bald unter die erlaubte Grenze von 3 Prozent senken will.
Wie das gehen soll, ist schleierhaft. Nach den jüngsten Wahlen ist noch nicht einmal klar, wer die nächste Regierung bilden wird – ganz zu schweigen von einem Konsens über politische Massnahmen. «Frankreich hat während der Pandemie viel Geld aufgewendet, um die Kaufkraft der Menschen zu schützen», sagt Frederik Ducrozet, Chefökonom bei Pictet Wealth Management. «Jetzt muss die Politik in die entgegengesetzte Richtung gehen. Das wird enorm schwierig.»
Die Geschichte lehrt: Es vergeht meist viel mehr Zeit, als man denkt, bis Krisen kommen. Doch dann treffen sie viel schneller ein, als man es für möglich hielt.
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