Mögliche Mangellage in der SchweizSo will der Bundesrat die Energiekrise meistern
Der Bundesrat hat die Versorgungssicherheit bei Gas und Strom beraten. Kommt der Deal mit Deutschland? Bleiben Privathaushalte verschont? Das sind die wichtigsten Punkte.
Die Situation bezüglich Energie in Europa spitzt sich zu. In der Schweiz bereitet man sich auf allfällige Mangellagen bei Strom und Gas vor. Die Zuständigkeit liegt bei Energieministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Sie präsentierten am Mittwoch, wie sie auf eine drohende Energiekrise reagieren wollen. Die wichtigsten Antworten.
Was war genau Thema?
Es ging gleich um mehrere Dinge. Erstens präzisierte der Bundesrat, wer von möglichen Gasrationierungen betroffen wäre. Dies bestätigt Recherchen dieser Zeitung: Privathaushalte werden erst einmal verschont. Zu einer Kontingentierung kommt es bei einer sogenannten Gasmangellage in der Wirtschaft. Zudem wird laut dem Bundesrat geprüft, ob der Verbrauch von Gas für gewisse Anwendungen verboten werden soll.
Daneben informierte der Bundesrat, wie es mit der Vorratshaltung für Gas für den kommenden Winter vorangeht. Die Gaswirtschaft muss dafür sorgen, dass sie 15 Prozent des Gasverbrauchs der Schweiz in Lagern in Europa gebunkert hat, da die Schweiz selbst keine Gasspeicher hat. Dazu kommen 20 Prozent, die als Optionen im Notfall bezogen werden könnten. Von der Gasreserve sind derzeit rund 60 Prozent der bundesrätlichen Vorgabe tatsächlich vorrätig. Für die Optionen liegen laut Bundesrat Offerten vor, die nun beschafft werden.
Derzeit füllen sich die Gastanks in der EU weiter – doch langsamer, als man sich das wünscht. Noch nicht einmal 60 Prozent der Gaslager sind voll – das Ziel sind 90 Prozent, um über den Winter zu kommen.
Wo steht das Abkommen mit Deutschland?
Die Verhandlungen für ein Gas-Solidaritätsabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland kommen offenbar voran. Beide Seiten seien an einem schnellen Abschluss interessiert, heisst es aus Verhandlungskreisen. Bald schon soll es ein nächstes Treffen geben, ein erstes hat im Juni stattgefunden. Wie wahrscheinlich ist ein zeitnaher Abschluss des Abkommens? Eine Person, die in die Verhandlungen involviert ist, sagt, sie sei «zuversichtlich», dass die beiden Staaten das Abkommen noch vor dem Winter unter Dach und Fach brächten – und damit vor der potenziell kritischen Versorgungsphase.
Die Schweiz hat der deutschen Seite inzwischen einen ersten Textentwurf vorgelegt. Dessen Inhalt ist zwar nicht bekannt. Sicher ist aber: Grundlage für das Abkommen bildet jene EU-Verordnung, in der die gegenseitigen Gas-Notlieferungen zwischen den EU-Staaten geregelt ist.
Einer der Kernpunkte: Tritt ein Gasmangel ein, muss ein Vertragsland zuerst alle «nicht geschützten Kunden» wie etwa Industriebetriebe vom Gas abkoppeln, ehe es den Solidaritätsmechanismus aktivieren kann. Sogenannt geschützte Kunden – also die Privathaushalte, aber auch soziale Einrichtungen wie Spitäler – sollen dagegen stets genügend Gas erhalten respektive würden im Notfall als letzte abgestellt. Die Schweiz muss sich also im Grundsatz an diese Reihenfolge halten. Was der Bundesrat nun bestätigte.
Welche Pfeile hat die Schweiz noch im Köcher?
Ein wichtiger Bestandteil des Schweizer Gas-Notfallplans ist Heizöl. Damit kann ein Teil der Schweizer Wirtschaft auch ohne Gas weiterproduzieren. Nämlich, wenn die Unternehmen eine Anlage haben, die mit beiden Energieträgern betrieben werden kann. Rund 20 Prozent des Gasverbrauchs kann damit eingespart werden. Firmen, die solche Anlagen haben, wurden schon mehrfach aufgefordert, vorsorglich für Heizöl zu sorgen. Falls das Heizöl ebenfalls knapp werden sollte, verfügt die Schweiz über einen Vorrat für viereinhalb Monate, der im Notfall an die Firmen verteilt werden kann.
Wer braucht überhaupt Gas in der Schweiz?
Rund ein Drittel des Gasverbrauches entfällt auf die Haushalte. Gerade im Winter brauchen Haushalte sehr viel Gas. In Städten und Agglomerationen sind es teilweise über die Hälfte der Haushalte, die mit Gas heizen oder kochen. Entsprechend ist der Hebel bei Privathaushalten gross, auch wenn sie nicht kontingentiert werden. Man spricht davon, dass eine Reduktion der Raumtemperatur um ein Grad rund 6 Prozent an Energie einspart. Statt die Wohnung auf 23 Grad zu heizen, könnte man sie nur auf 20 Grad erwärmen. Das Einsparpotenzial wäre damit fast ein Fünftel des schweizerischen Verbrauchs.
Der Rest des Schweizer Gasverbrauchs liegt bei der Wirtschaft. Gerade in der Industrie ist Gas ein wichtiger Energieträger. Entsprechend laufen in vielen Firmen die Vorbereitungen darauf, auf eine Mangellage zu reagieren. Denn: Fällt es aus, muss unter Umständen die Produktion gedrosselt werden. Mögliche Folgen wären Kurzarbeit und allenfalls auch Jobabbau, vor allem wenn sich die Situation über längere Zeit hinziehen würde.
Warum droht eine Strommangellage?
Neben Gas war auch Strom ein Thema im Bundesrat. Denn wird das Gas knapp, wird auch das Risiko einer Strommangellage grösser. Gas ist in der europäischen Stromlandschaft wichtig, gerade in Deutschland wird mit Gas viel Strom erzeugt. Wenn dieser Energieträger nur noch eingeschränkt zur Verfügung stünde, müssten andere einspringen. Doch die französischen AKW, ebenso wichtig für den europäischen Strommarkt, haben derzeit grosse Probleme. Zudem erwartet die Branche, dass die Speicherseen in der Schweiz auf den Winter hin unterdurchschnittlich gefüllt sein dürften. Alles in allem also eine schwierige Ausgangslage.
Da es zwischen der Gas- und Stromversorgung direkte Abhängigkeiten gibt, hat der Bundesrat die Organisation im Krisenfall noch einmal unter die Lupe genommen. Und sei in der Lage, diese jederzeit anzupassen und zu erweitern.
Weil Energie grundsätzlich knapp werden könnte, bereitet das Bundesamt für Energie derzeit eine Sparkampagne vor, um künftig Energie zu sparen. Die Kampagne soll für Bevölkerung und Wirtschaft einfach und rasch umzusetzende Energiesparmassnahmen vermitteln, so der Bundesrat.
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