Putin drosselt Gaslieferungen Müssen Schweizer Haushalte bald die Heizung runterdrehen?
Weil Russland noch weniger Erdgas liefert, macht sich nun in der Schweiz Nervosität breit. Economiesuisse will, dass auch Private sparen müssen. Was der Bund dazu sagt.
Russland liefert derzeit weniger Gas als abgemacht. Damit spitzt sich die sonst schon angespannte Versorgungslage weiter zu. In Deutschland will Wirtschaftsminister Robert Habeck aus diesem Grund Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen, um den Gasverbrauch für die Stromproduktion zu senken. Auch gesetzlich verordnete Sparmassnahmen seien denkbar, so Habeck. In der Schweiz macht sich nun ebenfalls Nervosität breit.
Im Falle einer Gasmangellage gibt es in der Schweiz eine festgelegte Kaskade, wer den Verbrauch senken muss. Zuerst gibt es Sparappelle. Dann kommen die Zweistoffanlagen in den Einsatz. Sie ermöglichen es, einen Teil des Gasverbrauchs zu ersetzen – diese Anlagen laufen dann mit Heizöl.
Falls dies immer noch nicht reicht und die Mangellage sich weiter zuspitzt, kommts zu Rationierungen. Wer davon konkret betroffen ist, arbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe der Bundesverwaltung aus. Die Überarbeitung eines Konzepts für Grossverbraucher mit dem umständlichen Namen «Bewirtschaftung von Erdgasverbrauchern mit Einstoffanlagen» soll bis Ende Monat abgeschlossen sein. «Bewirtschaftung» meint in dem Zusammenhang nichts anderes als die Tatsache, dass Gaslieferungen für Firmen eingeschränkt werden.
«Es geht darum, eine allfällige Gasmangellage als Land gemeinsam und mit möglichst wenig Schaden für unsere Gesellschaft und Wirtschaft zu meistern.»
Genau dort will Economiesuisse ansetzen, wie die NZZ berichtete. Der Wirtschaftsdachverband möchte, dass sich die Rationierungen nicht nur auf die Unternehmen beschränken. «Es geht darum, eine allfällige Gasmangellage als Land gemeinsam und mit möglichst wenig Schaden für unsere Gesellschaft und Wirtschaft zu meistern», sagt Alexander Keberle von Economiesuisse.
Denn es könne nicht sein, dass Pools nach Belieben geheizt würden, während Firmen in existenzielle Nöte geraten und Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Allenfalls soll gar in Kontrollen genau hingeschaut werden, ob Haushalte und Unternehmen nicht über ihr Kontingent Gas verbrauchen – und dies könnte auch sanktioniert werden. «Es soll nicht einfach das administrativ Einfachste getan werden, sondern was für Gesellschaft und Wirtschaft sinnvoll ist», sagt Keberle. Und es sei sinnvoll, wenn Privathaushalte ihren Teil beitrügen.
Was genau im neuen Konzept steht, ist noch nicht öffentlich. Recherchen zeigen: Der Wunsch von Economiesuisse dürfte kaum umgesetzt werden. Die Rationierungen beziehen sich konkret auf Grossverbraucher, Haushalte dürften verschont bleiben.
Ein Grund: Der Bund strebt ein Solidaritätsabkommen mit Deutschland an, das im Notfall greifen und die Gasversorgung verbessern soll. Nur ist in der EU klar: Privathaushalte sind vor solchen Rationierungen geschützt. Diese Regelung dürfte nun die Schweiz übernehmen, um nicht in einen Zwist mit den Partnerländern zu kommen.
Zudem gibt es ganz praktische Gründe, Privathaushalte nicht zum Sparen zu zwingen. Das zeigt das letzte Konzept zur Bewirtschaftung von grossen Anlagen aus dem Jahr 2016. Diese Zeitung hat über das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in das Dokument erhalten.
Darin heisst es: «Weil es aus technischen und administrativen Gründen praktisch nicht möglich wäre, die ca. 300’000 kleinen bis mittleren Erdgasverbraucher mit vertretbarem Aufwand kontrollierbar einzuschränken», sei diese Massnahme nur für grosse Anlagen vorgesehen.
Bäumle mit Sympathien
Deutschland plant einen anderen Weg: Bundeswirtschaftsminister Habeck hat angekündigt, Sparmassnahmen «zur Not auch gesetzlich» durchzusetzen. In der Schweiz haben solche Pläne auch politisch einen schweren Stand. Das Ziel, weniger zu heizen, sei zwar gut, sagt zum Beispiel der grüne Zürcher Nationalrat Bastien Girod. Man könne es aber nicht mit der Brechstange erreichen. «Aus Mietersicht sehr skeptisch» äussert sich sein Luzerner Parteikollege Michael Töngi. «Dass die Polizei kontrolliert, wie die Leute heizen, ist keine gute Idee», findet auch der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark.
Der grünliberale Nationalrat Martin Bäumle hingegen kann sich vorstellen, dass der Bundesrat im Notfall eine Verordnung über die höchstzulässige Beheizung von Privatwohnungen erlässt und dies stichprobenweise kontrolliert. «Das ist zumutbar, weil viele Räume zu stark beheizt sind.» 20 Grad müssten reichen – in einer Krise auch nur 18 Grad. Die Wirtschaft müsse aber ihren Teil beitragen.
Speicher zu 54 Prozent gefüllt
Die Situation in Europa wird derweil ungemütlich. Neben Deutschland spricht auch Österreich davon, Kohlekraftwerke einzusetzen, um weniger Gas zu verbrauchen. Denn ein Teil des Stroms für Europa und somit auch für die Schweiz wird in Gaskraftwerken produziert. Entsprechend wichtig ist die Versorgung mit Gas. Gerade wenn – wie es derzeit der Fall ist – französische AKW nicht so viel Strom wie üblich liefern.
Das oberste Ziel: Die Gasspeicher in Europa sollen bis im Winter voll sein. Derzeit füllen sich diese – auch wenn Russland die Gaslieferungen gedrosselt hat. In der EU sind die Speicher momentan zu 54 Prozent voll. Die Schweiz hat selbst keine Gasspeicher, sie ist also auf diejenigen in der EU angewiesen. Auch deshalb wird eine neue Planung für den Notfall dringender.
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