75-Jahre-JubiläumDie Nato ist nicht so robust, wie sie sich gerne darstellt
Die Nato feiert. Doch die Allianz ist an ihrem Geburtstag fragiler, als es den Anschein macht. Das sieht man in Osteuropa deutlicher als in Berlin, Madrid oder Rom.
Gibt es einen Grund zu feiern angesichts des Krieges in der direkten Nachbarschaft? Durchaus, denn das Bündnis hat all die Jahre als wichtiger Stabilitätsanker für Europa gedient, die Schweiz mittendrin inbegriffen. Die Nato begeht diesen Donnerstag das 75. Jubiläum ihrer Gründung, und eine Mitgliedschaft scheint attraktiver denn je. Nach den Ost- und Südosteuropäern haben zuletzt unter dem Eindruck von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine auch Finnland und Schweden Zuflucht im Bündnis gefunden.
Aber die Allianz mit ihren heute 32 Mitgliedern ist bei ihrem Geburtstag fragiler, als es den Anschein macht. Ein Grund sind unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Sensibilitäten zwischen Ost- und Westeuropäern. Auch Differenzen zwischen Berlin und Paris lähmen das Bündnis. Hinzu kommt die Angst vor einem möglichen Comeback von Donald Trump als US-Präsident. Nicht zu reden von den schwierigen Verbündeten Türkei und Ungarn, die Solidarität oft als Einbahnstrasse zu sehen scheinen und regelmässig mit Vetodrohungen die Geduld der Partner strapazieren.
Mehr als ein Verteidigungsbündnis
Bei der Zeremonie am Donnerstag stehen mit gutem Grund die neuen Mitgliedstaaten im Vordergrund. Dort weiss man noch eher um den Wert der Mitgliedschaft als Garantie für Freiheit und Demokratie. Die Nato ist mehr als ein Verteidigungsbündnis. Anderswo werden Sicherheit und Stabilität eher als selbstverständlich gesehen. Feiern allein wird aber nicht reichen. Die Verbündeten müssen dringend mehr in ihre Sicherheit investieren. Sonst wird es in Zukunft noch viel teurer. Denn Russland hat nicht nur die Ukraine angegriffen, sondern die europäische Friedensordnung.
In Osteuropa wird das deutlicher gesehen als in Berlin, Madrid oder in Rom. Das zeigt sich auch bei der Unterstützung für die Ukraine und der Sicht auf das imperialistische Russland von Wladimir Putin. Am Hauptquartier richtet man sich darauf ein, dass Russlands Angriffs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine noch Jahre dauern könnte. Und dass Putin möglicherweise nicht nur die Ukraine im Visier hat. Es braucht also einen langen Atem. Für Demokratien schwieriger als für einen Autokraten wie Wladimir Putin, der sich vor keinen Wählerinnen und Wählern rechtfertigen muss.
Putins Kalkül
Putin setze darauf, dass der Westen die Ukraine auf absehbare Zeit ermüdet im Stich lasse, so Nato-Diplomaten. Anzeichen dafür, dass der Plan aus Moskau aufgehen könnte, gibt es durchaus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versucht, hier Gegensteuer zu geben. Wie kann die Hilfe für die Regierung in Kiew langfristig angelegt und vorgesorgt werden, dass die militärische Unterstützung der Ukraine vor Donald Trump einigermassen sicher ist? Stoltenberg hat dazu ein 100 Milliarden Euro schweres Paket präsentiert. Angesichts knapper Kassen stösst der Plan auf Vorbehalte. Ziel ist es, die Versorgung mit Rüstungsgütern für die nächsten fünf Jahre auf eine stabile Basis zu stellen und gleichzeitig die Ukraine langsam an die Nato heranzuführen.
Die Koordination der militärischen Unterstützung soll zudem schrittweise von der US-geführten Ramstein-Koalition zur Nato zu transferiert werden. Derzeit wird die Koordination ad hoc am Sitz der US-Streitkräfte im Europa-Hauptquartier in Wiesbaden gewährleistet. Die Ad-hoc-Lösung soll durch eine institutionalisierte Koordination im Rahmen der Nato sukzessive abgelöst werden. Dies ebenfalls, um die Hilfe mit Blick auf ein mögliches Comeback von Trump zu «immunisieren».
Nato übernimmt
Die Nato könnte unter anderem die Koordination der Ausbildungsmissionen und der Beschaffungskoalitionen der Mitgliedstaaten übernehmen, wie zuletzt jene für westliche Artilleriegeschütze oder F-16 Kampfflugzeuge. Die Auslieferung von Rüstungsgütern soll aber auch aus Rücksicht auf skeptische Staaten wie Deutschland weiterhin bilateral erfolgen. Bis zum Gipfel im Juli in Washington muss eine Einigung her, rechtzeitig vor den US-Wahlen im Herbst.
Die Darstellung, dass die Nato nicht Kriegspartei ist, wird sich allerdings so immer schwieriger aufrechterhalten lassen. Insbesondere die deutsche Regierung insistiert jedoch auf der «roten Linie», dass die Nato nicht Teil des Konflikts werden d¨ürfe. Das ist immer mehr Fiktion oder gar Selbstbetrug. Die «roten Linien» haben bisher nur Wladimir Putin geholfen, seinen Vernichtungsfeldzug in der Ukrainen voranzutreiben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das anders als Olaf Scholz in Berlin erkannt und sich auf die Seite der Balten, Polen oder Rumänen geschlagen, die sich als Nächstes im Visier von Wladimir Putin sehen. Immer öfter fliegen russische Raketen auf der Flugbahn Richtung Ziele in der Ukraine auch über Nato-Territorium. Russlands hybride Angriffe sind im Baltikum Alltag, der Krieg längst erklärt.
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