Wahlkampf in den USATrump-Comeback droht – und Europa «steckt den Kopf in den Sand»
Bei EU und Nato hat sich seit der ersten Amtszeit des Ex-Präsidenten zu wenig bewegt, um für ein Comeback des Populisten gerüstet zu sein. Erst seit seinem Sieg in Iowa läuten nun die Alarmglocken.
Wie war doch Angela Merkel für diese Rede gefeiert worden: Die Europäerinnen und Europäer müssten ihr Schicksal nun «wirklich» in ihre eigene Hand nehmen, sagte die damalige Bundeskanzlerin 2017 nach der überraschenden Wahl von Donald Trump. Die Zeiten, in denen Europa sich auf andere völlig verlassen könne, seien nun «ein Stück weit» vorbei. Europa müsse jetzt allein weitermachen.
Es war ein Weckruf, doch was hat er bewirkt? Vor dem möglichen Comeback Donald Trumps werden am Sitz von EU und Nato wieder bange Fragen gestellt. Ist Europa diesmal vorbereitet, wird die EU sich behaupten können oder von den USA verlassen untergehen?
Es gibt die Berufseuropäer und Optimisten unter den Diplomaten, die das Glas zumindest halb voll sehen. Europa habe seine Widerstandskraft gestärkt, die EU-Staaten die Lehren gezogen, ihre «strategische Autonomie» gestärkt, die Wirtschaft Lieferketten diversifiziert und Abhängigkeiten reduziert.
EU-Geld für Waffen
Die EU hat nun einen sogenannten strategischen Kompass, einen Aktionsplan, um die eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit bis 2030 zu stärken. Das Friedensprojekt EU hat erstmals einen gemeinsamen Geldtopf, um Kriegsmaterial zu kaufen, insbesondere für die Ukraine. Die EU-Staaten investieren gemeinsam in die Forschung und Entwicklung der Rüstung von morgen. Alles vor einigen Jahren noch unvorstellbar und ein Tabu.
Auch bei der Nato könnte ein gut gestimmter Donald Trump bei einem nächsten Gipfel positive Entwicklungen begrüssen und auf sein Konto verbuchen. Eine ganze Reihe von Verbündeten erreicht nun das Ziel, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, das sich die Nato 2014 nach der russischen Krimannexion gesteckt hat.
Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er bei einem Comeback nicht hervorheben würde, dass die Mehrheit die Vorgabe noch immer nicht oder nicht dauerhaft schafft. Darunter insbesondere die grossen Nato-Staaten Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien.
Trippelschritte Richtung Souveränität
Und auch bei der EU sind es bisher eher Trippelschritte Richtung Selbstständigkeit. Das zeigt sich gerade wieder bei der Reaktion auf die jemenitischen Huthi-Rebellen, die im Roten Meer kommerzielle Schiffe kapern oder mit Drohnen beschiessen. Es geht hier um die wichtigste wirtschaftliche Lebensader für den Handel zwischen Europa und Asien. Die USA sind zusammen mit Grossbritannien längst vor Ort, um Schiffe zu eskortieren und vor Raketenbeschuss zu schützen.
Die EU-Staaten konnten sich in einem ersten Anlauf nicht auf eine eigene Marineoperation einigen und wollen jetzt immerhin bis Ende Februar auch vor Ort sein. Das genaue Mandat der EU-Marinemission im Roten Meer, die Frage der operativen Führung oder wer Schiffe oder Flugzeuge beisteuert, wird in Brüssel allerdings noch diskutiert. Klar ist bisher nur, dass die Europäer nicht präventiv Abschusseinrichtungen für Drohnen in Jemen bombardieren wollen, wie es Amerikaner und Briten vorgemacht haben.
Kein Wunder, mehren sich die kritischen Stimmen, die das Glas «halb leer» und Europa schlecht gerüstet sehen. Spätestens seit der ersten Vorwahl in den USA mit dem klaren Sieg von Donald Trump läuteten in Brüssel und vielen Hauptstädten die Alarmglocken, sagt Siegfried Muresan, Sprecher von Europas Konservativen und einflussreicher EU-Abgeordneter aus Rumänien. Leider habe man Donald Trump nach der Wahl von Joe Biden als Ausnahme gesehen und danach kostbare Zeit verloren.
Ähnlich sieht es der USA- und China-Experte Reinhard Bütikofer, EU-Abgeordneter von den deutschen Grünen. Die Europäer hätten sich vorgemacht, dass vier Jahre Donald Trump ein einmaliger Ausrutscher gewesen seien. Dabei sei ein Comeback angesichts der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht überraschend. Selbst jetzt noch versuche man in Brüssel und in den Mitgliedstaaten, den Kopf «in den Sand zu stecken». So müssten sich die Europäer etwa darauf einstellen, dass Donald Trump als Präsident die Ukraine im Stich lassen werde.
Plan B für Ukraine-Hilfe
Es bringe nichts, «mit behäbigem Fatalismus darauf zu warten, ob die Schlange zuschnappt», formuliert Bütikofer mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg des amerikanischen Populisten. Die Europäer müssten jetzt dringend über einen Plan B nachdenken, also etwa gemeinsam vereinbaren, der Ukraine alles zu liefern, was diese brauche, um sich gegen Wladimir Putin zu behaupten.
Die US-Präsidentschaftswahl sei die Wahl «aller Gefahren», warnt auch Nathalie Loiseau, liberale EU-Abgeordnete aus Frankreich und enge Vertraute von Präsident Emmanuel Macron. Für Europa sei die Zeit der Unschuld vorbei, der Kontinent müsse seine Verantwortung übernehmen, insbesondere in seiner Nachbarschaft. Der Weckruf kommt möglicherweise zu spät.
Fehler gefunden?Jetzt melden.