Militärhilfe für die UkraineJetzt will Frankreich Superkanonen schicken
Paris kündigt grössere Waffenlieferungen für Kiew an – und wehrt sich damit vehement gegen den Vorwurf, zu wenig zu helfen.
Französische Politiker sind aussergewöhnlich gut darin, ihrem Handeln einen für sie günstigen Dreh zu geben, im Jargon: einen positiven Spin. Viele sind grandiose Rhetoriker, gerade wenn der Gegenwind stark ist.
Seit einer Weile hat sich in Europa – und in Berlin im Besonderen – das Narrativ festgesetzt, dass Frankreich den Ukrainern nicht genügend helfe in deren Krieg gegen den russischen Aggressor, dass sich Paris mit der Lieferung von Waffen und mit finanzieller Unterstützung zurückhalte. Es gibt dazu auch ziemlich deutliche Zahlen des Kiel-Instituts. Studiert man die, macht es den Anschein, als stünden die Franzosen bislang in etlichen Kategorien ganz am Schluss der Rangliste der grössten Geber. Deutschland leistete demnach Hilfe für den Gegenwert von mehr als 17 Milliarden Euro; Frankreich kommt nicht einmal auf 1 Milliarde.
Raketen und «Hunderte Bomben»
In Frankreich selbst ignorierte man die Kontroverse lange beinahe ganz. Nun aber ist sie plötzlich ein Thema in den Medien und in den Palästen der Macht. Bei seiner grossen Pressekonferenz vor ein paar Tagen deutete Präsident Emmanuel Macron die Angelegenheit gar um. Er sagte, Frankreich werde schon dafür sorgen, dass die Unterstützung für die Ukraine in Europa nicht erlahme, es gehe schliesslich um das Schicksal des Kontinents. Er kündigte auch an, dass Frankreich der ukrainischen Armee «vierzig Raketen» und «Hunderte Bomben» zukommen lassen werde. Im Februar, sagte Macron auch, werde er nach Kiew reisen. Es hörte sich ein bisschen so an, als gebe Paris den Ton an.
Dann übernahm sein Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, und der widersprach der ungünstigen Darstellung Frankreichs radikal. Als man Lecornu in einem Radiointerview auf France Inter auf das schlechte Klassement ansprach, sagte er, das Kiel-Institut vermische doch «Kohl und Rüben»: «Alle diese Rankings sind falsch, man muss nur schauen, wem das zugutekommt.»
Man wolle «niemandem einen Stein in den Garten werfen»
Gemeint war Deutschland. Das Kiel-Institut berufe sich auf «Versprechen und Erklärungen», nicht auf die tatsächlichen Lieferungen. Frankreich dagegen sei stolz darauf, dass es alles liefere, was es verspreche – «und funktionstüchtig». Er wolle ja keine Polemik schüren, schickte er schnell nach, «niemandem einen Stein in den Garten werfen». Doch natürlich waren wieder Deutschland und seine halb funktionalen Panzer gemeint.
Die Interviewer fragten den Minister dann noch, ob der deutsche Kanzler Olaf Scholz falschliege, wenn er die Partnerstaaten und Frankreich auffordere, mehr zu tun. Lecornu dazu: «Deutschland weigert sich, ähnliche Raketen wie unsere Scalp zu liefern.» Das waren gleich eine Menge Steine, die er da in den deutschen Garten warf.
Waffenproduktion in fünfzehn Monaten
Frankreich verspricht noch für dieses Jahr weitere 78 Haubitzen vom Modell Caesar. 49 davon sind schon im Einsatz in der Ukraine und dort sehr geschätzt: Die Kanonen, montiert auf Lastern, sind mobil und flexibel, sie lassen sich mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h verschieben. Hergestellt werden sie vom privaten französischen Rüstungskonzern Nexter, den Lecornu bei der Gelegenheit in höchsten Tönen lobte. Man zeige damit auch, dass man eine strahlkräftige Rüstungsindustrie habe. Früher habe Nexter dreissig Monate gebraucht, um eine Caesar zu fabrizieren, nun seien es nur noch fünfzehn. Die Produktion sei hochgefahren worden, wie man das in einer «Kriegswirtschaft» mache.
Eine Caesar koste «drei, vier Millionen Euro». Das sei einigermassen erschwinglich, fand Lecornu. Er lancierte deshalb einen Appell an die Adresse aller europäischen Partnerstaaten, sie möchten sich an der Finanzierung von sechzig Haubitzen beteiligen.
Reichweite bis hinter die Frontlinie
Ausserdem sollen in diesem Jahr insgesamt vierzig Luft-Boden-Raketen des Typs Scalp an die Ukrainer gehen. Sie haben eine Reichweite von 250 Kilometern. Damit können die ukrainischen Streitkräfte auch russische Ziele hinter der Frontlinie treffen, etwa Kommandozentralen und Munitionsdepots – oder die Flotten in den Häfen der Krim.
Einen ersten Versuch, die Narration vom angeblich zögerlichen Alliierten in Paris zu ändern, hatte vor zwei Monaten schon die Verteidigungskommission der Assemblée Nationale gemacht, der grösseren Kammer des französischen Parlaments. In einem Bericht rechnete sie alles zusammen, was Paris seit Februar 2022 geleistet hat für die Ukraine, inklusive Ausbildung, und kam dabei auf 3,2 Milliarden Euro. Das ist noch immer viel weniger als Deutschland, auch nur etwa die Hälfte der Briten.
Doch Macron und seine Regierung legen Wert darauf, dass man Frankreich jetzt als Teil des «peloton de tête« sieht, das ist eine Metapher aus dem Radsport. Der Begriff steht für: Spitzengruppe.
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