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Meinung

Analyse zu Macrons grosser Rede
«Frankreich muss Frankreich bleiben»: So will Macron die Nation stärken

French President Emmanuel Macron gestures during his first prime-time news conference to announce his top priorities for the year as he seeks to revitalize his presidency, vowing to focus on "results" despite not having a majority in parliament, Tuesday, Jan. 16, 2024 at the Elysee Palace in Paris. (AP Photo/Aurelien Morissard)
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Wo die Franzosen auch hinzappten, überall nur er: Emmanuel Macron, im Festsaal des Élysées. Dienstag, von 20.15 bis 22.30 Uhr. Das hat es auch in Frankreich noch nie gegeben, dass ein Präsident die Primetime des Fernsehens für sich reklamierte, auf sechs Kanälen gleichzeitig, live: TF1, France 2 und vier Nachrichtensender. Und auch was die Länge seiner Pressekonferenz anging, muss man schon zurückblenden bis an die Anfänge dieser Fünften Republik, bis zum General, zu Charles de Gaulle. Der setzte sich auch gern vor die Presse und redete stundenlang, ziemlich genial meistens, auch wenn er improvisierte.

Emmanuel Macron nannte das Format «Rendez-vous avec la nation», Begegnung mit der Nation. Das war natürlich ein Versprechen.

Da sass er also unter Kronleuchtern und versuchte gewohnt eloquent, seiner Präsidentschaft neues Leben zu verleihen, eine Richtung, ein Ziel, nachdem er in der vergangenen Woche schon seine Regierung umgebildet und viel weiter rechts als bisher positioniert hatte. «Mut, Aktion, Effizienz», sagte er immer wieder – dieser Dreiklang leite ihn, er habe ja noch dreieinhalb Jahre Zeit. Das sei eine ganze Weile, da lasse sich viel tun. Er wünsche sich ein «stärkeres, gerechteres Frankreich». Nur, wie soll das gehen?

(FILES) France's President Emmanuel Macron (R) stands next to French Education and Youth Minister Gabriel Attal (L) at the 'lycée professionnel de l'Argensol' or Argensol vocational school during his visit of the school in Orange, Southeastern France on September 1, 2023. French President Emmanuel Macron on January 9, 2024, named education minister Gabriel Attal as French Prime Minister in a bid to give new momentum to his presidency, with the 34-year-old becoming France's youngest and first openly gay head of government, a source close to the presidency told AFP. (Photo by Ludovic MARIN / POOL / AFP)

Seit seiner Wiederwahl 2022 hat er keine absolute Mehrheit mehr im Parlament, das macht das Regieren insgesamt schwierig. Zudem wird er von der extremen Rechten um Marine Le Pen bedrängt, seiner grossen Nemesis, die in allen Umfragen vorn liegt.

Und so liess sich Macron dazu verleiten, sich auch bei der Justierung des Kompasses bei der Rechten zu inspirieren, bis hin zu einem alten Slogan der Nationalisten: Frankreich, sagte er, müsse Frankreich bleiben. Den Spruch hört man sonst vor allem von Le Pen und Éric Zemmour, dem Anführer der ebenfalls extrem rechten Partei Reconquête, die damit ihre Aversion gegen alles ausdrücken, was ihnen nicht als urfranzösisch erscheint.

In 100 Schulen wird mit der Uniform experimentiert

Der Gesellschaft, sagte Macron, seien Riten und Traditionen der Republik abhandengekommen, die sie früher geleitet hätten. Die müssten jetzt schnell wieder aktiviert werden, vor allem in der Schule, begonnen bei der Nationalhymne. «Es ist absolut notwendig, dass die Marseillaise ab der Primarschule gesungen wird, sie verbindet uns.»

Überhaupt die Schule: Macron will dafür sorgen, dass wieder alle Klassiker der französischen Literatur studiert werden. Das Theaterspiel und die Kunstgeschichte sollen auch wieder aufgewertet werden – alles, was diese Nation ausmache, die ja schliesslich eine spirituelle Angelegenheit sei.

Macron will auch prüfen, ob es klug wäre, die Schuluniform wieder einzuführen. Zunächst soll sie in hundert Schulen getestet werden, dann werde man entscheiden. Recht vage blieb auch sein Vorschlag, die Zeit einzuschränken, die Kinder vor Bildschirmen verbringen. Das sei zentral. Aber wer das kontrollieren soll, wurde nicht so klar.

«Alte Schule» nennt es die linke Zeitung «Libération»

Der jüngste Präsident der Republik, den Frankreich je hatte, hat sich in der Summe stark nach «alter Schule» angehört, fand die linke Zeitung «Libération» danach, auch im Wortsinn. Macron ist offenbar überzeugt davon, dass er den Rückstand auf die extreme Rechte nur mit der Beschwörung alter Welten aufholen kann, mit einer nur leicht moderneren und aufgeräumten Kopie des Originals.

Er verteidigte auch das verschärfte Immigrationsgesetz, das sein politisches Lager vor Weihnachten zusammen mit der Rechten verabschiedet hat. Es sei «nicht absurd», dass Zuwanderer eine Weile warten müssten, bevor sie gewisse Sozialleistungen empfingen. Auch sei es richtig, dass Frankreich seine Grenzen sichere.

Head of far-right party Rassemblement National (RN) Marine Le Pen addresses a press conference to present a "counter-project" to the government's proposed law against "separatism", at the party headquarters in Nanterre, near Paris, on January 29, 2021. (Photo by Thomas SAMSON / AFP)

Es war schon 21.45 Uhr, als Macron auf die Möglichkeit angesprochen wurde, dass er 2027, zum Ende seines zweiten und letzten Präsidialmandats, die Schlüssel des Élysées womöglich an Le Pen werde weiterreichen müssen. Da wurde er plötzlich sehr ernst und leidenschaftlich. In vielen Ländern Europas sei die extreme Rechte im Vormarsch, «sogar in Deutschland», wo man dachte, dass sie nie mehr zurückkommen werde.

Das Rassemblement National, Le Pens Partei, die er lieber bei ihrem alten Namen Front National benenne, sei die Partei «des billigen Zorns», der «Lüge», der «kollektiven Verarmung», sagte er. Vor ein paar Jahren habe sie noch den Austritt aus dem Euro gefordert. Nun wolle sie zwar nicht mehr austreten. Ihren Wählern verheisse sie aber, dass sie, wäre sie an der Macht, die europäischen Verträge nicht mehr respektieren würde.

«Ich werde bis zuletzt kämpfen, um diese Extremisten zu verhindern», sagte Macron. Das Rassemblement National habe sich ja schon zweimal fast an der Macht gewähnt, 2017 und 2022, beide Male hätte es dann verloren. Gegen ihn. Marine Le Pen konterte nach der Pressekonferenz, Macrons «grosse Begegnung mit der Nation» sei «zur grossen Plauderei» verkommen.

Zur Ukraine eine eigentümliche Deutung der Dynamik

Damit ist in Frankreich die Kampagne für die Europawahlen vom kommenden Juni eröffnet, und darum ist es Macron offensichtlich gegangen. Er liess sich auch zu geopolitischen Themen befragen, hielt sich dabei aber auffällig kurz, die Zeit lief schon aus, man hatte sich mit den Sendern auf zweieinviertel Stunden geeinigt.

Der Krieg in der Ukraine sei das grösste Risiko, mit dem sich Europa gerade konfrontiert sehe. Auf die Frage, was Frankreich beitrage, damit dieses Risiko sich nicht zur Katastrophe ausweite, sagte er, man werde den Ukrainern bald «40 Raketen» und «mehrere Hundert Bomben» liefern. Paris werde dafür sorgen, dass das Engagement Europas für Kiew nicht erlahme.

Das ist eine eigentümliche Deutung der Dynamik: Frankreich gehört bislang zu den schwächsten Unterstützern der Ukraine in der EU, militärisch und finanziell, aller Eloquenz Macrons zum Trotz.