Analyse zu FrankreichMacron stemmt sich mit Rechtskurs gegen das Ende
Von allen Seiten bedrängt, droht der Präsident sich zu verzetteln: Nun läuft sein letzter Selbstrettungsversuch. Emmanuel Macron bildet wohl die Regierung um und ändert seine Sprache.
Wiederaufrüstung ist ein Begriff aus dem militärischen Jargon, auf Französisch: réarmement. Sagt niemand einfach so daher, schon gar nicht in diesen kriegerischen Zeiten. Emmanuel Macron hat ihn bei seiner Neujahrsansprache im Garten des Élysée gleich siebenmal benutzt, in nur vierzehn Minuten: Wiederaufrüstung auf allen Ebenen – des Landes insgesamt, des Bürgersinns, der Industrie, der Energieversorgung, der Forschung, der Wirtschaft.
Man muss also unbedingt davon ausgehen, dass der Präsident genau diesen Begriff in die Köpfe der Franzosen hämmern wollte, mit Autorität. Umso besser, wenn er militärisch klingt. Wiedergeburt war ihm wohl zu schwach für die Markierung dieses besonderen Moments.
Macron versucht gerade, seine fransende und schlingernde Präsidentschaft zu retten, es ist sein vielleicht letzter Selbstrettungsversuch. Zeit genug wäre schon dafür, sein zweites und letztes Mandat dauert ja noch dreieinhalb Jahre, bis 2027.
Le Pens Wahl wäre eine Demontage seiner Präsidentschaft
Aber schafft er einen Neustart? Und vor allem: Ist der so stark, dass sich die Franzosen in dieser Zeit noch überzeugen lassen, nicht die extreme Rechte und Marine Le Pen an die Macht zu wählen, wie das alle aktuellen Umfragen nahelegen? Das wäre eine schreckliche Quittung für Macrons Präsidentschaft, eine Demontage seines Vermächtnisses.
Macron wurde in jüngerer Vergangenheit oft vorgeworfen, er steuere ohne Kompass, er verzettle sich, weil er sich immer um alles kümmern wolle, und er verwirre mit seiner Umtriebigkeit die eigenen Bürger und die internationalen Partner.
Man fragte sich auch, ob er noch genügend Energie mobilisieren könne, um den üblichen Zersetzungskräften entgegenwirken zu können, die sich nun mal unweigerlich in jeder befristeten Amtszeit entfalten: Jeden Tag geht etwas mehr Macht dahin. Er stemmt sich dagegen und baut zunächst ganz auf die internationale Strahlkraft Frankreichs in diesem Jahr 2024 – und wohl auch auf eine Neusortierung seiner Regierung.
2024, sagte Macron in seiner kurzen Rede, werde ein «millésime français», ein «französischer Jahrgang», wie man das beim Wein sagt. Es sei schliesslich nur alle zehn Jahre, dass man die Befreiung von den Nazis begehen könne wie nun wieder, mit dem 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie. Nur alle hundert Jahre richte ein Land Olympische Spiele aus, wie das Paris im kommenden Sommer tun wird. Und nur alle tausend Jahre sei es vergönnt, eine Kathedrale aufzubauen.
Gemeint ist Notre-Dame de Paris, die im Dezember wieder öffnet, wie neu, nach dem Brand vor fünf Jahren. Macron sagte dazu: «Wenn Frankreich stolz auf sich selbst ist, dann schafft es das Unmögliche.»
Von Macron heisst es, er sei ein Solitär, einer, der seine Entscheidungen gern mit sich selbst ausmache und dann alle damit überrasche. Nichts hasst er offenbar mehr, als wenn aus seinem Entscheidungsprozess im Élysée schon früh etwas nach draussen durchsticht – vor allem bei Personalien ist das so, etwa bei Berufungen ins Kabinett, seinem grossen Prärogativ. Nach Leaks ist Macron fähig, alles noch mal über den Haufen zu werfen.
Und so rätselt der dauererregte politmediale Pariser Betrieb seit Wochen, ob der Präsident wohl diesmal seine eher unpolitische Premierministerin Élisabeth Borne entlassen würde, bald schon, sehr bald, vielleicht bei der Ministerratssitzung vom kommenden Mittwoch, um sie durch einen markant rechten Regierungschef zu ersetzen.
Die Sprache? Auch die ist rechts
Mit dem neuen Immigrationsgesetz, verabschiedet kurz vor Weihnachten, ist der Zentrist Macron energisch von der Mitte abgerückt, seiner habituellen Manövrierzone. Wiederaufrüstung, nationaler Stolz, der Wein als Sinnbild: Auch die Sprache der Neujahrsrede war rechts. Apropos Wein: Erstmals seit fünf Jahren unterstützt die Regierung heuer den Dry January nicht, was die Linke als Konzession an die angeblich eher rechte Weinlobby deutet.
Zweimal war er bereits nahe dran gewesen, Borne aus der Verantwortung zu komplimentieren: nach den verlorenen Parlamentswahlen 2022 und dann nach noch mal nach der nur schmerzvoll überstandenen Rentenreform im Sommer 2023. In der Neujahrsansprache bedankte sich Macron nun schon einmal viel beachtet bei ihr. Nur ein Zwischendank?
Es ist also schwierig bis unmöglich, die Wahrscheinlichkeit des einen oder anderen Anwärters auf das Amt des Regierungschefs zu wägen. Aber natürlich tun die französischen Zeitungen genau das und nachgerade genüsslich. Sie lassen sich dafür von Insidern helfen, die in den Palais sitzen und rigoros anonym bleiben möchten. Und auch diese Prämisse muss sein: Wessen Name mal gefallen ist, der riskiert, aus dem Rennen zu fallen – «verbrannt», gezielt oder beiläufig. So war das schon oft.
Wäre es auch diesmal so, dann müsste sich Sébastien Lecornu, Ministre des Armées, also Verteidigungsminister, am meisten Sorgen machen: Der frühere Republikaner, erst 37, wird als Favorit für Bornes Nachfolge gehandelt. Als chancenlos gilt dagegen Gérald Darmanin, Macrons Innenminister, bisher ein Hochambitionierter: Sein Immigrationsgesetz musste sich Darmanin von der Rechten und der extremen Rechten zerlegen und diktieren lassen – die Aura ist weg.
Lecornu würde keine Schatten auf Macron werfen
Ebenfalls eher unwahrscheinlich ist eine Promotion von Bruno Le Maire, dem prominenten Wirtschaftsminister. Den hätte Macron lieber als Listenkopf bei den kommenden Europawahlen, was Le Maire allerdings für eine viel zu kleine Rolle für sich selbst hält.
Herumgereicht wird auch der Name von Richard Ferrand, dem früheren Präsidenten der Nationalversammlung. Als ehemaliger Sozialist gehört er dem linken Flügel von Macrons Partei an. Ferrand ist ein inoffizieller Berater Macrons, der Präsident hört auf ihn. Zwischen den Jahren soll er mehrmals im Élysée gesehen worden sein. Wenn das mal kein Indiz ist!
Aber noch mal zum Favoriten. Mit Lecornu würde Macron seinen energisch eingeschlagenen Rechtskurs auch nominell bestätigen. Schatten würde ihm Lecornu keine machen: Im Gegensatz zu Darmanin und Le Maire hat der Verteidigungsminister noch nie durchscheinen lassen, dass er sich für die Präsidentschaft der Republik interessieren könnte.
Auch das mag Macron nicht: dass da jemand unter ihm die Geschäfte führt, der auf seine Nachfolge schielt und sich dafür ein Stück des Lichts nimmt. Er braucht alles Licht für sich, um seine Präsidentschaft noch zu retten.
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