Gérald Darmanin im PorträtWenn der Innenminister provoziert und sabotiert
Die Nummer 3 der französischen Regierung befeuert die politischen Spannungen im Land – sogar mit einem Fussballstar legt er sich an. Sein Ziel? 2027.
Nationale Einheit wäre jetzt viel wert in Frankreich, als Balsam. Der neue Krieg in Nahost wühlt das Land auf, spaltet es in Lager. Das tut es auch anderswo, doch Frankreich zählt gleichzeitig die grösste jüdische und die grösste muslimische Gemeinde Europas, da haben Konflikte auf der anderen Seite des Mittelmeers immer ein besonderes Echo. Die Sorge, dass die Ressentiments nun wachsen, bewegte Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron dazu, das Volk auf Einheit einzuschwören. «Lasst uns eins sein», sagte er in seiner Fernsehansprache nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel. «Fügen wir dem Konflikt in Nahost nicht auch noch unseren internen Konflikt hinzu.»
In diesem Satz lag viel Dringlichkeit, und auch schon eine pessimistische Vorahnung. Selbst in seiner eigenen Regierung hören ihm nicht alle zu, auch sehr prominente Figuren nicht. Die Nummer drei im Kabinett, Innenminister Gérald Darmanin, sabotiert den Appell fast jeden Tag mit Provokationen und Tabubrüchen.
«Darmanin – die Strategie des Überbietens», titelte «Le Monde» vor einigen Tagen. Und genau so muss man sich das vorstellen, wie bei einer Auktion: Immer setzt Darmanin noch einen drauf. Ohne Not. Der 41-jährige Nordfranzose äussert oft pauschale Urteile, stellt eine direkte Verbindung her zwischen Immigration und Terrorismus, droht damit, dass er sich notfalls über europäisches Recht hinwegsetzen würde, um die Franzosen zu schützen. Doch statt sie zu beruhigen, fördert er die Psychose mit seiner Strategie.
Liefe ein Verfahren gegen Benzema, dürfte Darmanin überhaupt nichts dazu sagen.
Drei Beispiele aus den vergangenen zwei Wochen. Nach dem Attentat eines Tschetschenen im nordfranzösischen Arras, bei dem ein Lehrer getötet wurde, brachte Darmanin sofort das geplante neue Immigrationsgesetz ins Spiel: Wäre es schon in Kraft gewesen, behauptete er, hätte der Attentäter, der den Behörden als potenzieller Gefährder bekannt war, schon lange ausgewiesen werden können. Die Deutung war abenteuerlich. Doch Darmanin schaffte es so, dass man nach dem Terrorattentat über die Migration debattierte – von oben diktiert.
Die Gesetzesvorlage soll in wenigen Wochen ins Parlament kommen. Darmanin, der früher den rechtsbürgerlichen Républicains angehört hatte, wird nun versuchen, es noch so zu prägen, dass es genauso gut aus der Schublade der sehr harten Rechten kommen könnte. Das ist sein erklärtes Ziel: Marine Le Pen die Show zu stehlen, ihr die Themen wegzunehmen. Nur so, sagt Darmanin immer wieder, sei Le Pen zu schlagen. Allerdings stellt sich die Frage, ob dahin neigende Wähler nicht eher das Original wählen als die Kopie.
Viel Aufregung stiftete Darmanin auch, als er bei einem Auftritt im Fernsehen behauptete, der Fussballer Karim Benzema habe «eine notorische Verbindung zu den Muslimbrüdern». Benzema hatte in einem Post auf X, dem früheren Twitter, zum Beten für die Kinder und Frauen in Gaza aufgerufen, die einmal mehr Opfer von ungerechten Bombardements würden.
Darf ein Minister so reden?
Als man Darmanin fragte, ob er denn Beweise für seinen Vorwurf habe, wand er sich in vagen Andeutungen und Ausflüchten. Benzema habe «etwas zu verbergen», sagte er auch, seine Posts in den sozialen Medien seien fragwürdig. Darf ein Minister so reden? Hätte er Beweise und liefe ein Verfahren gegen Benzema, dürfte Darmanin überhaupt nicht darüber reden.
Gibt es hingegen keine Beweise und läuft auch keine Ermittlung gegen den Weltfussballer, verbreitet der Innenminister der Republik einfach nur Gerüchte. Benzema prüft nun, ob er Darmanin wegen Verleumdung anzeigt – die Muslimbrüder gelten in manchen Ländern als Terrororganisation.
Im Sommer wäre Darmanin gern Premier geworden. Nun fühlt er sich frei, auch frei für Soli.
Viel diskutiert wurde auch Darmanins Entscheidung, systematisch und bis auf weiteres alle propalästinensischen Kundgebungen zu untersagen, überall im Land. Aus Sicherheitsgründen, wie er beteuerte, und weil an solchen Demonstrationen womöglich auch antisemitische Parolen skandiert werden können. Für ein paar Tage hielt das Verbot, dann aber hob der Conseil d’Etat, Frankreichs höchstes Verwaltungsgericht, es wieder auf. Es verletze in seiner systematischen Auslegung das fundamentale Recht auf Meinungsfreiheit.
Wenn der Unmut kein Ventil hat, ist das der allgemeinen Stimmung im Volk nie einträglich. Und es ist ja nun nicht so, dass die französische Polizei keine Erfahrung hätte im Umgang mit Märschen und Demos, im Gegenteil.
Er will ein «richtiger Chef» sein
Darmanin fühlt sich dennoch bestärkt bei seiner harten Linie. In einer grossen Umfrage des Ipsos-Instituts – unter dem Titel «fractures françaises», also «französische Verwerfungen» – sagten 82 Prozent der Befragten, sie wünschten sich einen «richtigen Chef», der wieder für Ordnung sorge im Land. So einer will Darmanin sein. Wenn er damit Präsident Macron überstrahlt, ist ihm das ganz recht.
Darmanin wäre gern Premierminister geworden im Sommer, doch der Präsident beliess Élisabeth Borne im Amt. Seitdem fühlt Darmanin sich frei, auch frei für Soli.
Frankreich hatte in seiner Geschichte schon viele forsche Innenminister, die – Brust raus, Kopf im Nacken – mit Macht die Bühne suchten. Die Scheinwerfer am Tatort, die Fernsehstudios, die totale Präsenz. Und die dabei an ihre Karriere dachten. Das Innenministerium an der Pariser Place Beauvau ist eine Rampe, ein Katapult. Das Palais de l’Élysée ist ja nur einen Steinwurf entfernt, buchstäblich: 50 Meter, mehr sind es nicht.
Von Gérald Darmanin, der nun seit etwas mehr als drei Jahren Innenminister ist, heisst es, er denke Tag und Nacht an den Sprung über die Strasse. So, wie es Nicolas Sarkozy 2007 gelungen war, seinem grossen Vorbild. Darmanin gilt als dessen Klon, in Stil und Politik. Und so analysieren die französischen Zeitungen nun jeden scharfen Auftritt Darmanins, jede angezettelte Polemik mit dem Schlüssel seiner hehren Ambitionen.
Die nächste Präsidentenwahl ist zwar noch weit weg, 2027, doch französische Politiker bringen sich nun mal gern früh in Position. Darmanin ist noch jung, sein früh ergrautes Haar täuscht. Und er ist ungeduldig.
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