Höchste Terrorwarnstufe in Frankreich«Es gibt eine Verbindung zum Konflikt im Nahen Osten. Passt alle gut auf!»
Frankreich gilt immer als besonders exponiert, wenn der Nahostkonflikt neu aufflammt. Die Regierung reagiert mit der höchsten Terrorwarnstufe, Festnahmen und einer «extrem klaren Linie».
Ab sofort sind in Frankreich Bombendrohungen immer ein Ernstfall, auch anonyme, gepostet auf irgendwelchen Plattformen. So hoch ist die Sorge vor Terroranschlägen, dass kein Hinweis mehr unterschätzt wird. Das Musée du Louvre, das Schloss von Versailles, der grosse Bahnhof Gare de Lyon – am Wochenende sind gleich alle diese drei wichtigen Pariser Versammlungsstätten wegen Bombendrohungen oder wegen eines verdächtigen Pakets für eine Weile geräumt worden.
Das machte Schlagzeilen überall in der Welt. Frankreich gilt immer als besonders exponiert, wenn in Nahost alte Konflikte neu aufflammen. Und so ist die Trennlinie zwischen Sorge und Psychose jetzt ganz fein. Die Zeitung «Le Parisien» fragte am Sonntag über ihre gesamte erste Seite: «Wie können wir uns schützen?» Dazu das Bild eines Polizisten mit Maschinengewehr. «Leider ist das so», sagte Gérald Darmanin, Frankreichs Innenminister, «es gibt eine Verbindung zum Konflikt im Nahen Osten. Passt alle gut auf!»
Terrorwarnstufe «Notstand Attentat» – das ist die höchste
Die französische Regierung hat die Terrorwarnstufe auf «Urgence attentat» erhöht, Notstand Attentat, es gibt kein höheres Niveau im dreistufigen Sicherheitsdispositiv Vigipirate. Die zeitlich begrenzte Sonderverordnung, die mit einer Abstimmung im Parlament verlängert werden kann, überträgt dem Staat für die Dauer der Notsituation deutlich mehr Befugnisse.
Seit 1955 geschah das sechs Mal, etwa wegen der Attentate während des Algerienkriegs, bei den Aufständen in den Banlieues 2005 und nach den Attentaten 2015. Verhängt wird sie, wenn es bereits ein Attentat gegeben hat oder wenn die Gefahr dafür besonders hoch ist.
Von 3000 auf 10'000 Beamte: Paris stockt «Sentinelle» auf, das Kontingent der Schützer.
In erster Linie dient das Dispositiv dazu, die Anzahl der Beamten aufzustocken, die den Schutz besonders schützenwerter Orte garantieren sollen. Diesmal verstärken 7000 zusätzliche Beamte das Kontingent Sentinelle, 3000 waren bereits im Einsatz: Der Ausbau ist also substanziell. Das rührt auch daher, erklärt die Regierung, dass in Frankreich noch bis Ende Monat die Weltmeisterschaften im Rugby stattfinden, ein sportliches Grossereignis.
Unter dem Regime «Urgence attentat» kann die Regierung auch Rechte einschränken, so etwa Protestkundgebungen und politisch motivierte Märsche. Es können auch Personen unter Hausarrest gestellt werden, von denen der Staat annimmt, dass sie gefährlich sind. Innenminister Darmanin sagt, Frankreich werde jetzt eine «extrem klare und entschlossene Linie» verfolgen, er antwortet damit auch auf die Kritik aus dem rechten Lager.
Er hat schon veranlasst, dass 65 Personen in U-Haft genommen wurden, die dem Staat als radikalislamistische Gefährder bekannt sind. 23 von ihnen seien Ausländer, sagte der Minister, 10 von diesen würden Strafen in französischen Gefängnissen absitzen.
Sie sollen alle des Landes verwiesen werden. Überhaupt: Systematisch würden nun Ausländer, die wegen ihrer Radikalisierung ein Risiko für die Republik darstellten, ihre Aufenthaltsbewilligung verlieren und in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden.
Wäre der Anschlag in Arras verhinderbar gewesen? Eher nicht
Gesetzlich ist das allerdings nicht so einfach. Der mutmassliche Attentäter etwa, der am Freitag vor dem Gymnasium Gambetta im nordfranzösischen Arras mit seinem Messer einen Lehrer getötet und zwei weitere Personen schwer verletzt hat, hätte unter der herrschenden Gesetzgebung nicht ausgewiesen werden können. Der 20-jährige Tschetschene war 2008 mit seiner Familie papierlos nach Frankreich gekommen, da war er erst 6 Jahre alt.
Die Familie mit fünf Kindern war der Justiz schon seit einiger Zeit bekannt gewesen. Der Vater des Täters von Arras war wegen häuslicher Gewalt vor fünf Jahren nach Russland ausgewiesen worden. Die Kinder blieben mit der Mutter in Arras. In dieser Phase sollen sich mindestens drei Kinder radikalisiert haben.
Der älteste Sohn ist in diesem Jahr zu fünf Jahren Haft verurteilt worden: Er hatte am Plot für ein Attentat auf den Élysée-Palast mitgearbeitet – er sollte den Anschlag filmen und die Aufnahmen dann über die sozialen Medien verbreiten.
Ein Messer, ein Angriff: Die Experten nennen es Low-cost-Terrorismus
Auch der jüngere Bruder, der nun zur Tat geschritten ist, wurde seit diesem Sommer näher beobachtet: Sein Handy wurde abgehört, er wurde auch mehrmals persönlich kontrolliert. Er galt also als potenzieller Gefährder.
Doch ausweisen hätte ihn Frankreich nicht können. Das Gesetz sieht vor, dass nur Ausländer, die nach dem 13. Lebensjahr nach Frankreich eingereist sind, aus dem Land geschafft werden dürfen. Und stoppen hätten ihn wohl auch die vielen Beamten nicht können, die nun zusätzlich aufgeboten wurden. Er schritt gewissermassen über Nacht zur Tat, offenbar ohne erkennbare Anzeichen. Die Polizei hatte ihn am Tag vor dem Attentat noch kontrolliert.
Ein Messer, ein Angriff: Die Experten nennen es «Low-cost-Terrorismus». Gegen solche Billiganschläge ist fast jeder Staat chancenlos, und sie haben mitunter einen hohen Preis.
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