Frankreich und Israel «Ihr widert mich an!» – wie die Hamas-Angriffe Frankreichs Linke zerreissen
Frankreichs stärkste Linkspartei, die France Insoumise, weigert sich, die Angriffe auf Israel als «terroristisch» zu bezeichnen. Und hilft damit vor allem der Rechtsextremistin Marine Le Pen.
Der Eiffelturm in den Farben Israels: In Frankreich ist symbolisch nichts stärker, als wenn das Pariser Wahrzeichen gewidmet wird – nachts, im Lichtgewand, wie nun am Montag wieder. In mehreren Städten des Landes gab es Solidaritätsmärsche für die Opfer des Terrorangriffs der Hamas, und die Teilnahme daran war wahrscheinlich auch deshalb so gross, weil die schlimmen Szenen aus Nahost die Franzosen an die Terrornacht im Pariser Osten vor acht Jahre erinnerte: Der Überfall auf die jungen Teilnehmer der Rave-Party beim Kibbuz Reim in Israel gemahnte an das Attentat auf die Konzertbesucher im Bataclan im XI. Arrondissement und auf die Gäste in den Cafés in dessen Nähe am 13. November 2015.
In der französischen Politik fällt die Verurteilung des Terrorismus der Hamas fast einhellig und entschlossen laut aus – aber eben nur: fast. Eine Polemik zerreisst den Betrieb, sie könnte ihn nachhaltig verändern. Im Zentrum steht die linkspopulistische Partei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon, derzeit Frankreichs stärkste linke Kraft und prägende Partnerin im Wahlverband Nupes, kurz für Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale, zu dem auch die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten gehören.
In ihrem ersten Communiqué nach den Anschlägen schrieb Mélenchons Partei folgenden Satz: «Die Offensive der palästinensischen Streitkräfte, angeführt von der Hamas, geschieht im Kontext einer intensiver gewordenen israelischen Besatzungspolitik in Gaza, im Westjordanland und in Ostjerusalem. Wir bedauern die israelischen und palästinensischen Opfer.»
Wahltaktik auf dem Rücken der Opfer?
Man wirft den Insoumis erstens vor, dass sie den Begriff «Terrorismus» gezielt gemieden hätten, obschon zu jenem Zeitpunkt bereits klar war, dass die Angreifer der Hamas wahllos Kinder, Jugendliche und Betagte getötet und verschleppt hatten. Statt den Angriff einmal klar und deutlich zu verurteilen, als Prämisse, hätten sie zweitens bereits den Kontext angeführt, als rechtfertigte der das brutale Morden von Zivilisten.
Es sei ja durchaus zulässig, die Politik der israelischen Rechtsregierung zu kritisieren, deren aggressive Siedlungspolitik und die Demütigung der Palästinenser, so der Tenor. Doch zuerst gelte es, den Terror zu verurteilen, ohne Wenn und Aber, ohne Relativierungen.
Ein Fauxpas war das nicht, auch wenn in der Folge einige Mitglieder der Partei etwas deutlichere Worte gegen die Hamas gebraucht haben: La France Insoumise ist populär in den Banlieues der französischen Grossstädte und unter Wählern aus der zweiten, dritten Generation von Zuwanderern aus Nordafrika. Es heisst deshalb jetzt pauschal, die Partei betreibe Wahltaktik auf dem Rücken der Opfer und nehme dabei in Kauf, mit dem Feuer zu spielen.
Die Verwerfungen im linken Lager sind gerade so gross, dass ein Fortleben der Nupes kaum mehr vorstellbar ist. Alle Alliierten distanzieren sich von den Mélenchonisten. Der sozialistische Abgeordnete Jérôme Guedj sagte es so: «Ihr widert mich an!» Und Élisabeth Borne, Frankreichs Premierministerin, die früher den Sozialisten nahestand, unterstellt der France Insoumise eine «empörende Ambivalenz»: Mit ihrem Antizionismus kaschiere die Partei manchmal «eine Art von Antisemitismus».
Die Rolle des Parias wechselt gerade den Träger
In Frankreich wird nun offen darüber debattiert, ob am Ende nicht La France Insoumise die wahre Gefahr für Frankreichs Demokratie sei – mehr noch als das aufsteigende Rassemblement National der Rechtsextremistin Marine Le Pen, der die Rolle des Parias bisher immer zugefallen war.
Le Pen profitiert von diesem Zerwürfnis der Linken, und auch das ist, historisch betrachtet, eine denkwürdige Entwicklung. Seit einigen Jahren arbeitet Le Pen an einer sogenannten Entteufelung ihrer selbst und ihrer Partei: Die Franzosen sollen zur Überzeugung gelangen, dass nichts dabei wäre, wenn sie Präsidentin würde. Sie sollen auch vergessen, wo die Partei herkommt und wer ihr Vater ist: Jean-Marie Le Pen beschrieb den Holocaust einmal als «ein Detail der Geschichte». Bei der Kundgebung für Israel in Paris marschierten nun acht Abgeordnete von Marine Le Pen mit – ohne Einladung der jüdischen Vereinigungen natürlich, aber geduldet.
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