Heikle Reise nach IsraelMacron wagt den Balanceakt auf dem «Vulkan»
Bei seinem Besuch in Israel verspricht Frankreichs Präsident Hilfe im Kampf gegen die Hamas – und fordert gleichzeitig einen «politischen Prozess» mit den Palästinensern.
Eine Dienstreise wie ein Seilakt: jeder Schritt eine Fährnis. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Nacht auf Dienstag nach Israel aufbrach, wusste er, dass jedes seiner Worte gewogen werden würde, jede Geste gedeutet. In Israel selbst, wo Hunderttausende französische Juden leben. Aber vor allem daheim. In Frankreich gibt es eine grosse jüdische Gemeinde und eine noch grössere muslimische.
Jede Regung im Nahostkonflikt bewegt das Land, automatisch und reflexhaft. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und Israels Gegenschlag auf Gaza ist die Sensibilität beider Seiten so gross wie vielleicht zuletzt 1967.
Und so fragte man sich, wie Macron es schaffen würde, Israel mit viel Emphase die Unterstützung Frankreichs zu versichern, ohne dabei die Palästinenser und die Muslime zu Hause zu brüskieren. «Reise auf einem Vulkan» titelte das Nachrichtenmagazin «Le Point».
Treffen mit Angehörigen von Hamas-Opfern
Gleich nach der Landung in Tel Aviv traf sich Macron mit den Angehörigen von 18 französischen Familien, die der Terror getroffen hatte. 30 Franzosen sind umgekommen beim Anschlag der Hamas. Weitere neun Franzosen werden noch vermisst, mehrere von ihnen sind Geiseln der Terrororganisation. Ihre Freilassung, sagte Macron, sei jetzt das «wichtigste Ziel». Womöglich ist es das einzig realistische.
Die Franzosen sind es gewohnt, dass ihre Präsidenten kraft ihrer Machtfülle auch auf internationalem Parkett mit gestalterischem Gestus auftreten, dass sie Visionen an den Horizont malen. Und das versuchte nun auch Macron.
«Israel hört nicht auf Frankreich», sagt der berühmte Experte Pascal Boniface.
Nach seinem Treffen mit Israels Premier Benjamin Netanyahu sagte er: «Ich bringe Ihnen heute das Mitgefühl und die Solidarität der Franzosen mit: Unsere beiden Länder verbindet dieselbe Trauer.» Die Hamas müsse mit aller Kraft bekämpft werden. Er sei deshalb dafür, dass die internationale Allianz neu ausgerichtet werde, die schon die Terrorgruppe Islamischer Staat bekämpfe. Die Hamas sei eine Terrororganisation: «Sie steht nicht für die palästinensische Causa, und diese Causa muss nun mit Vernunft gehört werden.»
Es sei nötig, sagte Macron, dass «der politische Prozess mit den Palästinensern entschlossen neu lanciert wird». Die Palästinenser hätten ein legitimes Recht auf ein «Territorium und einen Staat in Frieden und in Sicherheit neben Israel».
Keine Forderung nach Waffenruhe
Doch wie aussichtsreich ist ein solcher Appell in diesem Moment? Der berühmte Geopolitologe Pascal Boniface, Direktor des «Institut de relations internationales et stratégiques», kurz Iris, ruft dem Präsidenten aus den Spalten des Magazins «L’Obs» zu: «Israel hört nicht auf Frankreich.» Ähnlich äussert sich Dominique Moïsi, einer der Gründer des «Institut français des relations internationales», kurz Ifri: «Frankreich hat seinen Einfluss in der Region verloren.»
Macron geht es in erster Linie um die Haltung, um die Postur dessen, der auf den Friedensweg hinweist. Mehr ist es nicht: Sonst hätte er eine Waffenruhe gefordert oder eine humanitäre Pause der Kämpfe. Beide Begriffe, Waffenruhe und humanitäre Pause, hebt die Zeitung «Le Monde» hervor, fielen bisher nicht.
Der Impetus für Frankreichs Nahostpolitik kam von Charles de Gaulle, nach dem Sechstagekrieg 1967.
Frankreich hat sich über die Jahrzehnte hinweg immer für die Zweistaatenlösung engagiert; Paris gab sich gar lange Zeit als deren wichtigsten und wortgewaltigsten westlichen Verfechter. Den Impetus dafür setzte Charles de Gaulle 1967, nach dem Sechstagekrieg, als er Frankreichs Nahostpolitik ein Stück weit von den USA entkoppelte: Die Amerikaner standen immer ganz an der Seite Israels, Frankreich hingegen übte sich nun in Balance.
Allerdings verschob sich die Position im neuen Jahrtausend zusehends zugunsten von Israel. Begonnen hatte damit Jacques Chirac während seiner zweiten Amtszeit. Die halbe Wende stand im Kontrast mit einer berühmten Szene aus der Weltgeschichte, am 22. Oktober 1996. Chirac ärgerte sich damals so sehr über die israelischen Sicherheitsdienste, die ihn nicht frei durchs das Menschengedränge in Jerusalem gehen lassen wollten, dass er sie mit diesem Ausruf anherrschte: «What do you want, me to go back to my plane and back to France?» – «Was wollen Sie, dass ich zurück zu meinem Flugzeug und zurück nach Frankreich gehe?»
Weiterhin für eine Zweistaatenlösung
Nicolas Sarkozy, Präsident von 2007 bis 2012, rückte Paris später noch näher zu Israel als Chirac. Der Sozialist François Hollande, Sarkozys Nachfolger, hielt am Kurs fest, was wohl auch damit zusammenhing, dass in sein Mandat eine Reihe islamistischer Terroranschläge fielen: auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» im Januar 2015, auf das Konzerthaus Bataclan und die Caféterrassen im Pariser Osten im November 2015, auf die Uferpromenade in Nizza im August 2016, um nur die dramatischsten zu nennen.
Macron korrigierte die Linie ab 2017 nur sanft, kaum spürbar. Aber er sprach in den vergangenen Jahren wieder davon, dass Frankreich sein traditionelles Einstehen für eine Zweistaatenlösung nie aufgegeben habe. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Wie die Chancen für eine Zweistaatenlösung stehen».)
Nach dem Treffen mit der israelischen Staats- und Regierungsspitze fuhr Macron nach Ramallah, ins besetzte Westjordanland, um sich dort mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde zu unterhalten. Die Begegnung mit Mahmud Abbas hatte vor allem symbolischen Charakter, er wollte damit signalisieren, dass Frankreich wieder beiden Seiten zuhört.
Wenn «etwas Nützliches» dabei herausschaut
Wie heikel diese Reise nach Israel für Macron sein würde, hat sich schon daran gezeigt, dass er lange gewartet hatte. US-Präsident Joe Biden, der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der britische Premier Rishi Sunak, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – alle waren vor ihm da. «Warum so spät?», hatten die französischen Zeitungen vor der Reise immer wieder gefragt und verstiegen sich in Vermutungen. Er konnte ja schlecht zur selben Zeit wie Biden hinfahren, hiess es zum Beispiel.
Als er so hinterfragt wurde, liess Macron ausrichten, er reise, wenn sich auch «etwas Nützliches» erreichen lasse. Für den Nahen Osten. Und hoffentlich auch für die Harmonie daheim in Frankreich.
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