Kohäsionszahlungen an EUZahlt die Schweiz bald 450 Millionen Euro für Zugang zum EU-Binnenmarkt?
Bis Ende Jahr soll der Entwurf eines neuen Abkommens mit Brüssel vorliegen. Gleichzeitig startet Economiesuisse eine Kampagne – im Namen der «Mehrheit».
- Der Bundesrat diskutiert über die Verhandlungen mit der EU für ein neues Abkommen.
- Die Schweiz könnte bald höhere Kohäsionszahlungen als bisher leisten müssen.
- Einen ähnlich hohen Beitrag wie jenen Norwegens halten einige Politikerinnen für realistisch.
- Der Dachverband Economiesuisse steigt ins Ringen ein und startet eine Kampagne.
Kommende Woche will der Bundesrat Bilanz ziehen über die Verhandlungen mit der EU für ein neues bilaterales Abkommen. Am Mittwoch wolle er über die Höhe der Kohäsionszahlungen beraten, berichtet die «NZZ am Sonntag». Dabei soll es darum gehen, wie viel die Schweiz bereit ist für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu zahlen.
Derzeit zahlt die Schweiz pro Jahr 130 Millionen Franken für den Zugang zum Markt eines der für sie wichtigsten Handelspartner. Doch künftig sollen es deutlich mehr sein. Die EU verweist dem Bericht zufolge auf Norwegen, das jährlich 390 Millionen Euro zahlt. Wie Berechnungen von CH Media zeigen, könnte Norwegens Beitrag aber auf 450 Millionen Euro pro Jahr steigen.
Dass künftig auch die Schweiz einen derart stolzen Preis für den Marktzugang zahlen wird, hält FDP-Nationalrat und Unternehmer Simon Michel für gut möglich: «Norwegen ist ein realistischer Benchmark für die Schweiz», sagt er der Zeitung. Für die Schweiz rechne er mit einem Kohäsionsbeitrag in einem ähnlichen Umfang. Das sei gut investiertes Geld.
Norwegen als schwieriger Vergleich
Eine ganz andere Meinung hat SVP-Nationalrat Franz Grüter: Für ihn sei es grundsätzlich falsch, der EU Kohäsionszahlungen zu überweisen. «Ich habe nie verstanden, dass wir der EU Geld schicken müssen, um mit ihr Handel zu treiben. Den Amerikanern und den Chinesen überweisen wir ja auch nichts», sagt er der Zeitung.
Mitte-Ständerat Benedikt Würth liefert eine Einschätzung zum Umfang des Betrags: Die Zahlungen der Schweiz sollten seiner Ansicht nach tiefer sein als jene Norwegens. Und zwar darum, weil Norwegen als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) einen vollständigen Zugang zum EU-Binnenmarkt habe, die Schweiz jedoch lediglich einen sektoriellen. «Wenn man den Kohäsionsbeitrag als Eintrittsticket zum EU-Binnenmarkt betrachtet, muss das Ticket der Schweiz somit günstiger sein als jenes von Norwegen.»
Grüter ist überzeugt, dass die EU höhere Beträge verlangen wird. Er erinnere sich an eine Reise mit einer Delegation nach Brüssel, wo EU-Kommissar Maros Sefcovic klar gemacht habe, was die EU erwarte: «Er sagte klipp und klar, dass sich die Kohäsionszahlung künftig am norwegischen Modell orientieren müsse, unter Berücksichtigung der Schweizer Wirtschaftsleistung.» Das war 2021. Wie hoch der Beitrag sein wird, wird sich zeigen. Parlamentarierinnen und Parlamentarier gehen davon aus, dass der Entwurf für ein neues bilaterales Abkommen Ende Jahr vorliegen könnte.
Economiesuisse startet Kampagne
In allen grossen Parteien ausser der GLP wird Kritik laut. Politikerinnen und Politiker befürchten, dass es zu einem mühsamen Entscheidfindungsprozess kommen wird, sobald das Ergebnis der Verhandlungen vorliegt. Dem will der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse entgegenwirken: Er startet in diesen Tagen eine grosse Kampagne, wie der «SonntagsBlick» berichtet.
«Wir spüren in der Wirtschaft eine breite Unterstützung für den bilateralen Weg. Diese wollen wir zeigen», sagt Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl der Zeitung. Aber für sie ist klar: «Natürlich wollen viele Mitglieder zuerst das Verhandlungsresultat sehen.»
Doch auch in der Wirtschaft sind sich längst nicht alle einig. Die Unterstützung erodiere, zitiert die Zeitung einen FDP-Parlamentarier. Das stimme nicht, sagt Rühl. «Zahlreiche Persönlichkeiten aus der Wirtschaft stehen hinter den Bilateralen.» Eine grosse Mehrheit unterstütze die Verhandlungen. Dieses Bild zeigt sich auch beim Volk: Einer Umfrage zufolge steht die Mehrheit hinter dem bilateralen Weg.
Ebenfalls zu jenen, die sich für einen Abschluss der Verhandlungen bis Ende Jahr einsetzen, gehört Bundespräsidentin Viola Amherd. Ihr Verhältnis zu EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen gilt als gut. Könnte Amherd die Verhandlungen unter Dach und Fach bringen, wäre das ein erfolgreicher Abschluss ihres Jahres als Bundespräsidentin.
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