Gastbeitrag zur EuropapolitikEs ist Zeit für den «Swiss Deal»
Sowohl die Schweiz als auch die EU würden profitieren, wenn sie noch in diesem Jahr ihre Beziehungen neu regeln könnten, schreibt EU-Parlamentarier Andreas Schwab.
Der bilaterale Weg, den die Schweiz gemeinsam mit der Europäischen Union entwickelt hat, war eine massgeschneiderte Lösung für die Schweiz. Dieser Ansatz ermöglichte es der Schweiz, ihre politische Eigenständigkeit zu wahren, während sie gleichzeitig wirtschaftlich vom grossen europäischen Binnenmarkt profitierte. Es war eine Balance zwischen Unabhängigkeit und Kooperation, die auch der Schweiz grosse Vorteile brachte.
Seit 2001 hat sich die Welt verändert, leider ist unsere Partnerschaft seither aber stehen geblieben. Gott sei Dank sind wir nun seit dem Abbruch der Gespräche 2021 endlich wieder auf Annäherungskurs, und die sorgfältige Vorbereitung der neuen Verhandlungen durch vorgeschaltete Sondierungen zwischen der Schweiz und der EU hat sich ausgezahlt.
Wir stehen kurz davor, die Verhandlungen noch in diesem Jahr erfolgreich abzuschliessen. Ein Durchbruch – ein «Swiss-Deal» – wäre im Interesse beider Seiten, der EU und der Schweiz. Es ist an der Zeit, alle noch bestehenden Differenzen beizulegen und eine tragfähige Lösung zu finden, die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich überzeugt.
Für uns ist klar: Die endgültige Entscheidung liegt in der Schweiz, möglicherweise sogar auf Basis der direktdemokratischen Verfasstheit bei den Eidgenossen selbst. Die Schweizer Regierung wird sicher alles dafür tun, dass das künftige Stabilisierungsabkommen in einem Referendum eine breite Unterstützung findet. Das erfordert eine klare Kommunikation über die Vorteile der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den besten Nachbarn der Welt.
Schweizer Dumping-Ängste sind unbegründet
Der freie Personenverkehr ist ein Beispiel dafür: Er hat das wirtschaftliche Wachstum sowohl in meiner Heimat Baden-Württemberg als auch in der Schweiz gestärkt. Die Mobilität, der Zugang zu Arbeitsmärkten und die Förderung von Innovationen sind Vorteile, die die Zusammenarbeit mit sich bringt.
Die EU hat Verständnis für die überlasteten Arbeitsmärkte der Schweiz, aber die Angst vor Lohndumping ist unbegründet, da auch innerhalb des europäischen Binnenmarkts inzwischen das Prinzip gilt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Der in Schweizer Tarifverträgen festgelegte Lohn bleibt also unberührt. Einseitige Schutzklauseln darf es im Partnerdialog des «Common Understanding» nicht geben.
Ein weiterer wichtiger Bereich der Verhandlungen betrifft den Strommarkt. Die Ukraine-Krise und die damit verbundene Energieknappheit haben gezeigt, dass die Schweiz mitten in Europa liegt und wir sehr stark voneinander abhängig sind. Eine Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt würde die Versorgungssicherheit erhöhen und der Bevölkerung zugutekommen. Die nunmehr angestrebte «Paketlösung» ist der einzige Weg für eine nachhaltige Lösung, die von der Infrastruktur bis zur Netzsicherheit reicht. Im Übrigen arbeiten wir gemeinsam an der Verwirklichung der Klimaziele des Pariser Abkommens.
Das Europäische Parlament wird weiterhin aktiv an der Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU mitwirken. Eine Aufgabe, die ganz Baden-Württemberg sehr am Herzen liegt, wie der hierzulande bekannte schweizerische Schriftsteller Dürrenmatt uns ins Stammbuch geschrieben hat: Man darf nie aufhören, sich die Welt vorzustellen, wie sie am vernünftigsten wäre.
Andreas Schwab ist im Europaparlament Vorsitzender der Delegation, die sich mit den Beziehungen zur Schweiz befasst.
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