Frauen in der SpitzenpolitikGleichberechtigung? Die Amerikaner wählen lieber einen wirr redenden Mann als eine Frau
Die traurige Lehre aus der Wahl: Nach 248 Jahren ununterbrochener Regierung durch Männer sind die USA immer noch nicht bereit für eine Präsidentin.
Es gibt, selbstverständlich, nicht nur den einen Grund, aus dem Kamala Harris diese Präsidentenwahl verloren hat. Es gibt mehrere gesellschaftliche Gruppen, die sie nicht im erwarteten Masse überzeugen konnte, es gibt viele Themen, die weniger verfingen als von ihr erhofft. Aber auch wenn man sich über die Komplexität der Faktoren im Klaren ist, so ist es doch eine Zahl, die einen besonderen Blick verdient: Gerade einmal 54 Prozent der amerikanischen Frauen stimmten für Kamala Harris als Präsidentin der Vereinigten Staaten; 44 Prozent hielten Donald Trump für den besseren Kandidaten. (Sehen Sie hier eine Übersicht über die Wählergruppen der US-Wahl.)
In dieser Zahl steckt auch, das ist klar, die banale Erkenntnis, dass Frausein allein noch keine politische Orientierung bedeutet. Kamala Harris’ Kampagne war, unter anderem, stark auf das Thema Abtreibungsrechte ausgerichtet – und natürlich gibt es in den USA und überall auf der Welt Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich ablehnen. In allen christlichen Wählergruppen wurde überdurchschnittlich stark für Trump gestimmt.
Sexueller Missbrauch ist offiziell wieder ein Kavaliersdelikt
Dass dieses Argument aber höchstens zu einem kleinen Teil als Erklärung taugt, zeigt das Beispiel Missouri. In dem Bundesstaat gab es bisher eine der strengsten Gesetzgebungen zum Schwangerschaftsabbruch, selbst bei Vergewaltigung oder Inzest waren keine Ausnahmen erlaubt. In einem parallel zur Präsidentenwahl abgehaltenen Referendum wurde nun das Recht auf Abtreibung in die Verfassung des Staats aufgenommen. Und gleichzeitig wählten in Missouri am Dienstag 59 Prozent der Menschen Donald Trump.
Was also bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass 44 Prozent der amerikanischen Frauen es ganz offensichtlich für eine gute Idee halten, sich von einem unverhohlen misogynen Mann regieren zu lassen. Von einem Mann, der Frauen in Reden öffentlich niedermacht, der damit prahlt, sie unaufgefordert an ihren Geschlechtsteilen berührt zu haben, und der wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt worden ist. Sieben Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung ist sexueller Missbrauch nun auch ganz offiziell wieder ein Kavaliersdelikt.
Die Wahrheit ist, dass der gesellschaftliche Fortschritt, die Gleichberechtigung und der Feminismus weniger weit sind, als man es anhand der grossstädtischen Debatten und der medialen Erzählungen gerne glauben möchte. «Wird jemals eine Frau US-Präsidentin werden?», fragt die «New York Times» am Tag nach der Wahl. Schwer zu sagen, aber in dieser Woche ist es nicht wahrscheinlicher geworden. Seit 248 Jahren werden die USA ununterbrochen von Männern regiert, nur ein Drittel der zu der UNO gehörigen Nationen hatte jemals eine Regierungschefin.
Sie wurde viel strenger bewertet und härter kritisiert als er
Kamala Harris hat fast überall schlechter abgeschnitten als Joe Biden bei der Wahl 2020, auch dafür gibt es mehr als nur einen Grund. Aber einer ist eben auch, dass es eine Mehrheit der Wahlberechtigten einer Frau nicht zutraut, die mächtigste Nation der Welt zu führen.
Michelle Obama hat in ihrer Wahlkampfrede Ende Oktober darüber gesprochen, wie viel strenger Kamala Harris beurteilt werde als Donald Trump: Während die Kandidatin für ihr Auftreten und ihre Fähigkeiten ständig bewertet und kritisiert wurde, konnte er im Grunde so viel Unsinn von sich geben, wie er wollte. Mal ganz zugespitzt: ein wirres Zeug redender Mann als US-Präsident? Immer noch besser als eine Frau, findet eine Mehrheit. Das ist die Realität im Jahr 2024.
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