AboSchützin Heidi Diethelm Gerber«Als ich mit 40 Sportlerin wurde, dachten viele: Die spinnt doch!»
Sie wurde beim Stehlen erwischt, wäre gerne ein Junge gewesen, heiratete zu früh und hatte einmal riesiges Glück – die Olympiahoffnung im etwas anderen Interview.

Wer sind Sie?
Sportlerin, Frau, Mutter, aber auch mit 52 noch ein wenig Kind. Ich bin unabhängig, eine Person, die sich nicht so schnell verbiegen lässt.
Was ist das Verrückteste, das Sie je getan haben?
Mit 21 zu heiraten. In der Schulzeit sagte ich: Bevor ich 30 bin, werde ich mich sicher nicht binden. Es war ein turbulenter Lebensabschnitt: Die Ausbildung war gerade zu Ende, ich genoss das Nachtleben, war etwas gar unbeschwert. Die Ehe hielt vier Jahre lang.
Sie wären für einen Tag ein Mann: Was würden Sie tun?
Hemmungslos oben ohne rumlaufen! Als Kind wollte ich ein Junge sein, sollte ich ein Röckli anziehen, versteckte ich mich hinter dem nächsten Baum oder schnappte mir eine Turnhose. Ich war burschikos, mit Barbies brauchte mir keiner zu kommen.
Was ist das Ekelhafteste, das Sie je gegessen haben?
Eine Schnecke im Garten. Eine ohne Haus – wegen einer Mutprobe. Ich schluckte sie direkt runter, es war fürchterlich. Noch heute verabscheue ich alles, was «gschludrig» ist. Meeresfrüchte zum Beispiel kann ich nicht essen, die erinnern mich daran.
«Ein Fremder kam auf uns zu, er sagte: Kommt mit, ich zeige euch etwas Tolles. Ich weiss nicht, warum, aber ich folgte ihm.»
Was würden Sie an sich ändern?
Ein paar Kilos von den Rippen zaubern, das wäre was.
Wann hatten Sie so richtig Glück?
Als ich mit ein paar Schulfreunden an der Thur spielte. Ein Fremder kam auf uns zu, er sagte: «Kommt mit, ich zeige euch etwas Tolles.» Ich weiss nicht, warum, aber ich folgte ihm – obwohl mir klar war, dass man das nicht tut. Meine Freunde reagierten, sprangen heim zu meiner Mutter. Sie kam gerade noch rechtzeitig. Mit etwas Distanz war ich sicher: Es war genau so ein Mann, vor dem man seine Kinder warnt.
Wie lange halten Sie es ohne Handy aus?
Ich habe zwar 100 Apps runtergeladen, brauche aber kaum eine davon. Auch Social Media sind nicht meine Welt. Ein Tag lang ohne Handy geht problemlos, aber viel mehr? Schwierig. Ich habs mal am Flughafen im Auto vergessen, da rannte ich vor dem Boarding zurück. Leider sind wir so weit: Ohne ist man aufgeschmissen.
Was finden Sie attraktiv an sich?
Was sind das für Fragen?! So spontan? Mein Lachen und die Nase, die ist gar nicht so schlecht rausgekommen. Mich zeichnet aus, dass ich auch im hohen Alter eine «Füdlibacke» Kind in mir bewahrt habe. Jugendlicher Leichtsinn kann auch attraktiv sein.
Würden Sie Fremdgehen verzeihen?
Schwieriges Thema. Ich habe das erlebt in meiner ersten Ehe, es war hart, aber ich habe daraus gelernt und den Groll irgendwann abgelegt. Man muss schon sehen: Oft passiert so etwas nicht ohne Grund. Auch ich hatte wohl Fehler gemacht. Eine gewisse Toleranz braucht es. Verzeihen ist möglich. Aber vielleicht geht die Beziehung halt doch in die Brüche. Ist die Tanne geknickt, bleibt sie geknickt.
Was ist Ihr Serientipp?
Das alte Zeugs, «Bonanza» etwa, «Knight Rider», «Baywatch». Und natürlich «Beverly Hills, 90210». Wegen einer der Hauptfiguren in dieser Serie gab ich meinem Sohn den Namen Dylan.
Was ist der Sinn des Lebens?
Etwas zu tun, das man mag, das vielleicht sogar Nutzen stiftet. Sich etwas trauen, Grenzen ausloten. Ich war fast 40, als ich alles über den Haufen warf, meinen Job kündigte und Sportlerin wurde. Da dachten viele: Die spinnt doch! Nach meiner Scheidung zügelte ich heim ins Elternhaus, es sollte eine Zwischenlösung sein, 17 Jahre später bin ich immer noch da. Meine Mutter half mir – jetzt ist sie 87, und ich kümmere mich um sie. Darum geht es doch im Leben: füreinander da zu sein.
Was bedeutet Ihnen Zärtlichkeit?
Es ist etwas sehr Schönes. Ein Liebesbeweis. Danach sehnt sich doch jeder, von klein auf. Wer Zärtlichkeit erfährt, fühlt sich als Mensch. Nähe und Akzeptanz ist ein Lebenselixier.
Was stört Sie an der Schweiz?
Dass wir das Gefühl haben, uns für alles rechtfertigen zu müssen. Für unser Geld, die Kindererziehung, die Prioritäten. Ein wenig mehr Gelassenheit würde Herrn und Frau Schweizer guttun. Aber auch ein wenig mehr Stolz auf die Heimat. Dank dem Sport bin ich viel herumgekommen, war in vielen Ländern, in denen ich nicht zu Hause sein möchte.
Was müsste gesetzlich besser geregelt sein?
Noch mehr Regeln? Bitte nicht. Nur eines: Langjährige Lebenspartner sollten mehr Rechte haben, auch wenn sie nicht verheiratet sind. Etwa wenn der Partner nicht mehr urteilsfähig ist – da kommt es vor, dass die wichtigste Bezugsperson plötzlich aussen vor steht.
«Die Frage ist: Sind meine Organe in einem guten Zustand? Ich wurde erst mit 38 Sportlerin, vorher hatte ich keinen gesitteten Lebenswandel.»
Könnten Sie auf Fleisch verzichten?
Es wäre vielleicht möglich. Aber es fehlt eindeutig am Willen.
Werden Sie Ihre Organe spenden?
Das Thema geistert in meinem Kopf umher. Aber ich verdränge es immer wieder. Die Frage ist: Sind meine Organe in einem guten Zustand? Ich wurde erst mit 38 Sportlerin, vorher war ich ein anderer Mensch – mit nicht so gesittetem Lebenswandel. Aber: Für alle wäre es wohl besser, wenn sich nur jene melden müssten, die ihre Organe nicht spenden wollen.

Was bringt Sie zur Weissglut?
Wie fühlt sich das an? Ich bin kein Wutbürger. Und wenn ich mal schwierige Zeiten durchlebe, ziehe ich mich zurück. Manchmal nerven mich aber Leute, die um jeden Preis gegen den Strom schwimmen wollen. Das ist einfach nur anstrengend.
Wovor haben Sie Angst?
Wenn es blitzt und donnert. Die Kraft der Natur bei einem heftigen Unwetter ist schon unheimlich. Ich habe das erlebt, als ein Blitz in der Nachbarschaft einschlug.
Was ist der grösste Quatsch, der über Sie geschrieben worden ist?
Sportschützen brauchen mehr Medienpräsenz, also darf ich mich nicht beklagen. (lacht) Im Ernst: Mich stört, dass oft die finanzielle Lage von Athleten breitgeschlagen wird. Das war auch bei mir so. Dabei geht es niemanden etwas an, ob ich gut oder knapp über die Runden komme.
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Was ist Ihre schönste Kindheitserinnerung?
Ich war das jüngste von fünf Kindern, hatte Mama und Papa im Griff. Ich wusste, was ich tun musste, um etwas zu kriegen, ein neues Velo, ein paar Ski. Mit meinen drei Brüdern ging es zur Sache, ich hatte viele blaue Flecken. Nicht allzu schön, aber prägend war, als ich mich einst vor Ladenschluss in die Migros schlich und eine Glace stehlen wollte. Prompt wurde ich erwischt...
Gibt es einen Gott?
Ich bin keine Kirchgängerin und tue mich schwer mit dieser Frage. Vielleicht ist da aber irgendetwas, das das Gute im Menschen zum Vorschein bringen will.
Was ist die grösste Herausforderung in Ihrem Leben?
Allen gerecht zu werden, sodass sich niemand verletzt fühlt, dass keiner zu kurz kommt, niemand brüskiert wird. Und dabei doch seine eigenen Ideen verfolgen, zu leben, wie es einem passt.
Was war der Leitsatz in Ihrer Familie?
Schaffe, schaffe, Hüsli baue! Es war nicht so, dass wir daheim stark mit anpacken mussten. Aber uns wurde klargemacht, dass nur ehrliche, harte Arbeit zu etwas führen würde. Mein Vater hat das vorgelebt: Er war ein Workaholic, der Job stand an erster Stelle.
Welches Lied können Sie auswendig?
Keines! Ich kann nicht singen, habe kein Musikgehör, beherrsche kein Instrument. Nächste Frage. (lacht)
Wenn Sie eine Kristallkugel hätten: Was möchten Sie wissen?
Uff, gar nichts. Wüsste ich, was kommt, hätte ich Angst. Ungewissheit ist spannend – in vielen Lebenslagen. Glauben würde ich die Prophezeiungen sowieso nicht. Ich arbeitete einst in einem Hotel, da gab es einen Kongress mit Kartenlegern, Wahrsagern, Hellsehern. Ich habe erfahren müssen, was diese bei gewissen Leuten anrichten können – ganz schlimm.
Warum möchten Sie Ihre Freundin sein?
Mit mir kann man Pferde stehlen. Ich mag es lustig, finde kaum einen Witz zu doof. Und langweilig wird es nicht: Ich weiss, wie man Feste feiert. (lacht)
Was möchten Sie noch lernen?
Ich wohne in einem Mehrgenerationenhaus: Da gibt es immer wieder Situationen, in denen man dazulernen muss. Wie behandle ich die unterschiedlichen Leute? Wie ticken sie? Dann sicher Italienisch. Zudem werde ich bald Trainerin, da wird noch viel Neues auf mich zukommen.
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